Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

694 Die Staatsbehörden. (8. 104.) 
lassung erfolgt bei einem bestimmten Gerichte (§. 8 a. a. O.); diese Lokalisierung ist un- 
bedingt maßgebend für den Anwaltsprozeß, in welchem nur ein bei dem Prozeßgerichte 
zugelassener Rechtsanwalt die Vertretung als Prozeßbevollmächtigter übernehmen kann. 
Außerhalb des Anwaltsprozesses aber ist auf Grund der Zulassung bei einem Gerichte 
der Rechtsanwalt befugt, vor jedem Gerichte innerhalb des Reiches Verteidi- 
gungen zu führen, als Beistand aufzutreten und, insoweit eine Vertretung 
durch Rechtsanwälte nicht geboten ist, die Vertretung zu übernehmen. Darin 
kommt trotz der „Lokalisierung" das Prinzip des Bundesstaates zu starkem Aucsdruck. 
Andererseits kommt nur Landesrecht zur Anwendung, soweit das Verfahren nicht durch 
Reichsgesetze, insbesondere die Prozeßordnungen, geregelt ist. Auch im Anwaltsprozesse 
kann in der mündlichen Verhandlung jeder Rechtsanwalt die Ausführung der Partei- 
rechte, und für den Fall, daß der bei dem Prozeßgerichte zum Prozeßbevollmächtigten 
bestellte Rechtsanwalt ihm die Vertretung überträgt, auch diese übernehmen (88§. 26, 
27 a. a. O.). Unter besonderen Voraussetzungen ist die gleichzeitige Zulassung eines 
Rechtsanwalts bei mehreren Gerichten zulässig (§§. 9— 12 a. a. O.). Uber den 
Antrag auf Zulassung entscheidet der Justizminister, nachdem er den Vorstand der 
Anwaltskammer gutachtlich gehört hat (§. 3 a. a. O.). Bei Versagung der Zulassung 
muß der Bescheid den Grund der Versagung angeben (§. 16, Abs. 1 a. a. O.); wird 
die Zulassung nach dem Gutachten des Vorstands der Anwaltskammer aus einem der im 
§. 5, Nr. 4, 5, 6 bezeichneten Gründe versagt, so ist auf Verlangen des Antragstellers 
über den Grund der Versagung im ehrengerichtlichen Verfahren zu entscheiden (§F. 16, 
Abs. 2 a. a. O.). Durch den Justizminister erfolgt auch die Zurücknahme der Zulassung 
nach Anhörung des Rechtsanwalts und des Vorstands der Anwaltskammer (§. 23 
a. a. O.). Bei jedem Gerichte wird eine Liste der bei demselben zugelassenen Rechts- 
anwälte geführt; die Eintragungen werden von dem Gerichte auf Kosten des Rechts- 
anwalts durch den Deutschen Reichsanzeiger bekannt gemacht; mit der Eintragung be- 
ginnt die Befugnis zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft (§. 20 a. a. O.). — Die 
Stellvertretung eines an der Ausübung seines Berufs zeitweise verhinderten Rechtsanwalts 
kann nur einem Rechtsanwalte oder einem Rechtskundigen, welcher bereits mindestens zwei 
Jahre im Vorbereitungsdienste beschäftigt war, übertragen werden (§. 25 a. a. O.). 
Die Rechtsanwälte werden nach der ersten Zulassung in einer öffentlichen Sitzung 
des Gerichts, bei welchem sie zugelassen sind, auf gewissenhafte Erfüllung ihrer- Pflichten. 
beeidigt (J. 17 a. a. O.). Sie sind verpflichtet, ihre Berufstätigkeit gewissenhaft aus- 
zuüben und durch ihr Verhalten in Ausübung des Berufs sowie außerhalb desselben. 
sich der Achtung würdig zu zeigen, welche ihr Beruf erfordert (§. 28 a. a. O.).à Sie 
müssen an dem Orte des Gerichts, bei welchem sie zugelassen sind, ihren Wohnsitz nehmen“ 
  
nahme kann im Falle des §. 5, Nr. 1 unter- 
bleiben, wenn der daselbst bezeichnete Versagungs- 
grund nicht mehr vorliegt. Die Zulassung bei 
einem Gerichte, an dessen Ort der Rechtsanwalt 
nicht wohnhaft ist, muß zurückgenommen werden, 
wenn der Rechtsanwalt einen Monat lang ver- 
säumt hat, einen dort wohnhaften Zustellungs- 
bevollmächtigten zu bestellen (§. 21 der Rechts- 
anwalts-O.). Die Zulassung kann zurückgenom- 
men werden, wenn der Rechtsanwalt infolge ge- 
richtlicher Anordnung in der Verfügung über sein 
Vermögen beschränkt ist (s. 22 a. a. O.). 
1 §. 26 Rechtsanwalts-O. Durch das Zirk. Restr. 
des Justizmin. v. 28. Juni 1879 (Just. M. Bl. 1879, 
S. 153) ist in dem Geltungsbereiche der Verordnung 
v. 2. Jan. 1849 und in den Bezirken der Appell.= 
Gerichte zu Kiel, Kassel und Wiesbaden die Be- 
fugnis zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft für 
die bei den Amtsgerichten zu verhandelnden An- 
gelegenheiten, auf welche die deutschen Prozeß- 
ordnungen nicht Anwendung finden, allen Rechts- 
anwälten erteilt worden, welche bei dem Land- 
  
gerichte des Bezirks oder bei einem Amtsgerichte 
im Bezirke desselben zur Rechtsanwaltschaft zu- 
gelassen sind. 
: Über das in dieser Beziehung zu brobachtende 
Verfahren vgl. Nr. IV des Zirk. Reskr. des Justiz- 
ministers v. 28. Juni 1879 (Just. Min. Bl. 1879, 
S. 151). Ein die Zulassung zurücknehmender 
Bescheid muß den Grund der Zurücknahme an- 
geben (F. 23, Abs. 2, Rechtsanwalts-O.). 
Über die Ausführung dieser Bestimmung ogl. 
das Zirk. Reskr. des Justizmin. v. 19. April 1880 
(Just. Min. Bl. 1880, S. 88). 
4 Zur Führung von Dienstsiegeln sind die 
Rechtsanwälte nicht berechtigt. 
5 Über die grundsätzliche Bedeutung dieser Vor- 
schriften s. unten, IV. Vgl. auch Bölk, Komm. 
S. 60 ff. über politische Tätigkeit der Rechts- 
anwälte und deren Beziehung auf §. 28. 
* Der Justizminister kann Ausnahmen hiervon 
gestatten; siehe die Verordnung v. 3. Okt. 1892 
(Just. Min. Bl., S. 304); der nicht am Orte
	        
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