Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

140 Die Gesetzgebung. (8. 118.) 
fassung vorgeschriebene Etat kein Gesetz sei, sondern lediglich die Bedeutung des dadurch 
bezeugten Einverständnisses zwischen der Regierung und der Volksvertretung über die 
Richtigkeit des Voranschlages und über die Notwendigkeit und Angemessenheit der darin 
aufgeführten Summe habe, aber keineswegs die gesetzliche Grundlage zur Leistung der 
Ausgaben bilde, welche hinsichtlich ihrer Mehrheit auch ohne Etat vorhanden sei. Diese 
Lehre gelangt dann weiter zu der Behauptung, „daß das Nichtzustandekommen des Etats 
lediglich zur Folge habe, daß die Staatsregierung hinsichtlich jeder einzelnen Ausgabe 
verantwortlich bleibe, und den Nachweis zu führen habe, daß sie an sich in der be— 
stimmten Höhe durch die Gesetze oder durch das Staatswohl erfordert worden seien. 
Die rechtliche Stellung der Staatsregierung sei daher bei nicht zustande gekommenem 
Etatsgesetze hinsichtlich des gesamten Etats ganz analog, wie bei zustande gekommenem 
Etatsgesetze hinsichtlich der Etatsüberschreitungen und außeretatsmäßigen Ausgaben; die 
Erteilung dieser Genehmigung sei keineswegs ein parlamentarischer Gnadenakt, sondern 
es sei die Volksvertretung rechtlich verpflichtet, alle diejenigen Ausgaben zu genehmigen, 
welche sie aus dem Voranschlage nicht hätte streichen dürfen“. Wenn aber eine solche Auf— 
fassung des Budgetrechts der Volksvertretung richtig wäre, so würde sich daraus folgende 
Auslegung des Art. 99 der Verfassungsurkunde ergeben: Die Staatsregierung ist aller— 
dings verfassungsmäßig verpflichtet, den Kammern alljährlich vor Beginn des Etatsjahres 
einen Voranschlag aller Einnahmen und Ausgaben des Staates vorzulegen. Wenn auf 
Grund dieser Vorlage durch Vereinbarung mit den Kammern ein Haushaltsetat in den 
Formen eines Gesetzes zustande kommt, so hat die Staatsregierung danach die Finanz- 
verwaltung des Staates zu führen. Kommt aber der Haushaltsetat nicht zustande, so 
darf die Staatsregierung ebenso, als wenn dem Art. 99 vollständig Genüge geleistet 
wäre, die Einnahmen und Ausgaben des Staates verwalten, und sie ist dann nur ver— 
pflichtet, sämtliche von ihr geleisteten Ausgaben zu liquidieren und zu rechtfertigen. 
Es leuchtet indes ein, daß der Art. 99, wenn er wirklich eine solche Bedeutung hätte, 
völlig wertlos wäre. Die Staatsregierung brauchte nur dem von den Kammern be— 
schlossenen Etat die Zustimmung zu versagen und so den budgetlosen Zustand herbeizuführen, 
um dann die Finanzverwaltung ohne Budget nach ihrem eigenen Ermessen zu führen; die 
Volksvertretung würde dann kein weiteres, als das ihr ohnedies schon aus Art. 104 
der Verfassungsurkunde zustehende Recht haben, nachträgliche Rechnungslegung über die 
ohne Budget geführte Finanzverwaltung zu fordern. Wäre dies der Sinn des Art. 99, 
so könnte er ohne Nachteil für das Budgetrecht der Volksvertretung in der Verfassung 
gestrichen werden; Art. 104 würde ihn vollkommen ersetzen. Mit solcher Lehre aber 
wird der budgetlosen Finanzverwaltung, welche herbeizuführen einer Staats- 
regierung, die solche Zustände in ihrem Interesse findet, nicht schwierig sein kann, ein- 
fach das Wort geredet, und es kann alsdann dahin kommen, daß der budgetlose Zustand 
ein chronischer wird und an Stelle des von der Verfassung erforderten normalen Zu- 
standes die Regierung in Gemäßheit des Staatshaushaltsetats zur Ausnahme, dagegen 
die budgetlose — also lediglich in das Ermessen der Staatsregierung gestellte — Finanz- 
verwaltung zur Regel erheben würde. Dies würden die Ergebnisse einer Lehre sein, 
welche sich nicht wesentlich von dem Standpunkte des absoluten Staates entfernt. Daß 
  
1 Gegen die Ansicht Labands bemerkt auch 
v. Schulze (Pr. Verf. R., Bd. II, §. 201, 
S. 46), „daß, indem nach dieser Theorie das 
Nichtzustandekommen des Etats eigentlich gar 
nicht mehr als etwas Verfassungswidriges er- 
scheine und durch das ohne weiteres (von La- 
band) anerkannte Fortgelten des letzten Etats- 
gesetzes seine normale Regel erhalte, für die 
Regierung jedes zwingende Motiv hinwegfalle, 
alles aufzubieten, um aus diesem Zustande heraus- 
zukommen und mit allen Kräften nach einem 
Einverständnisse mit der Volksvertretung zu 
streben"“. — Auch nimmt v. Schulze an, daß 
die Staatsregierung, wenn sie im Falle des 
  
Nichtzustandekommens des Etats Ausgaben leistet, 
dies auf eigene Verantwortlichkeit tut; er bemerkt 
weiter: „Mag auch bei den unentwickelten Rechts- 
mitteln, welche der preuß. Volksvertretung zu 
Gebote stehen, die Regierung juristisch von 
dieser Verantwortlichkeit nicht viel zu befürchten 
haben, moralisch ist es doch von großem Ge- 
wicht, daß man den Zustand des nicht zustande- 
gekommenen Etatsgesetzes nicht wie einen nor- 
malen, der seine Regel hat, ansieht, sondern wie 
einenabnormen, verfassungswidrigen.“ — 
Vgl. auch G. v. Vincke in den Stenogr. Ber. 
des A. H. 1866, S. 200.
	        
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