Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Staatshaushaltsetat und Kontrolle der Finanzverwaltung. (8. 118.) 141 
aber eine solche Lehre nicht entfernt dem wahren Sinne einer Verfassung entspricht, 
welche eine konstitutionelle sein soll, bedarf schwerlich der näheren Begründung. Sie 
mißachtet einfach das verfassungsmäßige Budgetrecht — das wichtigste Recht der Volks- 
vertretung — und gestaltet es zu einem Zerrbilde, welches als das gerade Gegenteil 
des Budgetrechtes erscheint. Es ist bereits hervorgehoben und des näheren gezeigt wor— 
den, daß nach preußischem Staatsrechte materiell das Budgetrecht der Volksvertretung 
keineswegs ein schrankenloses, sondern an gewisse Grenzen und Einschränkungen gebunden 
ist, und es kann und soll keineswegs in Abrede gestellt werden, daß allerdings eine 
Volksvertretung, welche sich über die hiernach staatsrechtlich gebotenen Schranken will— 
kürlich hinwegsetzen wollte, ihr formelles Budgetrecht mißbrauchen und den Haus- 
haltsetat in einer Weise feststellen könnte, welche jene verfassungsmäßig bestehenden. 
Schranken verletzt. Wenn die Verfassungsurkunde keine ausdrückliche Bestimmung 
darüber getroffen hat, was in einem solchen Falle zu geschehen habe, um die „ver- 
fassungsmäßige“ Regierung des Staates aufrechtzuerhalten, so ist zuvörderst der Be- 
hauptung entgegenzutreten, daß, weil die Verfassungsurkunde keine Bestimmung für den 
Fall enthält, wenn das Etatsgesetz nicht vor dem Beginn des neuen Finanzjahres zu- 
stande kommen sollte, in dieser Hinsicht eine Lücke in der Verfassungsurkunde bestehe. 
Wenn die Verfassungsurkunde, wie Abs. 3 des Art. 62 3 klar ergibt, selbst, und zwar 
ausdrücklich an einen Fall der Budgetverwerfung gedacht hat und sich hierbei natürlich 
desjenigen bewußt war, was das Staatshaushaltsgesetz von den übrigen Gesetzen natur- 
gemäß unterscheidet, nämlich die Notwendigkeit des Zustandebringens, und gleich- 
wohl den Fall einer solchen Verwerfung durch keine bestimmte anderweite Anordnung 
vorgesehen hat, so leuchtet ein, daß sie es nicht für erforderlich erachtet hat, einen 
solchen Fall ausdrücklich vorzusehen. Dies muß sogar als gewiß angesehen werden, weil 
es in der Tat Verfassungen, die älter als die preußische und bei der Entwerfung und 
Revision der preußischen Verfassung in Betracht gezogen worden sind, gibt, welche wirk- 
lich eine solche eventuelle Bestimmung enthalten. Da es dessenungeachtet nicht für notwendig 
gehalten worden ist, eine Bestimmung dieser Art in die preußische Verfassungsurkunde 
aufzunehmen und sogar die späteren Versuche, einer solchen Bestimmung Aufnahme in 
dieselbe zu verschaffen, abgelehnt worden sind, so ergibt sich als unzweifelhaft, daß die 
preußische Verfassungsurkunde absichtlich keine ausdrückliche Bestimmung für den Fall 
des Nichtzustandekommens des Etatsgesetzes getroffen hat, und es kann ebendeshalb von 
einer Lücke, die einer besonderen positiven Ausfüllung bedürfte, gar keine Rede sein.“ 
  
1 Daß das A. H. dies selbst nicht einmal in Recht aus (vgl. A. L. R., Einl., §. 49, und dazu 
der Konfliktszeit getan hat, ist bereits früher Kochs Komm. zum A. L. R., 7. Ausg., Bd. J, 
hervorgehoben worden. Selbst die Ablehnung S. 55, Anm. 65)“7. 
der Mehrforderung für die Kosten der Reorgani- 3 Art. 62, Abs. 3 bestimmt: „Staatshaus- 
sation des Heeres verstieß nicht gegen den in haltsetats werden von der 1. K. im ganzen an- 
Rede stehenden Grundsatz. genommen oder abgelehnt.“ 
2 Vgl. die Erklärung des Ministerpräsidenten 4 Das Vorhandensein einer „Lücke“ in den 
v. Bismarckoben S. 129zhierzu führte v. Könne Budgetvorschriften der preuß. Verf. Urk. wird 
(4. Aufl., Bd. 1, S. 640, Note 5) aus, daß in auch von C. Rößler (Studien zur Fortbildung 
dieser Beziehung „vor allem darauf hinzuweisen der preuß. Verfassung, Abt. I, Nr. 3, S. 85) be- 
ist, daß es für die Rechtswissenschaft überhaupt stritten und überzeugend nachgewiesen, daß davon 
keine Lücken in irgendwelchem Rechtssysteme gibt. gar nicht die Rede sein könne. Im übrigen 
Es gibt allerdings Rechtsfragen, über welche sich sucht der Aufsatz zu zeigen, daß die Bestimmungen 
die geschriebenen Gesetze nicht aussprechen; aber der preuß. Verf. Urk. über das Budgetrecht 
das Recht wird dadurch nicht lückenhaft. Die mangelhaft und nicht zweckmäßig seien; die not- 
Aufgabe der Rechtswissenschaft und der Juristen wendige Abhilfe sei in der Zerlegung des Staats- 
besteht keineswegs bloß darin, die geschriebenen haushaltsetats in ein ordentliches und außer- 
Gesetze auf die Fälle, welche darin ausdrücklich ordentliches Budget (oder in ein permanentes 
entschieden sind, anzuwenden, sondern hauptsäch= und in ein Jahresbudget) zu suchen. — Vgl. G. A. 
lich darin, für die Fälle, hinsichtlich deren es an Lautier, Die Verfassungslücke, 1865 (bei Meu- 
einer solchen ausdrücklichen Bestimmung fehlt, mann). Auch Gneist (Budget und Gesetz nach 
nach den Prinzipien des allgemeinen Rechtes zu dem konstitutionellen Staatsrechte Englands, 
entscheiden, so daß für jede streitige Frage eine 1867, S. 20—22 bestreitet die Existenz der von 
Entscheidung gefunden werden muß. Von diesem der Staatsregierung behaupteten „Lücke“ in dem 
Grundprinzip geht namentlich auch das preuß. preuß. Budgetrechte; er findet indes einen Wider- 
 
	        
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