Die Militärgerichtsbarkeit. (8. 106.) 721
erkennende Gericht erster Instanz wurde, wenn die Sache zur höheren Gerichtsbarkeit ge-
hörte, von dem kommandierenden General des Armeekorps berufen und bestand aus einem
Stabsoffizier, als Vorsitzenden, einem Hauptmann oder Rittmeister, zwei Auditeuren und
einem oberen Militärbeamten. Stand der Angeschuldigte im Range den Stabsoffizieren
gleich, so war ein General zum Präses zu bestellen und statt des Hauptmanns ein
Stabsoffizier zuzuziehen. Gehörte die Sache zur niederen Gerichtsbarkeit, so hatte der
zur Untersuchung zuständige Gerichtsherr auch das erkennende Gericht zu bestellen,
welches dann aus einem Hauptmann oder Rittmeister als Vorsitzenden, einem Leutnant,
zwei Militärunterbeamten oder Unteroffizieren und dem Auditeur oder untersuchung-
führenden Offizier bestand. Gegen die Erkenntnisse der Instanzengerichte war das Rechts-
mittel der Appellation und der Aggravation zulässig; das Erkenntnis zweiter Instanz
erfolgte alsdann durch das Generalauditoriat. Eine Bestätigung dieser Erkenntnisse fand
nicht statt.
Bei Truppenteilen, welche sich im Auslande befanden, oder welche im Falle einer
Mobilmachung ihre Standauartiere verlassen hatten, hatten die Auditeure eine gewisse,
wenngleich beschränkte Zivilgerichtsbarkeit, indem sie Handlungen der freiwilligen Gerichts-
barkeit jeder Art, sowohl von den Militärpersonen als auch von deren Angehörigen, auf-
nehmen und beglaubigen durften und Requisitionen und Vornahme gerichtlicher Ver-
handlungen jeder Art mit voller Wirkung zu erledigen berechtigt waren.?
Was die Marine betrifft, so bestanden zur Verwaltung der höheren Gerichtsbarkeit
drei Militärgerichte, nämlich: a) das Gericht der Marine (Korpsgericht) in Berlin;
b) das Gericht der Marinestation der Ostsee (Divisionsgericht) in Kiel; c) das Gericht
der Marinestation der Nordsee (Divisionsgericht) in Wilhelmshaven. Gerichtsherr bei
dem ersteren war der Chef der Admiralität mit der Gerichtsbarkeit eines kommandierenden
Generals der Landarmee; bei den beiden anderen der Chef der betreffenden Marinestation,
mit der Gerichtsbarkeit eines Divisionskommandeurs der Landarmee.
Die niedere Gerichtsbarkeit wurde verwaltet: a) bei dem Seebataillon von dem Ge-
richte des genannten Bataillons in Kiel; b) bei den Matrosendivisionen und den Werft-
divisionen der Ostsee= und Nordseeflotte von den Gerichten dieser Divisionen; c) bei den
in Dienst gestellten Kriegsschiffen ersten bis dritten Ranges und bei den Küstenflottillen-
divisionen, sowie bei den in Dienst gestellten Kriegsschiffen vierten Ranges, wenn sie
detachiert waren, endlich bei allen außerhalb der heimischen Gewässer fahrenden Schiffen
und Fahrzeugen war den betreffenden Kommandanten die niedere Gerichtsbarkeit verliehen.“
Zu der Stelle eines richterlichen Militärjustizbeamten konnte nur berufen werden, wer
die Befähigung zur Bekleidung eines Richteramtes in einem deutschen Bundesstaate er-
worben hatte.“ Nach der Verwaltungspraxis hatte der Anstellung eine Beschäftigung von
mindestens sechs Monaten bei einem Militärgerichte voranzugehen.“ Die Ernennung der
Auditeure des preußischen Heeres erfolgte durch den König auf den von dem Kriegsminister
und dem Justizminister gemeinschaftlich vorzulegenden Vorschlag des Generalauditeurs der
Militärstrafgesetzb. (1858), S. 180, Nr. 13),
suchungen gegen Militärbeamte, mit Ausnahme
der richterlichen Militärjustizbeamten, werden von
den Militärdisziplinarbehörden (Reichsbeamten-
gesetz v. 31. März 1873, §§. 120—123, R. G.
Bl. 173, S. 61) geführt.
1 Militärstrafgesetzb., Tl. II, ss. 68—71.
: A. a. O., §§. 72, 225, 226.
2 Art. VIII des Ges. v. 26. April 1851
(G. S. 1851, S. 185), G. v. 8. Juni 1860,
Abschn. 1 (G. S. 1860, S. 240), verbunden mit
§. 111 des Ausführ. Ges. v. 24. April 1878
zum D. Gerichtsverf. Ges., und §. 39, Abs. 3,
#§. 44 des Reichsmilitärges. v. 2. Mai 1874 (R.
G. Bl. 1874, S. 45).
* Allerhöchster Erlaß v. 13. Juni 1850, betr.
die Verwaltung der Militärgerichtsbarkeit in der
Marine (Militärwochenbl. 1850, S. 156, Fleck,
v. Rönne-Zorn, Preuß. Staatsrecht. 5. Aufl. II.
Regul. v. 30. April 1861 über die Geschäfts-
führung und die Ressortverhältnisse der oberen
Marinebehörden, §. 9 (M. Bl. d. i. Verw. 1861,
S. 153, Fleck, a. a. O., S. 278, Nr. 64). Ver-
ordnung v. 6. Mai 1864, betr. die Handhabung
der Militärrechtspflege auf den in Dienst gestellten
Schiffen der Marine (Fleck, a. a. O., S. 306,
Nr. 77), Kab. O. v. 25. Nov. 1866, betr. die
Gerichtsbarkeit des Marinedepotdirektors zu Geeste-
münde (Militärwochenbl. 1866, S. 536, Fleck,
a. a. O., S. 329, Nr. 88).
* S. 7 des Reichsmilitärges. v. 2. Mai 1874
(R. G. Bl. 1874, S. 45).
* Kab. O. v. 5. Mai 1838 (v. Kamptz,
Jahrb., Bd. XLI, S. 395). Vgl. Jahrb. der
Preuß. Gerichtsverf., Jahrg. 1 (1851), S. 312,
Jahrg. IX (1870), S. 112.
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