Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

658 Die Staatsbehörden. (F. 101.) 
An der Spitze der Justizverwaltung in Preußen steht der Justizminister. 1 Do jedoch die 
Rechtspflege nach Maßgabe der Reichsverfassung als eine vom Reiche in Selbstverwaltung 
der Einzelstaaten gegebene Staatsaufgabe erscheint, steht dem Reiche die Üüberwachung der 
Ausführung der in dieser Richtung ergangenen Reichsgesetze zu. Außerdem hat Artikel 77 
der Reichsverfassung diesen Grundsatz noch allgemein ausgesprochen, indem er den Bundes- 
rat für zuständig erklärte, Beschwerden über verzögerte oder verweigerte Rechtshilfe an- 
zunehmen und deren Erledigung durch den schuldigen Einzelstaat zu bewirken. 
Bei jedem Gerichte soll eine Staatsanwaltschaft bestehen?; auch muß bei jedem Gerichte 
eine Gerichtsschreiberei eingerichtet werden."“ Mit den Zustellungen, Ladungen und Voll= 
streckungen sind besondere Beamte, die Gerichtsvollzieher, betraut." Die Verfassung der 
ordentlichen Gerichte ist durch Reichsgesetz geregelt; neben denselben sind besondere Ge- 
richte für gewisse Rechtsangelegenheiten, welche an sich zur Zuständigkeit der ordentlichen 
Gerichte gehören würden, nur in bestimmten Sachen zugelassen. Die reichsgesetzliche 
Regelung betraf zunächst nur die streitige Gerichtsbarkeit; in Preußen, ebenso wie in 
anderen deutschen Staaten war jedoch auch die freiwillige Gerichtsbarkeit den ordent- 
lichen Gerichten in demselben Umfange übertragen, in welchem sie den Gerichten früher 
zustand.“ Jetzt ist auch diese sogenannte freiwillige Gerichtsbarkeit in weitem Umfange 
reichsgesetzlich geordnet durch Gesetz v. 17. Mai 1898 (R. G. Bl., S. 189 ff.). Andere 
Geschäfte der Verwaltung, als diese sogenannte „freiwillige Gerichtsbarkeit“, sowie Ge- 
schäfte der Justizverwaltung (Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz, §. 4) dürfen 
den Gerichten als solchen nicht übertragen werden, wohl aber dürfen einzelne Richter- 
beamte mit Verwaltungsfunktionen betraut werden (Universitätsrichter, Reichsbankkom= 
missar u. a. m.)7 Außerdem werden gewisse Angelegenheiten, welche nicht zu den gericht- 
lichen Rechtsangelegenheiten gehören, von den dazu eingesetzten Behörden in den Formen 
eines gerichtlichen Verfahrens erledigt. Derartige Behörden sind die zur Handhabung der 
Disziplinargewalt bestellten Disziplinarbehörden, ferner für Angelegenheiten, welche dem 
Gebiete der Verwaltung angehören, Verwaltungsbehörden mit gerichtlicher Organisation, 
die Verwaltungsgerichte. 
§. 101. 
Die Behörden für die Ausübung der ordentlichen Gerichtsbarkeit." 
Vor die ordentlichen Gerichte gehören alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten? und 
Strafsachen, für welche nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder 
  
streitige Gerichtsbarkeit in Betracht kommt; das 
Rechtshilfegesetz trägt aber einen allgemeinen Cha- 
rakter und steht demnach außerhalb jener Sphäre 
noch fortdauernd in Kraft; s. darüber Laband III, 
S. 390, besonders S. 397, und die hier zit. Lit. 
à §F. 142 Gerichtsverf. Ges. 
4 §S. 154 a. a. O. 
5 §. 155 a. a. O. 
6 §§. 13, 14 des Gerichtsverf. Ges., §§. 2—41 
des Einführ. Ges. zu demselben, §. 16 des Aus 
Dazu tritt jetzt noch das wichtige G. v. 9. Juni 
1895 (R. G. Bl., S. 256) über die Pflicht der 
Rechtshilfe aller Behörden für Erhebung und 
Beitreibung von Zöllen, Steuern, anderen öffent- 
lichen Abgaben sowie zur Durchführung des hier- 
auf bezüglichen Verwaltungsstrafverfahrens und 
für polizeiliche Geldstrafen. Uber Rechtshilfe in 
Zollsachen, gerichtlichen wie verwaltungsrechtlichen, 
mit Osterreich-Ungarn s. d. Handels-Vertr. v. 
6. Dez. 1901, Art. 10 und das beigefügte Zoll- 
kartell R. G. Bl. 1002, S. 6, 67/. — Vgl. 
auch Struckmann und Koch II, S. 570 ff. 
1 Ugl. oben, S. 77 
2 Laband IV, S. 379, sowie über die all- 
gemeinen Gesichtspunkte dieser Frage 1, ff., 
235 ff.: II, S. 192 ff.; Zorn I, 1 
  
führ. Ges. v. 24. April 1878; dazu Struck 
mann und Koch II, S. 489 ff. 
*7 Laband III, S. 380. 
*s Laband III, S. 346 ff., 398 ff.; Turnau, 
Justizverfassung in Preußen, 2 Bde. (1882). 
* Der Begriff „Bürgerliche Rechtsstreitigkeit“ 
ist weder reichsgesetzlich noch landesgesetzlich be- 
stimmt und seine Abgrenzung ist eines der schwie- 
rigsten theoretischen Probleme, s. dazu Laband III, 
S. 357 ff. und die dort zit. Literatur, besondere 
Wach, Zivilprozeß I1, S. 77 ff. und die zahl- 
reichen Entscheidungen des Reichsgerichts (Struck- 
mann und Koch II, S. 489 ff.); über Zu- 
lässigkeit des Nechteweges und Kompetengtonait 
Laband III, S. 363 ff., Wach I, S. 101.
	        
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