Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

Allgemeine Grundsätze. (8. 53.) 79 
Drittes Kapitel. 
Grundpflichten und Grundrechte. 
8. 53. 
Allgemeine Grundsätze. 
I. Die Staatsangehörigkeitt! ist in erster Reihe ein Kreis von Pflichten; 
aus den Pili ten ergibt sich ein Kreis von Rechten. „Die Individuen stehen zum 
Staate im—-Verhältnis der Unterwerfung. Sie sind in erster Linie Objekte der Staats- 
herrschaft und dem Staate durch Pflichten verbunden.“ (Georg Meyer, S. 714, 5. A.). 
Dies ist der Inbegriff des staatsrechtlichen Untertanenverhältnisses oder des Staatsbürger- 
rechtes. Der früher so heftig geführte Streit gegen die Bezeichnung „Untertan“ ist 
heute kaum verständlich; nicht minder aber der entgegengesetzte Vorstoß gegen die schöne 
Ehrenbezeichnung „Bürger“. Die Untertanschaft liegt so sehr im Begriffe der Staats- 
gewalt, daß ein Staat ohne Untertanen überhaupt undenkbar ist. Das Untertanenver- 
hältnis ist die Gegenseite der Staatsgewalt; das Untertanenverhältnis reicht soweit als 
die Staatsgewalt. Es hat demnach auch wissenschaftlich gar keinen Wert, einen Katalog 
von einzelnen Pflichten aufzuzählen, da alle einzelnen Pflichten lediglich Ausfluß der 
Untertanenpflicht sind und es doch selbstverständlich untunlich ist, in diesem Zusammenhange 
alle Untertanenpflichten zur Darstellung zu bringen. Es entbehrt somit der wissenschaft- 
lichen Berechtigung, die Militärpflicht und die Steuerpflicht als besondere Grundpflichten 
in diesem Zusammenhange zu erörtern, wie es andererseits ebenso der Berechtigung ent- 
behrt, besondere Grundrechte als einzelne zur Darstellung bringen zu wollen. Wenn 
trotzdem am System der früheren v. Rönneschen Darstellung nichts geändert wurde 
— abgesehen nur davon, daß den Geboten der staatsrechtlichen Logik entsprechend die 
Pflichten den Rechten vorangestellt wurden —, so findet dies seine Rechtfertigung 
darin, daß für die Zeitanschauung, aus der seinerzeit die v. Rönnesche Darstellung 
des preußischen Staatsrechtes geboren wurde, die Lehre von den „Grundrechten“, denen 
man dann auch ein paar Grundpflichten anhängte, ein feststehendes Ariom war. Auch 
heute hat die Wissenschaft dies System noch nicht völlig überwunden, wenn sie es auch 
in ihren bedeutendsten Vertretern verlassen hat.: Darum erschien es richtig, jenes System 
der Darstellung, das v. Rönne als die unantastbare Grundlage des Konstitutionalismus 
betrachtete, beizubehalten und die Darstellung nur im einzelnen dem heutigen Stande der 
Wissenschaft und Gesetzgebung entsprechend zu gestalten. Die v. NRönnesche Darstellung 
der Grundrechte folgt dem Katalog, den die Verfassungsurkunde im II. Titel: „Von den 
Rechten der Preußen“ gibt. Von den Grundpflichten werden als einzelne nur die Wehr- 
pflicht und die Steuerpflicht behandelt; auch hieran ist nichts geändert worden, so nahe 
es auch läge, hier wenigstens noch die Schulpflicht und die jetzt so weit ausgedehnte 
Pflicht zur unentgeltlichen Übernahme von Ehrenämtern anzufügen. 
  
1 Gerber, Grundz., 2. Aufl., Beil. II;| Die Ausführungen des Textes unter I u. II sind 
Bornhak 1. S. 240; Laband l. S. 127 f. gegenüber der früheren Darstellung neu. 
Neuerdings hat Grabowsky die rechtliche Natur 1 S. hierüber Laband l, S. 138, Nr. 2;: 
der Staatsangehörigkeit sorgfältig untersucht und 
reiches Material beigebracht. (Verwaltungsarchiv 
B. 12, 1904, S S. 210 ff.) Seine eigene Definition: 
„Die Staatsangehörigkeit ist ein Zustand, eine 
Tatsache, aus der gewisse Rechte und Pflichten 
entspringen“ (S. 227) ist freilich nicht befriedigend. 
  
Seydel, Bayr. St. R. I, S. 300. Anderer- 
seits bes. Tezner in Grünhuts Ztschr., Bd. XXI. 
S. 135 ff. und neuerdings Giese, Die Grund- 
rechte, in den Abhandlungen aus dem Staats-, 
Verwaltungs= und Völkerrecht, hgg. v. Zorn u. 
Stier-Somlo, Heft 2 (1905;.
	        
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