704 Die Staatsbehörden. (8. 105.)
sidenten und einen Stellvertreter desselben, jedesmal auf ein Jahr. Sämtliche Mitglieder
verwalteten ihr Amt unentgeltlich. Jedes Gewerbegericht hatte einen Gerichtsschreiber
und einen besonders bei ihm fungierenden Gerichtsvollzieher. Die Geschäfte des Ge-
werbegerichts wurden teils von einer Vergleichskammer (bureau particulier), teils von
dem Gerichte selbst (bureau général) ausgeführt. Alle Zivilstreitigkeiten, welche zur
Kompetenz des Gewerbegerichts gehörten, mußten zunächst vor die Vergleichskammer ge-
bracht werden, und erst dann, wenn hier der Vergleich nicht gelang, wurde die Sache
zur Entscheidung an das Gewerbegericht verwiesen, welches durch die Versammlung aller
Mitglieder gebildet war. Um gültig verhandeln zu können, mußten mindestens zwei
Drittel gegenwärtig sein. Die Minister des Handels und der Justiz waren ermächtigt,
die beschlußfähige Zahl der Richter für jedes Gewerbegericht, auf Antrag, dauernd auf
fünf zu vermindern. Auf die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, welche zur Zuständigkeit
der rheinischen Gewerbegerichte gehörten, fanden die Vorschriften der Deutschen Zidvil-
prozeßordnung über das Verfahren in den zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehörigen
Angelegenheiten Anwendung. Die Zulässigkeit der Berufung war durch einen 80 Mark
übersteigenden Wert des Streitgegenstandes bedingt. Für die Verhandlung und Entscheidung
über die Rechtsmittel der Berufung und der Beschwerde war das Landgericht, in deissen
Bezirk das Gewerbegericht seinen Sitz hat, zuständig. Gegen ein Endurteil des Land-
gerichts war ein weiteres Rechtsmittel nicht zulässig, gegen sonstige Entscheidungen des
Landgerichts die Beschwerde an das Oberlandesgericht.! Nach dem Vorbilde dieser
rheinisch-französischen Einrichtung ist die spätere Reichsgesetzgebung in
dieser Materie gestaltet worden.
II. Wie im Bezirke des Appellationsgerichtshofes zu Cöln, so wurde, infolge der
Bestimmung des Art. 91 der Verfassungsurkunde, auch in denjenigen Landesteilen der
preußischen Monarchie, für welche die Verordnung v. 2. Jan. 1849 über die anderweitige
Organisation der Gerichte? ergangen war, durch den §. 18 dieser Verordnung angeordnet,
daß an Orten, wo ein Bedürfnis bestand, besondere Gewerbegerichte, in welchen die
Rechtspflege durch sachkundige, von den Berufsgenossen frei gewählte Richter verwaltet
oder mit verwaltet wird, eingerichtet werden sollten. Infolgedessen bestimmte sodann die
Verordnung v. 9. Febr. 1849 über die Errichtung von Gewerbegerichten , daß für jeden
Ort oder Bezirk, wo wegen eines erheblichen gewerblichen Verkehrs ein Bedürfnis dazu
obwaltet, auf den Antrag von Gewerbetreibenden, nach Anhörung der gewerblichen und
kaufmännischen Korporationen und der Gemeindevertreter, ein Gewerbegericht, nach Ein-
holung der Genehmigung des Königs, errichtet werden solle (§. 1). Diese Gewerbe-
gerichte sollten dazu bestimmt sein, Streitigkeiten der selbständigen Gewerbetreibenden mit
ihren Gesellen, Gehilfen und Lehrlingen, ingleichen Streitigkeiten der Fabrikanten mit
den von ihnen beschäftigten Werkführern und Fabrikarbeitern, Fabriklehrlingen und Fabrik-
gehilfen, soweit der Streit den Antritt oder die Auflösung des Dienstverhältnisses oder
gegenseitige Leistungen während der Dauer desselben oder solche Ansprüche, welche aus
dem Arbeits= oder Lehrverhältnisse herrühren, betrifft, gütlich zu vermitteln oder nötigen-
falls durch Erkenntnis zu entscheiden (§. 2). Die Mitglieder dieser Gewerbegerichte
sollten zu einem Teile aus der Klasse der Arbeitgeber, zum anderen Teile aus der Klasse
der Arbeitnehmer von den im Gerichtsbezirke wohnenden Arbeitgebern und Arbeitnehmern
gewählt werden (I§. 4, 11 und 12 und ihr Amt unentgeltlich verwalten (S. 13·. Die
bei dem Gewerbegerichte angemeldeten Streitigkeiten sollten zunächst einem Vergleichsaus-
schusse überwiesen werden, und erst wenn der Vergleichsversuch mißlingt, zur weiteren
Verhandlung und Entscheidung an das Gewerbegericht gelangen (8§. 26, 40, 43. Auf
GGrund dieser Verordnung sind demnächst eine Anzahl von Gewerbegerichten durch Aller-
Verpackung für die ganze Rheinprovinz, mit Auss 3 G. S. 1849, S. 110. Diese Verordnung
schluß der Kreise Nees und D ioburg (Verord= hat laut Bekanntmachung des Staatemin. v.
nung v. 18. Ang. 1847, G. S. 1817, S. 335). 20. Jan. 1850 (G. S. 1850, S. 16 nachträglich die
1 S. 10 des Ausführ. Ges. v. 24. März 1870 Genehmigung der Kammern erhalten. Uber alterr
zur J. Zivilprozeß= O. (G. S. 1879, S. 281. Einrichtungen dieser Art in Preußen s. Sticde
2 G. S. 1949, S. 1 ff. bei Conrad, Handwörterb., Md. III. S. 53.