134 Die Gesetzgebung. (§. 118.)
der Etat „für jedes Jahr“ festgestellt werden soll, klargestellt, daß das Etatsgesetz
stets nur für das betreffende Jahr gelten kann und mit dem Ablaufe desjenigen Zeit-
raumes, für welchen es ausdrücklich nur erlassen ist und verfassungsmäßig nur erlassen
werden darf, von selbst jede fernere Wirkung verliert, so daß es also vollkommen un-
zulässig ist, aus dem für ein bestimmtes Jahr festgestellten Etat irgendeine Ermäch-
tigung herzuleiten, die Bestimmungen desselben für weitergeltend zu erachten und es
ganz oder teilweise, sei es bis zum Zustandekommen des neuen Etatsgesetzes oder auch
nur für einen kürzeren Zeitraum, zur Anwendung zu bringen. Das alljährlich im voraus
für das nächstfolgende Jahr zu vereinbarende Etatsgesetz erlischt eben in allen seinen.
rechtlichen Wirkungen ganz von selbst mit dem Ablaufe des Jahres, für welches es er-
lassen worden ist, indem es sich selbst den Endtermin gestellt hat, mit dessen Eintritt
es seine Kraft verliert. Es ist jedesmal nur ein vorübergehendes Gesetz, welches für
die Dauer des betreffenden Etatsjahres in Kraft bleibt und verfassungsmäßig für das nächst-
folgende Jahr durch ein neues Etatsgesetz ersetzt werden muß.1
Obgleich nun der Art. 99 der Verfassungsurkunde nicht ausspricht, daß der für
jedes Jahr aufzustellende Staatshaushaltsetat ein Gesetz sei, so hat doch die Bestim-
mung des zweiten Satzes dieses Artikels, daß „der Etat durch ein Gesetz festzustellen“
sei, jedenfalls die Bedeutung, daß der durch das Staatshaushaltsgesetz festgestellte Vor-
anschlag zu einem integrierenden Teile des gedachten Gesetzes wird und daher im
ganzen wie in seinen einzelnen Ansätzen, insoweit es nicht durch ergänzende oder er-
läuternde Gesetze modifiziert worden ist, gleich jedem Gesetze verbindliche Kraft für die
Staatsregierung hat. Allerdings ist der Voranschlag kein Gesetz in dem Sinne,
daß er unbedingt für die Staatsregierung als Befehl, die im Etat aufgeführten Ein-
nahmen in der daselbst angegebenen Höhe zu erheben und die im Etat aufgeführten
Ausgaben ebenfalls in der angegebenen Höhe zu leisten, und damit gleichzeitig als Ver-
bot, keine Einnahme zu erheben und keine Ausgabe zu leisten, welche im Etat nicht
aufgeführt, anzusehen ist. Allein ebensowenig ist die durch Gesetz erfolgte Feststellung
des Etats bloß ein in den Formen der Gesetzgebung sich vollziehender Verwaltungs-
akt. Art. 99 bedeutet vielmehr, daß der durch ein Gesetz festzustellende Voranschlag
für die Staatsregierung die formelle Ermächtigung enthält, nach Maßgabe desselben
die Einnahmen zu erheben und die Ausgaben zu leisten, und daß nur das zustande ge-
kommene Staatshaushaltsgesetz für die Staatsregierung die staatsrechtliche Voll-
macht bildet und die verfassungsmäßige Berechtigung begründet, die veranschlagten
und vereinbarten Ausgaben zu leisten und sie demzufolge hinsichtlich der wirklich ge-
leisteten etatsmäßigen Ausgaben von jeder Verantwortlichkeit befreit. Es ist allerdings
auch rechtlich; s. auch unten S. 138, Note 1 die
vollkommen zutreffenden Ausführungen des Abge-
ordn. Reichensperger.
1 Vgl. auch v. Schulze, Pr. St. R., Bd. II,
§. 201, S. 44 ff. und G. Meyer-Anschütz,
Lehrb., §. 207, S. 763.
2 Die von Laband (Budgetrecht, S. 13 ff.,
Staatsrecht ", IV, S. 481 ff., 507 ff.) aufsgestellte
und nach ihm von anderen Staatsrechtslehrern,
namentlich auch von Gneist (Gesetz und Budget
[Berlin, 1879] S. 166 ff.) vertretene Ansicht, daß
der Etat eine bloße Rechnung sei, und daß
derselbe nichts mit der Gesetzgebung zuschaffen
habe, sondern daß seine Aufstellung lediglich zur
Verwaltung gehöre, und daß nur seine Fest-
stellung sich in den Formen der Gesetzgebung
vollziehe, beherrscht die ganze von diesen Staats-
rechtslehrern für richtig erachtete Lehre des Budget-
rechtes. Ich kann mich indes in dieser Hinsicht
nur der Ansicht Zachariäs (Göttingische ge-
lehrte Anzeigen, Jahrg. 1871, S. 372 f.) an-
schließen, welcher bemerkt: „Den Ausführungen
Labands können wir in ihrer Anwendung auf
die verfassungsmäßige Budgetfeststellung in dieser
Hinsicht nicht beitreten. Diese ist jedenfalls ein
staatsrechtlich bedeutungsvoller Akt, und wenn
auch die einzelnen Positionen insofern hypothe-
tischer Natur sind, als von einer unbedingten
Realisierung nicht die Rede sein kann, doch kein
bloßer Anschlag im gewöhnlichen Sinne, und
wenn Laband bemerkt, der Wortlaut der Ver-
fassung sage durchaus nicht, daß alle Ausgaben
für jedes Jahr bewilligt werden müßten,
sondern er schreibe nur vor, daß sie für jedes
Jahr veranschlagt werden sollen, so müssen.
wir dazu bemerken, die Verfassung spricht nicht
von Veranschlagung der Einnahmen und.
Ausgaben des Staates für jedes Jahr im voraus,
sondern sie sollen auch auf den Staatshaushalts-
etat gebracht und letzterer soll jährlich durch ein,
Gesetz, d. h. durch Vereinbarung zwischen den.
gesetzgebenden Faktoren, festgestellt werden, was
jedenfalls auch für die staatsrechtlichen Wirkungen.
des Nichtzustandekommens des Budgetgesetzes von
Wichtigkeit ist.“