Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

706 Das Staatsbürgerrecht. (S. 105.) 
IV. Nach dem nunmehr geltenden Rechte sind die Gewerbegerichte reichsgesetzlich 
bestimmt zur Entscheidung von „gewerblichen Streitigkeiten“, und zwar a) zwischen 
Arbeitern und ihren Arbeitgebern, b) zwischen Arbeitern desselben Arbeit- 
gebers (§. 1, Abs. 1). Der Begriff Arbeiter ist gesetzlich bestimmt (§. 3); es gehören 
dazu a) alle Arbeiter, auf die Tit. VII der Gewerbeordnung Anwendung findet; b# alle 
Betriebsbeamte, Werkmeister und mit höheren technischen Dienstleistungen betraute An- 
gestellte, deren Jahresarbeitsverdienst an Lohn oder Gehalt 2000 Mark nicht übersteigt. Der 
Begriff Arbeitgeber ist im §. 16 nur für die Wahlen näher bestimmt (vgl. dazu noch be- 
züglich der Krankenversicherungsbeiträge die Erweiterung im §. 83). 
1. Die Errichtung erfolgt durch Ortsstatut, also durch Rechtssetzung der Ge- 
meinde; in Gemeinden, die nach der letzten Volkszählung 20 000 Seelen haben, muß 
die Errichtung geschehen. Das Statut bedarf der staatlichen Genehmigung durch die 
höhere Verwaltungsbehörde, die binnen sechs Monaten zu erteilen ist. Mehrere Ge- 
meinden können sich zur Errichtung eines Gewerbegerichts vereinigen; auch kann ein 
solches für einen höheren Kommunalverband errichtet werden (§8§. 1, 2, dazu über die 
„höhere Verwaltungsbehörde“ §. 88, Abf. 2). 
Ausnahmsweise kann auf Grund bestimmter gesetzlicher Voraussetzungen ein Ge- 
werbegericht auch durch die Landeszentralbehörde errichtet werden (§. 1, Abs. 5); für 
Bergwerke, Salinen, Aufbereitungsanstalten, unterirdisch betriebene 
Brüche und Gruben erfolgt die Errichtung der Gewerbegerichte immer 
durch die Landeszentralbehörde, die auch den Vorsitzenden und Stellvertreter er- 
neunt und die Kosten trägt, soweit sie in den Einnahmen nicht Deckung finden (§. 82, 
der auch noch einige anderweite Modifikationen der allgemeinen gesetzlichen Vorschriften 
für diese besondere Art von Gewerbegerichten gibt).1 
Bestehende Gewerbegerichte waren nach Maßgabe von §. 13 des Gesetzes zu 
reorganisieren, widrigenfalls sie der Auflösung anheimfielen (§. 85). 
Das Gewerbegericht kann in mehrere Abteilungen mit besonderen Vorsitzenden ge- 
gliedert werden (§. 10, Abs. 2); seine Funktionen können sachlich auf bestimmte Betriebe, 
örtlich auf bestimmte Bezirke begrenzt werden (F. 7). 
2. Das Gewerbegericht besteht aus dem Vorsitzenden und mindestens einem Stell- 
vertreter sowie mindestens vier Beisitzern (§. 10, Abs. 1). 
Der Vorsitzende und die Stellvertreter dürfen weder Arbeitgeber noch Arbeiter 
sein; sie werden durch den Magistrat, beziehungsweise die Gemeindevertretung, be- 
ziehungsweise — im Falle von §. 1, Abs. 4 — durch die Vertretung des höheren Kom- 
munalverbandes auf mindestens ein Jahr gewählt (§. 12). 
Alle Mitglieder des Gerichts sollen a) das 30. Lebensjahr vollendet haben, b) müssen 
die Fähigkeit zum Schöffenamt nach Gerichtsverfassungsgesetz §§. 31, 32 besitzen (dürfen 
nicht dazu „unfähig“ sein), sollen c) in dem der Wahl vorangegangenen Jahre nicht 
für sich oder ihre Familie Armenunterstützung empfangen haben; die Beisitzer sollen end- 
lich d) seit mindestens zwei Jahren im Gerichtsbezirke wohnhaft oder beschäftigt gewesen 
sein (§. 11). 
Die Beisitzer werden gewählt und müssen zur Hälfte Arbeitgeber, zur 
Hälfte Arbeiter sein; die Wahl ist unmittelbar und geheim, erfolgt auf mindestens ein 
und höchstens sechs Jahre durch die betreffende Kategorie; Wiederwahl ist zulässig (S. 13. 
Wahlberechtigt ist, wer a) das 25. Lebensjahr vollendet hat, b) im Bezirke des 
Gerichts wohnt oder beschäftigt ist, c) nicht unfähig zum Schöffenamte ist, d) im Falle 
des §. 7 dem bestimmten Betriebe angehört, e) nicht einer Innung angehört, für die 
ein Innungsschiedsgericht nach Gewerbeordnung, §. 81b, Nr. 4 und 8§. 91 u. 91b 
besteht (§. 14).2 « « 
  
belmi und Fürst; vgl. Stieda im Jahrbuch gerichte beruhen, Stieda bei Conrad, Hand- 
für National-Okonomie, 3. F., Bd. II, S. 69 ff., wörterb., Bd. III, S. 952. 
209 ff. *#ber den Vorbehalt für Innungen und In- 
1 Vgl. über diese „Berufsgerichte“, die auf nungoaschiedsgerichte als gewerbliche Berufsgerichtr 
dem gleichen Gedanken wie die Innungsschieds= s. unten, Ziff. 10, sowie Stieda a. a. O.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.