Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Die besonderen Zivilgerichte. (8. 105.) 709 
bestimmen die 88. 58 — 60 in genauen Festsetzungen, die durch ihre niedrigen Beträge 
gleichfalls einer möglichsten Erleichterung und Beschleunigung dieser Gerichtsbarkeit dienen 
sollen. Die ordentlichen Gerichte haben den Gewerbegerichten vollständige Rechtshilfe zu 
leisten (8. 61). 
7. Außer den dargelegten Funktionen haben die Gewerbegerichte ferner auf An— 
rufen als Einigungsämter zwischen Arbeitgebern und Arbeitern behufs 
Fortsetzung oder Wiederaufnahme des Arbeitsverhältnisses tätig zu werden 
und die Bedingungen hierfür festzusetzen (§. 62). Von einer „Gerichtsbarkeit“ ist jedoch 
hier keine Rede; es fehlt jeder Gerichtszwang, die Sache beruht vielmehr nur auf dem 
freien Belieben der streitenden Teile und wird hier nur deshalb kurz skizziert, weil sie 
in das Gewerbegerichtsgesetz aufgenommen ist. Rufen beide Teile das Einigungsamt an 
und bestellen Vertreter, die den gesetzlichen Erfordernissen (§. 63, Abs. 2 u. 3) genügen, 
zur Verhandlung, so muß der Anrufung Folge geleistet werden (§. 63, Abs. 1). Er- 
folgt die Anrufung nur von einem Teile, so ist hiervon durch den Vorsitzenden dem 
anderen Teile Mitteilung zu machen und darauf hinzuwirken, daß auch dieser sich zur 
Verhandlung bereit erkläre (§. 64). Auch in anderen Fällen von Arbeitsstreitigkeiten soll 
der Vorsitzende in gleicher Weise auf die Parteien behufs Anrufung des Einigungsamtes 
hinwirken (§. 65). Das Gewerbegericht als Einigungsamt besteht aus dem 
Vorsitzenden und aus unbeteiligten Vertrauensmännern, welche die Par- 
teien in gleicher Zahl bezeichnen, die aber eventuell, wenn eine Wahl durch die Par- 
teien nicht zu erreichen ist, der Vorsitzende auch ernennen kann (§. 67). Richtiger würde 
man demgemäß das Verhältnis dahin bestimmen: auf der Grundlage der Organisation 
der Gewerbegerichte kann die Bildung von Einigungsämtern stattfinden."“ Das Einigungs- 
amt hat eine möglichst eingehende Verhandlung herbeizuführen und daraufhin den 
Einigungsversuch zu machen (§. 68). Kommt die Einigung zustande, so ist deren 
Inhalt zu beurkunden, von sämtlichen Mitgliedern des Einigungsamtes und den Ver- 
tretern der Parteien zu unterzeichnen und zu veröffentlichen (§. 70); kommt keine Einigung 
zustande, so hat das Einigungsamt einen Schiedsspruch über alle streitigen Fragen 
abzugeben, eventuell die Erfolglosigkeit des Einigungsversuchs festzustellen und bekannt 
zu machen (§8. 71—73); insbesondere hat dies zu geschehen, wenn die Vertreter der 
beiden Parteien sich bei der Abstimmung geschlossen gegenüberstehen und der Vorsitzende, 
wozu er berechtigt ist, sich der Stimme enthält. Entscheidet der Vorsitzende in solchem 
Falle zugunsten der einen Partei, so fehlt doch jedes Zwangsmittel zur Durchführung 
dieser Entscheidung. 
8. Die Gewerbegerichte sind außerdem verpflichtet, für Staats= und 
Kommunalbehörden Gutachten über gewerbliche Fragen zu erstatten, können 
sich auch an diese Behörden wie an Kommnnalvbertretungen und gesetzgebende Körper- 
schaften mit selbständigen Anträgen über gewerbliche Dinge wenden (§. 75). 
9. Mangels eines zuständigen Gewerbegerichts können die Parteien in Streitig- 
keiten der oben, Ziffer 5 A, unter a und e bezeichneten Art — nicht in Sachen der 
sonstigen gewerbegerichtlichen Zuständigkeit — eine vorläufige Entscheidung des Ge- 
meindevorsteherss erwirken, die in Rechtskraft übergeht, wenn nicht binnen zehn Tagen 
Klage beim ordentlichen Gerichte erhoben wird. Die Entscheidung des Gemeindevorstehers 
kann von Amts wegen für vorläufig vollstreckbar erklärt werden. Für Vergleiche vor dem 
Gemeindevorsteher, sowie für dessen rechtskräftige oder vollstreckbare Entscheidungen tritt 
das Verwaltungszwangsverfahren ein (S§S. 76—78). An die Stelle des Gemeinde- 
vorstehers kann nach Maßgabe der 8§§. 79, 80 ein anderes gemeindliches Organ treten. 
  
1 S. hierzu Stieda bei Conrad, Handwörterb., werbegerichte, mit welchem es so oft verwechselt 
Rd. III, S. 37 ff. und die dort angegebene Lite-wird, hat das Einigungsamt nichts zu tun“; 
ratur; die neuere Entwicklung dieser Einrichtung dies geht nach der deutschen Gesetzgebung zu weit; 
beruht auf englischen Anregungen (Kettle, Mun= Kritik der letzteren S. 44. 
della). * S. über die Entwicklung dieses Gedankens 
* Stieda a. a. O., S. 38: „mit dem Ge= Stieda bei Conrad, Handwörterb., Bd. III, S. 951.
	        
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