Die Staatsbehörden.
692 G. 104.)
Infolgedessen wurden Advokaten zu Anwälten (Advokatanwälten) ernannt. Die Zahl
der letzteren war bei jedem Gerichte beschränkt, die der ersteren war unbeschränkt. Jeder
Rechtskundige, welcher die große Staatsprüfung bestanden hatte, wurde nach seiner Wahl
zum Gerichtsassessor oder Advokaten ernannt.! Ein Anwaltszwang bestand für alle
Kollegialgerichte, nicht aber für die vor Handelsgerichten zu verhandelnden bürgerlichen
Rechtsstreitigkeiten.?
Eine Organisation der Rechtsanwaltschaft war zuerst im Bezirke des Appellations-
gerichtshofes zu Cöln durch die Verordnung v. 7. Juni 1844, betreffend die Ausübung
der Disziplin über Advokaten und Anwälte 2, und in den übrigen damaligen Provinzen
der Monarchie durch die Verordnung v. 30. April 1847 über die Bildung eines Ehren-
rates unter den Justizkommissarien, Advokaten und Notarien gegeben. Beide Verord-
nungen waren durch die §§. 66—77 des Gesetzes v. 21. Juli 1852, betreffend die
Dienstvergehen der nicht richterlichen Beamten 5, modifiziert. Durch den §. 4 des Gesetzes
v. 26. März 1856“ war für die Rechtsanwälte beim Obertribunal ein Ehrenrat, nach
Maßgabe der Verordnung v. 30. April 1847 und der dieselbe abändernden und er-
gänzenden Bestimmungen, eingeführt. Auf die Rechtsanwälte in der Provinz Schleswig-
Holstein, dem vormaligen Kurfürstentume Hessen, dem vormaligen Herzogtume Nassau und
der vormaligen freien Stadt Frankfurt a. M. waren die in den alten Provinzen gelten-
den Vorschriften der Verordnung v. 30. April 1847 und des Gesetzes v. 21. Juni
1852 mit einigen Abänderungen durch die Verordnung, betreffend die Ausdehnung der
preußischen Disziplinargesetze auf die Beamten in den neuerworbenen Landesteilen v.
23. Sept. 1867, Art. V7, ausgedehnt. In dem vormaligen Königreiche Hannover be-
ruhte die Organisation der Rechtsanwaltschaft auf dem Gesetze v. 8. Nov. 1850, be-
treffend die Errichtung von Anwaltskammern, welche durch das spätere Gesetz v. 31. März
1859 8 abgeändert war. Dieses letztere hatte durch die bereits erwähnte Verordnung v.
23. Sept. 1867 nur unwesentliche Abänderungen erlitten.
II. Durch die Rechtsanwaltsordnung v. 1. Juli 18787 sind nunmehr die
Verhältnisse der Rechtsanwaltschaft für das Gebiet des Deutschen Reiches ein-
heitlich und neu geregelt worden. 10
Die Rechtsanwaltsordnung v. 1. Juli 1878 geht bezüglich der Organisation der
Rechtsanwaltschaft von dem Grundsatze der Freiheit der Anwaltschaft, modifiziem
durch die Lokalisierung dieser Freiheit, aus. Das einheitliche deutsche Recht beruht
jetzt auf folgenden Grundsätzen:
1. Frei ist der Zugang zur Rechtsanwaltschaft für jedermann, der
die Befähigung zum Richteramt erworben hat;
1 G. v. 6C. Mai 1869, §. 11 (G. S. 1869, Kommentare zur Rechtsanwalts-O.: J. Völk,
S. 656). Die Rechtsanwaltdordnung für das D. Reich.
* Code de proc. cir., Art. 9, 85, 414, Mit Erläut. unter Berücksichtigung der Protokolle
Colde de comm., Art. 627. der Reichstagskomm. (Nördlingen, 18781. —
* G. S. 1844, S. 175. M. Delius, Die Rechtsanwaltsordnung für das
1 G. S. 1847, S. 196. D. Reich v. 1. Juli 1878, mit Erläuter. aus
(GCG. S. 1852, S. 165. den Materialien des Gesetzes (Leipzig, 18790. —
G. S. 1856, S. 201. R. Sydow, Rechtsanwaltsordnung für das D.
G. S. 18607, S. 1613. Reich. Textausgabe mit Anmerk. u. Sachregister.
* G. S. für Hannover 1859, S. 239. 4. Aufl. bearbeitet von E. Moeoler (Berlin, 1187//1.
° R. G. Bl. 1878, S. 177 ff. — Agl. den — W. Turnau, Die Rechtsanwaltsordunung, in
Entwurf der Rechtsanwalts-O. (nebst Motiven) dessen Justizverfassung in Preußen (Berlin u.
in den Stenogr. Ber. des Reichvt. 1978, Bd. 1III, Leipzig, 1880), Tl. II. S. 141 ff.
Aktenst. Nr. 5, S. 60 ff., den Komm. Ber. v. 1° Zur Ausführung der Rechtsanwalts-O. hat der
18. April 1878, ebendaf., Bd. IV, Aktenst. Nr.
173, S. 1088 ff., und die Verhandl. darüber
in den Sit des Reichst. v. 11., 13., 21. und
23. Mai 1978 Stenogr. Ber. des Reichst. 1878,
Bd. II. S. 1237—605, 1260—178, 1461—76 u.
S. 1.100.. Die Grbührenordnung für Rechts-
anwalte ist v. 7. Juli 1970 (R. G. Bl., S. 170 fl.).
Justizminister das Zirk. Reskr. v. 25. Juni 1875
(Just. Min. Bl. 1879, S. 151 ff.) erlassen. Die
in den §§. 100—116 der Rechtsanwalts-O. ent-
haltenen Ubergangobestimmungen, sowie die dier-
auf bezüglichen Bestimmungen der Verordnung
v. 25. Juni 1579 G. S. 1879, S. 387) haden
ihre Erledigung gefunden.