Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Rechtsverhältnisse des niederen Adels. (§. 52.) 71 
Kampf der Stände unter sich, zu vernichten, und gesetzlich die Möglichkeit aufzustellen, 
daß jeder im Volke seine Kräfte frei in moralischer Richtung entwickeln könne"“. 1 Die 
hiervon ausgehende, an das Edikt v. 9. Okt. 1807 sich anreihende Reformgesetzgebung 
aus der Stein-Hardenbergschen Periode brachte mehr und mehr die Idee der staats- 
bürgerlichen Gleichheit vor dem Gesetze zur Geltung, und die Vorrechte des Adels 
vor anderen Staatsbürgern bestanden seitdem im wesentlichen nur noch in der Befugnis 
zur Führung adeliger Prädikate. Jene seit dem Jahre 1807 angebahnten Prinzipien 
der Entwicklung des allgemeinen Staatsbürgertums an Stelle der kastenartigen Sonderung 
der Stände haben dann schließlich ihren allgemeinen Ausdruck gefunden in dem Aus- 
spruche des Art. 4 der Verfassungsurkunde, welcher die Gleichheit aller Preußen vor 
dem Gesetze anerkennt und zugleich alle Standesvorrechte für aufgehoben erklärt. 
Demnach stehen jetzt dem Adel keine Vorrechte vor anderen Staatsbürgern im Gebiete 
der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Berechtigungen mehr zu“; die Zulassung zu 
Staatsämtern kann demnach rechtlich in keinem Falle vom Adel abhängig gemacht werden, 
und dies gilt auch von den Hofämtern, da diese nicht für den Privatdienst des Monarchen 
bestehen, sondern einen Bestandteil seiner staatsrechtlichen Stellung als Staatsoberhaupt 
bilden.? Dagegen find diejenigen Rechte des Adels, welche als bloße Ehrenrechte 
anzusehen sind , nicht aufgehoben und ebensowenig die besonderen dem Adelsstande eigen- 
tümlichen Rechtsinstitute und Normen, insoweit sie nur von privatrechtlicher Be- 
deutung sind und keine solchen Bevorrechtigungen gewähren, die eine Rechtsungleichheit 
anderer Staatsbürger einschließen.? 
Auch das B. G. B. hat an diesem Rechtszustande 
  
1 Vgl. das Steinsche Rundschreiben v. 24. Nov. 
1808 (s. Bd. I. S. 38, dazu jetzt Lehmann, 
Freiherr vom Stein, Bd. II (1903), S. 606). 
* Dahin wirkte insbesondere die gesamte agra- 
rische und Gewerbegesetzgebung aus jener Zeit, 
wie auch die Städteordnung. Die Bevorzugung 
des Adels bei Besetzung der Offizierstellen wurde 
durch das Regl. v. 6. Aug. 1808 aufgehoben 
(s. ob. S. 3.) — „Der Adel“, bemerkt v. Bülow- 
Cummerow in der Schrift: lber die Verwaltung 
des Fürsten Hardenberg, S. 108, in betreff der 
Folgen dieser Gesetzgebung, „der Adel ist, so weit 
er von der Gesetzgebung abhängig war, ver- 
nichtet.“ 
3 Damit sind denn auch diejenigen Unter- 
scheidungen der früheren Gesetzgebung beseitigt, 
welche von dem Grundsatze der Standesun- 
gleichheit ausgingen. Es gehören dahin z. B. 
die Vorschriften der früheren Gesetze, nach welchen 
eine Ungleichheit der Strafarten nach den Stan- 
desklassen stattfand, sowie diejenigen, wonach in 
bezug auf die Bestrafung der Beleidigungen 
Unterschiede nach dem Stande des Beleidigten 
und des Beleidigers gemacht wurden. Diese im 
Gebiete der Strafgesetzgebung bestandenen Un- 
gleichheiten hat bereits das preuß. Str. G. B. 
v. 14. April 1851 beseitigt. 
4 Inöbesondere sind hiernach die in den §8§. 
34—79 A. L. R., II, 9 aufgeführten Vorrechte 
und die damit verbundenen Beschränkungen der 
Rechte anderer Staatsbürger, soweit überhaupt 
noch davon die Rede sein konnte, beseitigt. 
5* A. A. Bornhak, St. R. I, S. 294 f., 
vgl. Bd. J. S. 427. 
* Die Nat. Vers. hatte beschlossen, in den 
Art. 4 der Verf. Urk. die Sätze aufzunehmen: 
„Der Adel ist abgeschafft“", und: „Der Gebrauch 
adeliger Titel und Prädikate ist in öffentlichen 
Urkunden untersagt“ (vgl. Stenogr. Ber. der 
Nat. Vers., Bd. III, S. 1873—9981. Diese Sätze 
  
nahm indes der Art. 4 der Verf. Urk. v. 5. Dez. 
1848 nicht auf. Bei der Revision dieses Artikels 
kam im Zentralaussch. der I. K. zur Sprache, 
ob die Bestimmung aufzunehmen sei: „Der Adel 
darf nicht weiter verliehen, noch aberkannt wer- 
den“, was indes abgelehnt wurde, weil, da der 
Art. 4 die Standesvorrechte aufhebe, kein Grund 
vorliege, die Verleihung des Adels im Sinne 
des Art. 48 (jetzt Art. 50) ferner nicht zu ge- 
statten, wogegen der Ausdruck: „Erhebung in 
den Adelsstand“ nicht mehr gebraucht werden dürfe; 
eine Aberkennung des Adels aber schon nach 
Art. 4 nicht mehr vorkommen könne“ (s. Stenogr. 
Ber. der Il. K. 1849—50, Bd. II, S. 644). Der 
Art. 50 aber hat die Bestimmung ausgenommen, 
daß dem Könige die Verleihung von mit Vor- 
rechten nicht verbundenen Auszeichnungen zusteht. 
Zu diesen „Auszeichnungen“ gehört auch kraft 
einer alten, überall in Deutschland anerkannten 
Tradition der Adel. Somit wird also der Adel 
von der Verfassung als eine mit anderen Vor- 
rechten nicht verbundene Auszeichnung aner- 
kannt und demgemäß kann auch von einer „Er- 
hebung"“ in den Adelsstand gesprochen werden. 
Vgl. Schwartz, Verf. Urk., S. 143 f. 
7 Der Art. 4 der Verf. Urk. will, wie schon 
ob. S. 3 ff. bemerkt worden, nur die Idee der 
Gleichheit der Staatsbürger vor dem Gesetze zum 
Ausdruck bringen. Es haben dadurch nur Be- 
vorzugung oder Zurücksetzung im Rechte wegen 
der Geburt, namentlich die schon seit dem Ed. 
v. 9. Okt. 1807 unpraktisch gewordenen Vor- 
rechte und Ausschließungen im Staats= und Pri- 
vatrechte, abgeschafft werden sollen. Dagegen hat 
der Grundsatz der Gleichheit auf die besonderen 
Privatrechte der früheren Geburtsstände und der 
Berufsstände keine Beziehung, sondern die eigen- 
tümlichen Institute und Rechtsnormen der Ge- 
burts- und Berufsstände — die jura singularia 
im Sinne des 8. 7 A. L. R., I, 1, — haben
	        
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