Staatshaushaltsetat und Kontrolle der Finanzverwaltung. 143
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etatsgesetz ermächtigt zu sein, so ist dies eine mit der Verfassung nicht vereinbare
Handlung. Die Verfassungsurkunde aber hat eine ausdrückliche Bestimmung
darüber, was in einem solchen Falle zu geschehen habe, um die „verfassungsmäßige“
Regierung des Landes aufrechtzuerhalten, einzig und allein aus dem Grunde nicht ge-
troffen, weil sie stillschweigend von der Annahme ausgegangen ist, daß dann von der
Anwendung solcher Aushilfsmittel werde Gebrauch gemacht werden, welche das kon-
stitutionelle Staatsrecht? als die „verfassungsmäßigen“ erachtet. Die Auswege aber,
welche — einzeln oder in Verbindung miteinander —, solange und wo es konstitutio-
nelles Leben gibt, als die Aushilfsmittel in solchem Falle angesehen wurden, sind:
Wechsel der Repräsentation der Krone durch ihre verantwortlichen Minister, Auflösung
des Abgeordnetenhauses, Veränderung des Bestandes des Herrenhauses. Diese Aushilfs-
mittel hat selbstverständlich auch die „konstitutionelle“ Verfassung des preußischen Staates
stillschweigend im Auge behalten.3 Daher ist es die staatsrechtliche Pflicht einer jeden
auf dem Boden der Verfassung stehenden Regierung, zu einem dieser Auskunftsmittel
jedenfalls dann zu schreiten, wenn es ihr nicht gelingen sollte, durch wiederholte Versuche
zu einer Vereinbarung des Staatshaushaltsgesetzes zu gelangen und sich auf diese
Weise die verfassungsmäßig erforderliche Vollmacht zur Verwaltung der Einnahmen und
Ausgaben des Staates zu verschaffen. Dagegen hat die Lehre, daß es solcher Aushilfs-
mittel gar nicht bedürfe, sondern daß in dem Falle, wenn kein Etat in der Form eines
Gesetzes und, bis ein solcher zustande kommt, die Staatsregierung die Finanzverwaltung
allein nach ihrem Ermessen führen dürfe und nur zur nachträglichen Rechtfertigung der
geleisteten Ausgaben verpflichtet bleibe, auf dem Boden der Verfassung gar keine Be-
rechtigung, schon aus dem Grunde nicht, weil das Nichtzustandekommen des Budget-
gesetzes jederzeit von der Staatsregierung selbst herbeigeführt werden kann. Denn da
sie verfassungsmäßig berechtigt ist, ihre Genehmigung zu versagen, so würde sie sich in
der Möglichkeit befinden, durch ihre bloße Nichtgenehmigung das Zustandekommen des
Budgetgesetzes auf beliebige Zeit hin zu verhindern ", solchergestalt aber das Budgetrecht
der Volksvertretung völlig illusorisch zu machen.
Diese Lehre stellt mithin die ersten
um ein anderes Recht und die demselben ent-
sprechende Pflicht der Staatsregierung aufzuheben
oder zu umgehen.“ (Vgl. Stenogr. Ber. des A. H.
1865, Bd. II, S. 797—798.)
1 Die Ansicht, als ob es durch das „Staats-
notrecht“ gerechtfertigt oder geboten sein könne,
die Verfassung in der hier in Rede stehenden
Art unbefolgt und unberücksichtigt zu lassen, be-
darf keiner Widerlegung. Diese Ansicht beruht
lediglich auf der Verkennung des Begriffs und
der Grenzbestimmungen des sog. jus eminens
des Staates, welches selbst die Staatsrechtslehrer
der konservativsten Richtung in dieser Aus-
dehnung nicht für begründet erachten. Vgl.
Zöpfl, Grunds. des allgem. u. D. St. R., 5. Aufl.,
Bd. II, S. 697, welcher in bezug auf andere
Verhältnisse als auf Vermögensrechte ein
Notrecht des Staates nur unter solchen Voraus-
setzungen für begründet erachtet, unter welchen
ein Kriegszustand verkündigt werden kann.
Vgl. auch Bluntschli, Allgem. St. R., 2. Ausg.,
Bd. II, Buch 6, S. 108 ff.; Schmitthenner,
Grundlinien des allgem. und idealen St. R.,
S. 371 ff.; Zachariä, D. St. u. B. R., 3. Aufl.,
Bd. II, S. 121 ff.
2 Da der preuß. Staat eine „konstitutionelle“
Monarchie ist, so kann selbstverständlich nicht be-
stritten werden, daß für das preußische Staats-
recht niemals das allgemeine Staatsrecht der
absoluten Monarchie, sondern nur dassjenige
der konstitutionellen Monarchie als subsidiäre
Rechtsquelle in Betracht kommen kann. übrigens
verbietet auch der Art. 109 der Verf. Urk. aus-
drücklich die Anwendung solcher Gesetze aus der
Zeit der absoluten Monarchie, welche der Ver-
fassung zuwiderlaufen; hierdurch ist auch der bis
zum Erlaß der Verf. Urk. bestandene Rechtsgrund-
satz unanwendbar geworden, daß in Preußen die
Staatsregierung für sich allein die Befugnis
habe, die Einnahmen des Staates nach ihrem
Ermessen zu verausgaben und zu verwenden.
Denn dieser Grundsatz des alten Rechtes steht
im Widerspruche mit dem Art. 99 der Verf. Urk.
und hat daher nach dem Art. 109 keine Gel-
tung mehr.
3 Vgl. auch Simson in den Stenogr. Ber.
des A. H. 1862, Bd. III, S. 1747.
4 Daß eine mit der Volksvertretung nicht im
Einvernehmen stehende Regierung in dieser
Weise ebensogut wie eine ihr formelles Budget-
recht mißbrauchende Volksvertretung das ihr
zustehende Recht der Nichtgenehmigung des von
der letzteren beschlossenen Etats mißbrauchen
kann, wird nicht bestritten werden können. Die
Frage aber, welchem von den bei der gesetzlichen
Feststellung des Etats beteiligten Faktoren die
Schuld der Nichtvereinbarung zur Last fällt,
kann für die Frage nach den staatsrechtlichen
Wirkungen des Nichtzustandekommens des
Budgets nicht in Betracht kommen, obgleich sie
allerdings geeignet sein kann, ein Motiv bezüglich
der von der Staatsregierung anzuwendenden
konstitutionellen Mittel zur Herbeiführung einer
Vereinbarung des Budgets zu bilden.