Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Staatshaushaltsetat und Kontrolle der Finanzverwaltung. 143 
(S. 118.) 
etatsgesetz ermächtigt zu sein, so ist dies eine mit der Verfassung nicht vereinbare 
Handlung. Die Verfassungsurkunde aber hat eine ausdrückliche Bestimmung 
darüber, was in einem solchen Falle zu geschehen habe, um die „verfassungsmäßige“ 
Regierung des Landes aufrechtzuerhalten, einzig und allein aus dem Grunde nicht ge- 
troffen, weil sie stillschweigend von der Annahme ausgegangen ist, daß dann von der 
Anwendung solcher Aushilfsmittel werde Gebrauch gemacht werden, welche das kon- 
stitutionelle Staatsrecht? als die „verfassungsmäßigen“ erachtet. Die Auswege aber, 
welche — einzeln oder in Verbindung miteinander —, solange und wo es konstitutio- 
nelles Leben gibt, als die Aushilfsmittel in solchem Falle angesehen wurden, sind: 
Wechsel der Repräsentation der Krone durch ihre verantwortlichen Minister, Auflösung 
des Abgeordnetenhauses, Veränderung des Bestandes des Herrenhauses. Diese Aushilfs- 
mittel hat selbstverständlich auch die „konstitutionelle“ Verfassung des preußischen Staates 
stillschweigend im Auge behalten.3 Daher ist es die staatsrechtliche Pflicht einer jeden 
auf dem Boden der Verfassung stehenden Regierung, zu einem dieser Auskunftsmittel 
jedenfalls dann zu schreiten, wenn es ihr nicht gelingen sollte, durch wiederholte Versuche 
zu einer Vereinbarung des Staatshaushaltsgesetzes zu gelangen und sich auf diese 
Weise die verfassungsmäßig erforderliche Vollmacht zur Verwaltung der Einnahmen und 
Ausgaben des Staates zu verschaffen. Dagegen hat die Lehre, daß es solcher Aushilfs- 
mittel gar nicht bedürfe, sondern daß in dem Falle, wenn kein Etat in der Form eines 
Gesetzes und, bis ein solcher zustande kommt, die Staatsregierung die Finanzverwaltung 
allein nach ihrem Ermessen führen dürfe und nur zur nachträglichen Rechtfertigung der 
geleisteten Ausgaben verpflichtet bleibe, auf dem Boden der Verfassung gar keine Be- 
rechtigung, schon aus dem Grunde nicht, weil das Nichtzustandekommen des Budget- 
gesetzes jederzeit von der Staatsregierung selbst herbeigeführt werden kann. Denn da 
sie verfassungsmäßig berechtigt ist, ihre Genehmigung zu versagen, so würde sie sich in 
der Möglichkeit befinden, durch ihre bloße Nichtgenehmigung das Zustandekommen des 
Budgetgesetzes auf beliebige Zeit hin zu verhindern ", solchergestalt aber das Budgetrecht 
der Volksvertretung völlig illusorisch zu machen. 
Diese Lehre stellt mithin die ersten 
  
um ein anderes Recht und die demselben ent- 
sprechende Pflicht der Staatsregierung aufzuheben 
oder zu umgehen.“ (Vgl. Stenogr. Ber. des A. H. 
1865, Bd. II, S. 797—798.) 
1 Die Ansicht, als ob es durch das „Staats- 
notrecht“ gerechtfertigt oder geboten sein könne, 
die Verfassung in der hier in Rede stehenden 
Art unbefolgt und unberücksichtigt zu lassen, be- 
darf keiner Widerlegung. Diese Ansicht beruht 
lediglich auf der Verkennung des Begriffs und 
der Grenzbestimmungen des sog. jus eminens 
des Staates, welches selbst die Staatsrechtslehrer 
der konservativsten Richtung in dieser Aus- 
dehnung nicht für begründet erachten. Vgl. 
Zöpfl, Grunds. des allgem. u. D. St. R., 5. Aufl., 
Bd. II, S. 697, welcher in bezug auf andere 
Verhältnisse als auf Vermögensrechte ein 
Notrecht des Staates nur unter solchen Voraus- 
setzungen für begründet erachtet, unter welchen 
ein Kriegszustand verkündigt werden kann. 
Vgl. auch Bluntschli, Allgem. St. R., 2. Ausg., 
Bd. II, Buch 6, S. 108 ff.; Schmitthenner, 
Grundlinien des allgem. und idealen St. R., 
S. 371 ff.; Zachariä, D. St. u. B. R., 3. Aufl., 
Bd. II, S. 121 ff. 
2 Da der preuß. Staat eine „konstitutionelle“ 
Monarchie ist, so kann selbstverständlich nicht be- 
stritten werden, daß für das preußische Staats- 
recht niemals das allgemeine Staatsrecht der 
absoluten Monarchie, sondern nur dassjenige 
der konstitutionellen Monarchie als subsidiäre 
Rechtsquelle in Betracht kommen kann. übrigens 
  
verbietet auch der Art. 109 der Verf. Urk. aus- 
drücklich die Anwendung solcher Gesetze aus der 
Zeit der absoluten Monarchie, welche der Ver- 
fassung zuwiderlaufen; hierdurch ist auch der bis 
zum Erlaß der Verf. Urk. bestandene Rechtsgrund- 
satz unanwendbar geworden, daß in Preußen die 
Staatsregierung für sich allein die Befugnis 
habe, die Einnahmen des Staates nach ihrem 
Ermessen zu verausgaben und zu verwenden. 
Denn dieser Grundsatz des alten Rechtes steht 
im Widerspruche mit dem Art. 99 der Verf. Urk. 
und hat daher nach dem Art. 109 keine Gel- 
tung mehr. 
3 Vgl. auch Simson in den Stenogr. Ber. 
des A. H. 1862, Bd. III, S. 1747. 
4 Daß eine mit der Volksvertretung nicht im 
Einvernehmen stehende Regierung in dieser 
Weise ebensogut wie eine ihr formelles Budget- 
recht mißbrauchende Volksvertretung das ihr 
zustehende Recht der Nichtgenehmigung des von 
der letzteren beschlossenen Etats mißbrauchen 
kann, wird nicht bestritten werden können. Die 
Frage aber, welchem von den bei der gesetzlichen 
Feststellung des Etats beteiligten Faktoren die 
Schuld der Nichtvereinbarung zur Last fällt, 
kann für die Frage nach den staatsrechtlichen 
Wirkungen des Nichtzustandekommens des 
Budgets nicht in Betracht kommen, obgleich sie 
allerdings geeignet sein kann, ein Motiv bezüglich 
der von der Staatsregierung anzuwendenden 
konstitutionellen Mittel zur Herbeiführung einer 
Vereinbarung des Budgets zu bilden.
	        
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