Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Zweiter Band. (2)

86 Das Staatsbürgerrecht. (8. 53.) 
Falle sich ein Widerspruch zwischen diesen beiden Staatsgrundprinzipien, 
so ist auf dem Wege des geordneten Instanzenzuges Abhilfe zu suchen, 
äußersten Falles durch Beschwerde beim Landtage oder beim König, welche 
jedem Untertan offensteht. 
das Staatsrecht, auf. 
An diesem Punkte hört das Recht, somit auch 
Wer auch dann der Anordnung des Staates keine 
Folge leistet, stellt sich außerhalb des Rechtes und der Staatsordnung und 
hat die hier für angedrohten Folgen zu tragen, sei es, daß diese Nichtunter- 
werfung durch äußere Gründe oder durch das Gewissen verursacht ist. 
Die formale Jurisprudenz hat keine Möglichkeit, derartige Fragen zu 
lösen; ein „Recht“ des Widerstandes gegen den Staat, auch des passiven, 
ist unkonstruierbar. 1 
IV. Die oberste Stufe des somit zu den Grundlagen des konstitutionellen Staates 
gehörenden staatsbürgerlichen Beschwerderechtes ist das verfassungsmäßig gewährleistete 
Petitionsrecht.“ 
  
1 v. Rönne führte in der 4. Aufl. hierüber 
folgendes aus: „In der Theorie vom Rechte des 
Widerstandes stehen sich zwei Meinungen gegen- 
über. Die erste nimmt an, daß der gesetzwidrig 
Bedrohte zwar nicht ohne weiteres zur tät- 
lichen Widersetzung befugt sei, sondern zuerst, 
und insofern nicht unmittelbarer Gehorsam ge- 
fordert wird, den Weg der Beschwerde bei den 
höheren Behörden, beziehungsweise bei der Volks- 
vertretung, einschlagen müsse. Wenn aber dies 
ohne Erfolg geblieben, oder wenn, ohne Rück- 
sicht auf die Erklärung, diesen Weg betreten zu 
wollen, sofortige Folgeleistung begehrt wird, dann 
finde das Recht des negativen Widerstandes 
durch einfache Verweigerung des Gehorsams statt, 
und in dem Falle, wenn auch dies nicht aus- 
reiche, sondern positive Gewalt angewendet wird, 
um den passiven Widerstand zu brechen und 
Folgeleistung des gesetzwidrigen Befehls zu er- 
zwingen, dürfe zum aktiven Widerstande behufs 
der Selbstverteidigung übergegangen werden. Da- 
gegen geht die zweite Ansicht davon aus, daß 
der einzelne Staatsbürger überall nicht das Recht 
habe, verletzte Gesetze durch eigenmächtiges Han- 
deln und durch Selbsthilfe wieder herzustellen, 
sondern obgleich derselbe nur zum verfassungs- 
mäßigen Gehorsam rechtlich verpflichtet sei, so 
habe er dennoch nicht die Befugnis, im Falle 
einer Rechtswidrigkeit die Verletzung abzuwenden, 
sondern nur das Recht der Beschwerde bei den 
höheren Behörden, beziehungsweise der Volks- 
vertretung, und müsse einstweilen Folge leisten. 
Nur die eine Ausnahme finde hiervon statt, wenn 
nämlich der dem ungesetzlichen Befehle geleistete 
Gehorsam einen unersetzlichen Nachteil zur Folge 
haben würde. In diesem Falle, aber auch nur 
alsdann, trete der wahre Stand der Not- 
wehr ein (vgl. v. Mohl, Württemberg. St. R., 
2. Aufl., Bd. I, S. 32 4—326, und die dort S. 331, 
Note 1 angeführte Literatur über die verschiedenen 
Meinungen.) — Selbst die Frage, in welchen 
Fällen das Recht des bloß passiven Widerstan- 
des begründet sei, ist nicht unstreitig. Während 
von einer Seite her dasselbe unbedingt in 
Anspruch genommen wird, nehmen andere an, 
daß zwar dies Recht im allgemeinen begründet 
sei, indes mit Rücksicht auf die Forderungen 
einer geregelten Staatsordnung und die für die 
Obrigkeit streitende Vermutung der Legalität in 
  
seiner Ausübung bedingt und begrenzt werden 
müsse. So stellt Zachariä (D. St. u. B. R., 
3. Aufl., Bd. 1, S. 474 ff.) hierüber folgende 
Grundsätze auf. Das Recht sei begrenzt: a) in 
sformeller Hinsicht durch den Mangel eines 
höheren Richters, bei welchem Beschwerde ge- 
führt werden kann; vorausgesetzt, daß der Be- 
fehl nicht zweifellos der gesetzlich notwen- 
digen Form entbehrt (wozu bei allen Ver- 
fügungen des Königs die ministerielle Kon- 
trasignatur (vgl. Verf. Urk., Art. 44] gehört), 
oder materiell nicht auf etwas absolut Böses 
oder Widerrechtliches (Verfassungswidriges) ge- 
richtet, oder die Befolgung nicht mit einem 
unersetzlichen Rechtsverluste verbunden ist. In 
anderen Fällen, also wo die formelle oder 
materielle Rechtmäßigkeit des Befehls zweifel- 
haft ist, oder wo es sich nicht um ein unersetz- 
liches Gut handelt, müsse inzwischen Folge ge- 
leistet und der Weg der Beschwerde betreten wer- 
den; indes finde jedenfalls bei vorläufig ge- 
leistetem Gehorsam das Recht der Protestation 
statt; b) in materieller Hinsicht dürfe die 
Weigerung des Gehorsams nicht weiter gehen, 
als der Befehl; es dürfe also wegen eines 
auch offenbar gesetzwidrigen Befehls nicht die 
Erfüllung anderer Untertanenpflichten ver- 
weigert oder der Gehorsam überhaupt aufge- 
kündigt werden. — In dem Gutachten der Ju- 
ristenfakultäten in Heidelberg, Jena und Tübingen, 
die hannöversche Verfassungsfrage betreffend (her- 
ausgegeben von Dahlmann, 2. Aufl., Jena, 
1839, S. 231 ff.), wird das gedachte Recht auf 
folgende Weise beschränkt: a) Nur im Falle einer 
Verletzung der Verfassung oder einer sonstigen 
offenbaren Gesetzesübertretung von seiten der 
Staatsgewalt, oder einer in ihrem Auftrage 
handelnden Behörde findet es statt; aber auch in 
diesem Falle nur dann, wenn dadurch b) ein 
unersetzliches oder doch wahrscheinlich unwieder- 
bringliches Recht für den Widerstehenden bedroht 
oder angegriffen wird. Dies ist auch der Fall, 
wenn den Untertanen eine rechtlich oder moralisch 
unerlaubte Handlung zur Pflicht gemacht wird. 
Endlich wird vorausgesetzt c) daß der Bedrohte 
oder Angegriffene durch ein anderes Mittel, z. 
B. Beschwerde bei der höheren Behörde, sich in 
seinem Rechte nicht zu schützen vermag.“ 
* Vgl. Welcker, Art. „Petition“ in dessen
	        
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