Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Der Organismus der ordentlichen Gerichtsbehörden. (8. 100.) 657 
des Einführungsgesetzes zu demselben v. 27. Jan. 18771, mit dem 1. Okt. 1879 in 
Kraft getreten ist, und auf dem preußischen Ausführungsgesetze zu demselben v. 24. April 
18782, abgeändert durch preußische Gesetze v. 14. März 1885 (G. S. 1885, S. 65) 
und 31. Mai 1897 (G. S. 1897, S. 157) und Art. 130 des preußischen Gesetzes v. 
21. September 1899 (G. S. 1899, S. 249). Durch Reichsgesetz v. 17. Mai 1898 
(R. G. Bl., S. 342) erfuhr diese Gesetzgebung einige Abänderungen, infolge deren ein 
neuer Text des Gerichtsverfassungsgesetzes unterm 20. Mai 1898 (G. S., S. 369 ff.) 
publiziert wurde, der vom 1. Jan. 1900 an gilt. Die richterliche Gewalt wird 
gemäß der zwingenden Vorschrift des Reiches in allen deutschen Einzel- 
staaten in völlig gleicher grundsätzlicher Weise durch unabhängige, nur 
dem Gesetze unterworfene Gerichte ausgeübt." Die Gerichte sind Staats- 
gerichte; die Privatgerichtsbarkeit ist aufgehoben; die Ausübung einer geistlichen Gerichts- 
barkeit in weltlichen Angelegenheiten ist ohne bürgerliche Wirkung, was insbesondere bei 
Ehe= und Verlöbnissachen gilt.“ Die Urteile werden im Namen des Königs 
erlassen und vollstreckt.? Ausnahmegerichte sind unstatthaft; niemand darf seinem 
gesetzlichen Richter entzogen werden, jedoch werden die gesetzlichen Bestimmungen über 
Kriegsgerichte und Standrechte hiervon nicht berührt."“ Die Gerichtsbarkeit des Staates 
erstreckt sich nach allgemeinen staatsrechtlichen Grundsätzen nur auf sein eigenes Staats- 
gebiet. Im deutschen Bundesstaate gilt als solches Staatsgebiet grundsätzlich das 
ganze Reichsgebiet; obwohl die Rechtspflege in der Hauptsache den Einzel- 
staaten übertragen wurde, hat doch jedes einzelstaatliche Gericht Gerichts- 
barkeit im ganzen Reichsgebiet. Rechtskraft, Rechtshängigkeit, Rechtsverfolgung, 
Rechtshilfe gelten somit für alle deutschen Gerichte, gleich als wären sie Gerichte eines 
Staates (bes. Gerichtsverfassungsgesetz, §§. 161 ff., 168).7 Demgemäß läuft auch die 
gesamte Rechtspflege in Deutschland grundsätzlich in das Reichsgericht 
aus, durch dessen Rechtsprechung in formeller wie in materieller Hinsicht die Souveränität 
des Reiches auch für Rechtspflege und Gerichtsbarkeit prägnanten Ausdruck findet. 
  
1 R. G. Bl. 1877, S.77; s. jetzt 1898, S. 252. 
Die §§. 5, 9, 10 sind durch die Novelle abge- 
ändert. 
: G. S. 1878, S. 230 ff. 
3s §. 1 des Deutschen Gerichtsverf.-Gesetzes; 
Struckmann und Koch, II. S. 474 ff. Über 
die Richtergehälter G. v. 31. Mai 1897 (G. S., 
S. 157). Über die Rangverhältnisse Allerhöchster 
Erlaß v. 11. Aug. 1879 (G. S., S. 579) und 
27. Jan. 1898 (G. S., S. 5). 
4 §. 15 des Deutschen Gerichtsverf.-Gesetzes. 
— Die Bestimmung des letzten Saves des §. 15 
des Gerichtsverf.-Gesetzes ist zum Teil schon im 
8. 76 des G. v. 6. Febr. 1875 über die Be- 
urkundung des Personenstandes und die Eheschlie- 
ßung (R. G. Bl. 1875, S. 23, enthalten, wo 
indes nur von Ehe= und Verlöbnissachen die Rede 
ist. Der letzte Satz des §. 15 des Gerichteverf.= 
Gesetzes geht aber weiter, indem er die Ausübung 
geistlicher Gerichtsbarkeit in allen weltlichen An- 
gelegenheiten für bürgerlich wirkungelos erklärt. 
In das eigentliche Gebiet der Kirche soll hierdurch 
nicht eingegriffen werden; die geistliche „Gerichts- 
barkeit“ in rein geistlichen Angelegenheiten bleibt 
daher unberührt. Staatsrechtlich kommen indes 
die katholisch geistlichen Gerichte nicht mehr in 
Betracht. Vgl. über die Einrichtung, Bezeich- 
nung, Besetzung und den Instanzenzug derselben: 
Löwenberg, Ulbersicht der Verfassung der katho- 
lischen geistlichen Gerichtsbarkeit in den verschiede- 
nen Landesteilen der preuß. Monarchie in Hin- 
schius JZJur. Wochenschrift, Jahrg. 1875, S. 
v. Ronne-Zorn, Preuß. Staaterccht. 
  
5. Aufl. 11. 
137 ff., 209 ff., 257 ff., 345 ff., 417 ff.). — 
Die katholisch-geistliche Ehegerichtsbarkeit in Preu- 
ßen nach ihrer geschichtlichen Entwicklung (Jnst. 
Min. Bl. 1856, S. 252 ff.). — Starke, Bei- 
träge zur Kenntnis der bestehenden Gerichteverf., 
Tl. I, §8§. 127—146, S. 344 ff. — Jahrbuch 
der preuß. Gerichtsverfassung, Jahrg. 1 (1851), 
S. 320 ff., und Jahrg. V (1861), S. 58 ff., 
Jahrg. IX (1870,, S. 120 ff. Die oben angeführ- 
ten Abhandlungen weisen die Oellen und Gesetze 
nach, auf welchen die Organisation der geistlichen 
Gerichtesbarkeit beruht. Vgl. auch Laband III, 
S. 373. 
5 Art. 86, Abs. 2 der Verf. Urk. 
6 §. 16 des Gerichtsverf. Ges., Art. 7 d. Verf. 
Urk., Reiche-V., Art. 68. 
7 Laband III, S. 376, über die Rechtshilfe 
besonders S. 390 ff. 
s Über die starke Anomalie, die in dieser Be- 
ziehung das Einführ. Ges. z. Gerichtsverf. Ges., 8.8, 
Abs. 1 zuläßt, s. Laband III, S. 377: Preu- 
hen hat davon keinen Gebrauch gemacht; für 
Sachsen wurde durch G. v. 11. April 1877 
(R. G. Bl., S. 415) die obige Vorschrift aus- 
geschlossen. Nur Bayvern hat davon Gebrauch 
gemacht; über die Einschränkung, die die clausula 
bajuvarica wieder durch §. 8, Abs. 2 findet, . 
Laband III. S. 378: Struckmann und 
Koch II, S. 618. Uber die Rechtshilfe erging 
zuerst das B. G. v. 21. Juni 1869 (B. G. B., 
S. 305,, dessen Vorschriften heute durch die 
Reichemstizgesexe ersep#t sind, soweit die ordentliche 
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