Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

152 Die Gesetzgebung. (S. 118.) 
Art. 104 der Verfassungsurkunde gedachten Bemerkungen der Oberrechnungskammer be- 
standen. Die Staatsregierung ging davon aus, daß nur der durch die Gesetzsammlung 
publizierte Staatshaushaltsetat die Grundlage der Kontrolle bilde, welche der Volksver- 
tretung zustehe 1, wogegen die Budgetkommission des Abgeordnetenhauses auch das Recht 
beanspruchte, ihre Prüfung auf die Abweichungen von den Spezialetats zu erstrecken. Von 
der vorgängigen Entscheidung dieser Frage hing es aber wesentlich ab, in welcher Aus- 
dehnung die Volksvertretung berechtigt ist, die Mitteilung von Bemerkungen der Ober- 
rechnungskammer zu verlangen, und eben hiernach ließ sich auch erst bestimmen, welche 
Ausgaben für solche Etatsüberschreitungen zu erachten sind, die nach Art. 104 der Ver- 
fassungsurkunde der Genehmigung der Kammern bedürfen. In erster Linie stand aber 
die Frage, wieweit die Rechte der Krone, welche diese in betreff der Finanzkontrolle bis 
zum Erlaß der Verfassungsurkunde unumschränkt und ausschließlich ausgeübt hat, durch 
die Verfassungsurkunde eingeschränkt worden sind; daher bestand der Kernpunkt der 
Differenz darin, daß der Oberrechnungskammer durch den Allerh. Erlaß v. 24. Juni 
1862 aufgegeben worden war, nur diejenigen Erinnerungen aufzustellen, welche bei der 
Rechnungsrevision gezogen sind, während offenbar alle diejenigen ausgeschlossen sind, 
welche von vornherein durch königliche Orders erledigt worden sind. Wenn ein 
Verwaltungschef irgendeine im Etat nicht vorgesehene oder anders vorgesehene Geld- 
verwendung rechtzeitig durch eine königliche Order justifizieren ließ, so war damit das 
Recht der Oberrechnungskammer, Erinnerungen zu ziehen, aufgehoben, und nach dem 
Allerh. Erlaß v. 24. Juni 1862 sollte auch die Landesvertretung davon keine Kenntnis 
erhalten. Gerade diese Kenntnis ist aber von der höchsten Bedeutung und für die Prüfung 
der Rechnung unerläßlich. Denn ein Recht der Krone, durch königliche Orders eine Ausgabe 
zu justifizieren, besteht gegenüber dem Budgetrechte der Volksvertretung nicht mehr, und 
solange ein solches faktisch noch ausgeübt wurde, konnte die Vorschrift, daß der Staatshaushalt 
durch Gesetz, also unter Zustimmung der Volksvertretung festzustellen sei, nicht zur vollen 
staatsrechtlichen Bedeutung gelangen. Daher mußte es als notwendig anerkannt werden, 
daß die Oberrechnungskammer in ihre Bemerkungen alle diejenigen Fälle aufnimmt, in welchen 
eine Abweichung von dem gesetzlich festgestellten Staatshaushaltsetat vorgekommen ist, und 
daß sie die von ihr sowohl zu der allgemeinen Rechnung als auch zu den Rechnungen 
der Spezialetats auszustellenden Atteste in der Form ausfertigt, daß die völlige über- 
einstimmung oder die Nichtübereinstimmung der geschehenen Ausgaben mit dem Etat und 
seinen Anlagen daraus ersichtlich ist. Soll eine Entlastung der Staatsregierung ausge- 
sprochen werden, so setzt diese eine genaue Prüfung der Rechnungen voraus; diese ist 
aber unmöglich, wenn nicht auf die Spezialetats der einzelnen Verwaltungen und die 
mit diesen bei der Budgetberatung vorgelegten Nachweisungen zurückgegangen wird. Die 
der Entlastung voraufgehende Kontrolle kann nicht in engere Grenzen eingeschlossen werden 
als die Prüfung der dem Landtage vorgelegten Etatsentwürfe. Nachdem die Krone das 
früher ihr allein zustehende Recht der Finanzkontrolle, welches sie durch das Organ der 
Oberrechnungskammer ausübte, durch die Verfassung auf die Volksvertretung mit über- 
tragen hat, wurde eben durch die Bestimmung des Abs. 2 des Art. 104 der Verfassungs- 
urkunde zugleich angeordnet, daß nunmehr die Bemerkungen der Oberrechnungskammer, 
welche bis dahin nur dem Könige eingereicht worden waren, der Volksvertretung als 
Anhaltspunkte bei der Prüfung der allgemeinen Rechnung vorgelegt werden sollten. Die 
Bemerkungen, zu deren Aufstellung die Oberrechnungskammer im absoluten Staate nach 
ihrer Instruktion v. 18. Dez. 1824 verpflichtet war, zerfallen aber in allgemeine und 
besondere. Jene bestehen nach §. 49, Abs. 2 a. a. O. in einer am Schluß jedes Jahres 
einzureichenden lbersicht über den Zustand der Rechnungen nebst einem jährlich zu er- 
stattenden Geschäftsbericht, welcher auch diejenigen erheblichen Mängel in der Verwaltung 
enthalten muß, die aus Veranlassung der Prüfung der Rechnungen entdeckt worden sind. 
  
1 Diese Ansicht liegt auch noch den betr. Be- 
stimmungen des von der Staatsregierung im 
Jahre 1862 vorgelegten Entwurfs eines Ober- 
rechnungskammergesetzes zugrunde. Vgl. diesen 
Entwurf und dessen Motive (8§. 18 u. 19) in 
den Drucks. des A. H. 1862, Bd. I, Nr. 9, und 
in den Stenogr. Ber. dess. 1862, Bd. II, Nr. 4, 
S. 21 ff.
	        
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