Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

680 Die Staatsbehörden. (SF. 102.) 
kanzler hinsichtlich des Oberreichsanwalts und der Reichsanwälte; b) der Landessjustiz- 
verwaltung hinsichtlich aller staatsanwaltschaftlichen Beamten des betreffenden Bundes- 
staates; c) den ersten Beamten der Staatsanwaltschaft bei den Oberlandesgerichten und 
den Landgerichten hinsichtlich aller Beamten der Staatsanwaltschaft ihres Bezirks. Die 
Staatsanwälte dürfen richterliche Geschäfte nicht wahrnehmen; auch darf ihnen eine 
Dienstaufsicht über die Richter nicht übertragen werden. Im Falle der Behinderung 
eines Beamten der Staatsanwaltschaft ist für Geschäfte, welche keinen Aufschub gestatten, 
nötigenfalls von dem Vorstande des Gerichts ein Vertreter zu bestellen; zur Ubernahme 
einer solchen Vertretung sind die Beamten des Gerichts, einschließlich der Richter, ver- 
pflichtet. 
III. Die örtliche Zuständigkeit der Beamten der Staatsanwaltschaft wird durch 
die örtliche Zuständigkeit des Gerichts bestimmt, für welches sie bestellt sind.“ Ein un- 
zuständiger Beamter der Staatsanwaltschaft hat sich denjenigen innerhalb seines Bezirks 
vorzunehmenden Amtshandlungen zu unterziehen, in Ansehung welcher Gefahr im Ver- 
zuge obwaltet. Die sachliche Zuständigkeit der Beamten der Staatsanwaltschaft erstreckt 
sich vor allem auf: 1 
1. Strafsachen. Die Staatsanwaltschaft ist zur Erhebung der öffentlichen Klage 
berufen, durch welche die Eröffnung einer gerichtlichen Untersuchung bedingt ist. Sie ist, 
soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist ", verpflichtet, wegen aller gerichtlich straf- 
baren und verfolgbaren Handlungen einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhalts- 
punkte vorliegen.“ Die einzelnen Richtungen, in welchen die Staatsanwaltschaft für die 
Erhebung und Verfolgung der öffentlichen Klage tätig wird, ergeben sich aus der Deutschen 
  
1 §. 148 a. a. O. — Daß der Grundsatz der 
Einheitlichkeit der Staatsanwaltschaft nicht für 
das gesamte Deutsche Reich, sondern nur für 
jeden Einzelstaat durchgeführt ist, folgt daraus, 
daß zwar die Gerichtsorganisation durch Reichs- 
gesetz festgestellt, ihre Gestaltung und Ausführung 
aber grundsätzlich den Einzelstaaten Überlassen 
wurde. Die Reichsanwaltschaft hat demnach 
keinerlei Einfluß auf die Staatsanwaltschaften der 
Einzelstaaten, außer in den zur ausschließlichen 
Zuständigkeit des Reichsgerichts gehörigen Straf- 
sachen (s. oben, S. 676) und in dem Falle des 
§. 144, Abs. 3 (s. unten, N. 5). Selbstverständ- 
lich kann es der Reichsanwaltschaft indes nicht 
verschränkt werden, den Justizaufsichtsbehörden 
Mitteilungen zu machen, zu melchen sie sich eben 
durch die einzelnen an sie gelangenden Rechts- 
sachen veranlaßt findet. (Vgl. die Begründung 
zum §. 119 des Entw. des Gerichtsverf. Ges. in 
den Stenogr. Ber. a. a. O., S. 80, Sp. 2.) 
2 F. 152 des D. Gerichtsverf. Ges. 
3 S. 66 des Ausführ. Ges. v. 24. April 1878. 
4 S. 144, Abs. 1 des D. Gerichtsverf. Ges. 
5 F. 144, Abs. 2 a. a. O. — Wenn die Be- 
amten der Staatsanwaltschaft verschiedener Einzel- 
staaten sich nicht darüber einigen können, wer 
von ihnen die Verfolgung zu übernehmen hat, 
so entscheidet der ihnen gemeinsam vorgesenzte Be- 
amte der Staatsanwaltschaft und in Ermangelung 
eines solchen der Oberreichsanwalt (§. 144, Abs. 3 
a. a. O.). Gehören sie demselben Einzelstaate 
an, so fällt die Entscheidung eines solchen nega- 
tiven Kompetenzkonflikto unter die allgemeine 
Leitung und Aufsicht. 
* Die öffentliche Klage wird wegen Beleidi- 
gungen und Körperverletzungen, deren Verfolgung 
nur auf Antrag eintritt, blos dann erhoben, wenn 
dies im öffentlichen Interesse liegt §. 416 der 
D. Strafprozesz- S.). 
  
88. 151, 152 der D. Strafprozeß= O. — 
Das sogen. Anklagemonopol der Staatsanwalt= 
schaft erleidet eine dreifache Einschränkung: 
a) Wenn die Staatsanwaltschaft einem Antrage 
auf Erhebung der öffentlichen Klage keine Folge 
gibt oder nach dem Abschlusse der vorläufigen 
Ermittlungen die Einstellung des Verfahrens 
verfügt, so steht dem Antragsteller, falls er zu- 
gleich der Verletzte ist und auf seine Beschwerde 
von dem vorgesetzten Beamten der Staatsanwalt- 
schaft ablehnenden Bescheid erhalten hat, gegen 
den ablehnenden Bescheid binnen einem Monate 
der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu. für 
welche in den vor das Reichsgericht gehörigen 
Sachen das Reichsgericht, in anderen Sachen das 
Oberlandesgericht zuständig ist. Erachtet dieses 
den Antrag für begründet und beschließt es die 
Erhebung der öffentlichen Klage, so liegt die 
Durchführung des Beschlusses der Staatsanwalt- 
schaft ob (§§. 169—175 der D. Strafprozeß-O. 
b) Die Beleidigungen und Körperverletzungen. 
deren Verfolgung nur auf Antrag eintritt, können 
von dem Verletzten (oder demjenigen, welchem 
das Recht, selbständig auf Bestrafung anzutragen. 
beigelegt ist) im Wege der Privatklage verfolgt 
werden (§. 414 der D. Strafprozeß-O.). c) Wer 
nach Maßgabe der Bestimmung des S. 414 als 
Privatkläger aufzutreten berechtigt ist, wer durch 
einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung (val. 
zu a) wegen einer gegen sein Leben, seine Ge- 
sundheit, seine Freiheit, seinen Personenstand oder 
seine Vermögensrechte gerichteten strafbaren Hand- 
lung die Erhebung der öffentlichen Klage herbei- 
geführt hat, und wer berechtigt ist, die Zuerken- 
nung einer Buße zu verlangen, kann sich der 
erhobenen Klage in jeder Lage des Verfabrens 
als Nebenkläger anschließen (§. 435, 443 der 
D. Strafprozeß-O.).
	        
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