Rechtsverhältnisse des niederen Adels.
Familie zukommenden Geschlechtsadel.!
2. Wer entweder selbst,
im Jahre 1740 im wirklichen Besitze des Adels sich befunden,
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oder wessen Vorfahren
und desselben nach der
Zeit sich nicht verlustig gemacht haben, der soll in seinen adligen Rechten nicht beun-
ruhigt werden.?
3. Wer entweder selbst, oder wessen Vorfahren 44 Jahre hindurch sich
adliger Prädikate und Vorrechte ruhig bedient,
und also ein ausdrückliches oder still-
schweigendes Anerkenntnis des Staates für sich hat, für den streitet die rechtliche Ver-
mutung, daß ihm der Geschlechtsadel wirklich zukomme?;
anderesmal geschehene Beilegung adliger Prädikate,
dagegen ist die nur ein= und
in gerichtlichen oder anderen
öffentlichen Ausfertigungen, zum Beweise des Geschlechtsadels für sich allein noch nicht
hinreichend."
V. Der Verlust des Adels 5 tritt in betreff weiblicher Personen ein;,
durch Verheiratung mit einem Unadligen ihren Geschlechtsnamen ändern."“
wenn sie
Das All-
1 A. L. N., II, 9, S. 17.— Dieser F. spricht vom
Beweise des Adels, wogegen die §8§. 18 u. 19
a. a. O. bloß vom Besitze des Adelsstandes
handeln. Der Beweis des Adels kann auch
gegenwärtig immer noch auf die im §. 17 an-
gegebene Art geführt werden, wenngleich gegen-
wärtig keine Ritterbänke auf den Landtagen und
in den Kollegien mehr eristieren. Auch der Be-
weis der Aufnahme zur Ritterbank, wo dieselbe
noch vorhanden war (vor 1807), ist ein genügen-
der Ausweis des Adels.
2* §. 18 a. a. O. — Der Besitz an sich selbst,
in den Normaljahren, ist auch der Titel (la
possession vaut titre); nach der Beschaffenheit
des Besitzes soll nicht gefragt werden und auf
den Nachweis des guten Glaubens kommt es
nicht an (ogl. die Präjud. des Ob. Trib. v. 11.
Jan. 1848 und v. 14. April 1848, Entsch., Bd.
XIV, S. 132, u. Bd. XVII, S. 139). — Die
ältere Praxis war entgegengesetzt (Mathis'
Jur. Monatschr., D5. VI, S. 10, Stengels
Beim., Bd. VII, S. 230). Der §. 18 a. a. O.
allegiert hierbei die Ueshimmungen der §#§. 641 ff.,
A. L. R., I, 9, über die Verjährung durch Be-
sitz vom Jahre 1740. Uber die Entstehungs-
geschichte dieser Bestimmungen und die Bedeutung
dieses annus decretorius vgl. Koch, Lehrb. des
preuß. Privatr., Bd. I, S. 292 ff., desselb. Recht
u. Hypothekenwesen der preuß. Domänen, S. 210ff.;
desselb. Allgem. Landrecht mit Kommentar, Bd. 1;
Anm. 82 zum A. L. R., I, 9, §. 641; Borne-
mann, Syltemat, Darselll. des preuß. Privatr.,
Bd. II. S. 117. — Übrigens gilt das Normal-
jahr ###- 1740 nur für diejenigen Provinzen,
welche beim Regierungsantritie Friedrichs II. das
Staatsgebiet bildeten und für das durch den Bres-
lauer Frieden v. 28. Juli 1742 erworbene Schle-
sien (Z. R. v. 9. Juli 1856, Rabe, Samml.,
Bd. I, Abt. 2, S. 493 u. Z. R. v. 23. Dez.
1767, Mylius, J. C. C. Tom. IV, S. 1003,
Nr. 84). Für Westpreußen mit Inbegriff des
Netzedistrikts und des Ermlandes, jedoch mit Aus-
nahme der Stadt Danzig und deren altem Ge-
biete, sowie der Stadt Thorn und Gebiet, ist das
Hahr 1797 (vgl. V. v. 18. Dez. 1798 u. Tdll
23. Dez. 1799, Nylius, X. C. C. Tom. X,
S. 1831, Nr. 93, V. 24. Nov. 1843. G.
S. 1844, S. 12, u. Wenreuf. Prov. R. von
1844, §s. 5, G. S. 1844, S. 105) und für die
Rheinprovinz das Jahr 1815 (G. v. 18. Dez.
1831, G. S. 1832, S. 3, u. Landtagsabsch. v.
15. Juli 1829, §. 11) entscheidend. Die übrigen
Provinzen haben kein Normaljahr.
3 A. L. R., II, 9, §. 19.
4 A. a. O. §. 20. — Die Gerichte sollen bei
Erteilung der adligen Prädikate mit Vorsicht ver-
fahren (K. O. v. 20. Sept. u. Reskr. v. 20. Dez.
1830, v. Kamptz, Jahrb., Bd. XXXVI, S. 293).
Gegen den Unfug, daß Personen, ja sogar ganze
Familien sich höhere als die ihnen zustehenden
Adelsprädikate beilegen, ist die Bekanntmachung
des Oberpräsid. v. Schlesien v. 28. April 1842
(M. Bl. d. i. Verw. 1842, S. 178) gerichtet,
welche die Behörden anweist, die Beilegung des
freiherrlichen Prädikats nur dann eintreten zu
lassen, wenn sie sich von der Berechtigung zu
dessen Führung überzeugt haben. Zetzt erfolgt
die „Bearbeitung"“ dieser Dinge im Heroldsamt,
dessen Mitteilungen den Verwaltungsbehörden u.
Gerichten als Grundlage für eventuelles polizei-
liches oder strafrichterliches — R. Su. G. B.,
s. 360, Z. 8S. — Einschreiten dienen können;
die Gerichte aber sind in der rechtlichen Beur-
teilung vollkommen frei, vgl. Johow, Entsch.
Bd. 23, S. 193, J. M. Bl. 1895, S. 426 ff.
(Erk. d. Ger. H. z. Entsch. d. Kompet.-Konfl. v.
16. Febr. 1895).
5 Von dem Verluste des Adels wegen Betriebes
bürgerlicher Gewerbe (§. 81 A. L. R., II, 9)
kann seit Erlaß des Ed. v. 9. Okt. 1807 (§. 2)
nicht mehr die Rede sein (vgl. das Reskr. des
Justizmin. v. 20. Juli 1816, v. Kamptz, Jahrb.,
Bd. VIII, S. 8). Ebenso wenig von dem Ver-
luste des Adels auf Grund des §F. 82 A. L. R.,
II, 9 wegen Wahl einer „unehrbaren“, oder auch
nur einer solchen Lebensart, wodurch ein Adliger
sich „zu dem gemeinen Volke herabsetzt“. Der
Justizmin. v. Kamptz meinte indes seiner Zeit
noch, daß der §. 82 a. a. O. nicht durch den
§. 2 des Ed. v. 9. Okt. 1807 antiquiert sei (val.
die Restkr. v. 31. Okt. 101 u. v. 23. Jan. 1822,
v. Kamptz, Jahrb., .XXXIX, S. 1398).
6 Sie verlieren *5° die persönlichen Vor-
rechte des Adels, wie der §. 84 A. L. R., II,
9 sich ausdrückt. Auch treten sie nach getrennter
Ehe der Regel nach in den Adelsstand nicht
wieder zurück (§. 85 a. a. O.). Ausnahmen bei
Ehescheidungen und Nichtigkeitserklärung der Ehe:
§5. 86—90.