Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Staatshaushaltsetat und Kontrolle der Finanzverwaltung. 109 
(§. 118.) 
7. Der Art. 99 der Verfassungsurkunde setzt ausdrücklich voraus und stellt sogar 
als unerläßliche Forderung den Satz auf, daß der für jedes Jahr aufzustellende 
Staatshaushaltsetat schon vor dem Beginne des Etatsjahres vereinbart und durch 
ein Gesetz festgestellt sein müsse. Dieser „verfassungsmäßige“ Zustand ist indes seit 
Erlaß der Verfassungsurkunde bis zum Jahre 1866 einschließlich niemals eingetreten; 
vielmehr ist das Staatshaushaltsgesetz immer erst längere Zeit nach dem Beginne des- 
jenigen Finanzjahres, für welches dasselbe normierend sein soll, zustande gekommen und 
publiziert worden. Im Jahre 1866 ist zum ersten Male das Staatshaushaltsgesetz für 
das Jahr 1867 vor dessen Beginn vereinbart und auch publiziert worden 1; seitdem ist 
abermals der bis dahin bestandene anomale, mit dem Art. 99 der Verfassungsurkunde 
unvereinbare Zustand eingetreten.? Solange die Vorschrift des ursprünglichen Art. 76 
der Verfassungsurkunde bestand, daß die Kammern regelmäßig im Monat November 
jeden Jahres einberufen werden mußten, war es wenigstens möglich, daß der Staats- 
haushaltsetat am 1. Jan. festgestellt sein konnte; seitdem aber durch das Verfassungs- 
abänderungsgesetz v. 18. Mai 1857 3, unter Aufhebung des ursprünglichen Art. 76 der 
Verfassungsurkunde, bestimmt worden war, daß die regelmäßige Einberufung der Kam- 
mern nur innerhalb des Zeitraumes von dem Anfange des Monats November jeden 
Jahres bis zur Mitte des folgenden Januar zu erfolgen brauche (welcher Verfassungs- 
änderung sogar die Absicht zugrunde lag, den Landtag in der Regel erst nach Weih- 
nachten einzuberufen), war auch die Möglichkeit der Feststellung des Etats vor dem Be- 
ginne des Etatsjahres, obschon nicht vollständig ausgeschlossen, doch noch unwahrscheinlicher 
geworden. Offenbar widerspricht es aber dem klaren Wortlaute des Art. 99, wenn erst 
nach dem Beginne desjenigen Jahres, für welches ein Etat gelten soll, mit dessen Prü- 
fung und allmählicher Vereinbarung begonnen wird, und es leuchtet somit ein, daß 
zwischen den Bestimmungen des Art. 99 und des jetzigen Art. 76 der Verfassungsurkunde 
  
1848, S. 447) und erst nachträglich von den 
Kammern genehmigte (G. S. 1850, S. 177) ist, 
schließt ohne Fehlbetrag. Dagegen weisen bei 
den mit den Kammern vereinbarten Etats für 
lich 1877 (vogl. G. S. 1871, S. 25; 1872, 
S. 185; 1873, S. 49; 1874, S. 27; 1875, 
S. 101; 1876, S. 35; 1877, S. 23) balancieren 
in Einnahme und Ausgabe. Der Etat für 1878 
1850 bis einschließlich 1861 (vgl. G. S. 1850, 
S. 178; 1851, S. 240; 1852, S. 264; 1853, 
S 296; 1854. S. 220; 1855, S. 270; 1856, 
S. 298; 1857, S. 370; 1858, S. 190; 1859, 
S. 246; 1860, S. 245, und 1861, S. 377) die 
vier ersteren einen nicht unerheblichen Fehlbetrag 
nach, ohne festzustellen, in welcher Art und Weise 
dessen Deckung zu erfolgen habe. Erst die Etats 
für 1854 bis einschließlich 1860 sind in der Art 
aufgestellt und vereinbart worden, daß die Ge- 
samtsummen der Einnahme und Ausgabe balan- 
cieren, also die Mittel zur Deckung der darin 
festgestellten Ausgaben vollständig nachgewiesen 
sind. Der Etat für 1861 schließt mit einem 
Fehlbetrage von 3985 636 Talern, der §. 2 des 
Etatsgesetzes von 1861 weist jedoch die Deckungs- 
mittel auf die in Gemäßheit des Ges. v. 10. Juni 
1861 zu erhebenden Steuerzuschläge, bzw. auf den 
Staatsschatz an. Für die Jahre 1862 bis 1866 ein- 
schließlich (Zeit des Verfassungskonflikts) sind Etats 
nicht vereinbart worden. Die Etats für 1867 und 
1868 (G. S. 1866, S. 812, und 1868, S. 93) 
balancieren in Einnahme und Ausgabe ohne 
Nachweis eines Fehlbetrages. Der Etat für 1869 
(G. S. 1869, S. 217) balanciert gleichfalls in 
Einnahme und Ausgabe, weist jedoch einen Fehl- 
betrag nach, welcher durch Veräußerung von zum 
Staatseigentume gehörigen Effekten gedeckt wird. 
Der Etat für 1870 (G. S. 1869, S. 1265) weist 
einen Überschuß der Einnahme von 150 000 Ta- 
lern nach, und die Etats für 1871 bis einschließ- 
  
ergibt einen Fehlbetrag von 42 000 000 M., dessen 
Deckung mittelst einer Staatsanleihe durch den 
§. 2 des den Staatshaushaltsetat feststellenden 
Ges. v. 9. Febr. 1878 genehmigt wird. Der 
Etat für 1879/80 (G. S. 1879, S. 27) ergibt 
einen Fehlbetrag (von 67 950 000 M.), dessen 
Deckung mittelst einer Staatsanleihe durch das 
gleichzeitig mit dem Etatsgesetze erlassene beson- 
dere Gesetz v. 5. März 1879 (G. S. 1879, 
S. 28) genügt ist. Der Etat für 1880/81 (G. S. 
1880, S. 91) weist gleichfalls einen Fehlbetrag 
(von 37700 000 M.) nach, dessen Deckung mit- 
telst einer Staatsanleihe durch das besondere 
Ges. v. 1. März 1880 (G. S. 1880, S. 92) 
genehmigt ist. 
1 Ges. v. 22. Dez. 1866, betr. die Feststellung 
des Staatshaushaltsetats für das Jahr 1867 
(G. S. 1866, S. 812). 
2 Der Staatshaushaltsetat für das Jahr 1868 
ist erst durch das Ges. v. 24. Febr. 1868 (G. S. 
1868, S. 93) und der Staatshaushaltsetat für 
das Jahr 1869 erst durch das Ges. v. 1. Febr. 
1869 (G. S. 1869, S. 217) zustande gekommen 
und publiziert worden. Diese beiden zuletzt er- 
wähnten Staatshaushaltsetatsgesetze enthalten aber 
doch wenigstens (in §. 4) die (in den früheren 
Etatsgesetzen fehlende) Bestimmung, „daß die bis 
zur erfolgten Feststellung des Etats innerhalb 
der Grenzen desselben geleisteten Ausgaben nach- 
träglich genehmigt werden“. 
3 G. S. 1857, S. 369.
	        
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