Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Das Steuerbewilligungsrecht. (8. 119.) 159 
gaben für die Staatskasse nur erhoben werden dürfen, soweit sie in den Staatshaushalts- 
etat aufgenommen oder durch besondere Gesetze angeordnet sind. Der Staatshaushalts-— 
etat muß nach Art. 99 für jedes Jahr im voraus durch ein Gesetz festgestellt werden. 
Außerdem bestimmt der unter den allgemeinen Bestimmungen enthaltene Art. 109, daß 
die bestehenden Steuern und Abgaben forterhoben werden, bis sie durch ein Gesetz ab— 
geändert werden. 
1. Indem hiernach grundsätzlich der Volksvertretung ein Steuerbewilligungsrecht 
zugestanden worden ist, kann im allgemeinen kein Zweifel darüber bestehen, daß die 
Frage über die Notwendigkeit oder Nützlichkeit einer aus Steuern zu bestreiten- 
den Staatsausgabe, also über die Notwendigkeit der Steuer selbst verfassungsmäßig 
nur mittels einer Vereinbarung zoischen der Staatsregierung und den Kammern fest- 
gestellt werden kann, dergestalt also, daß alle drei Faktoren der Gesetzgebung hierüber 
einverstanden sein müssen. 1 Allein das Recht der Kammern auf eine solche Vereinbarung 
ist nach der Verfassungsurkunde kein vollständiges, sondern ein eingeschränktes. 
Diese haben nämlich kein mit Ablauf jeder Etatsperiode von neuem eintretendes, alle 
Steuern und Abgaben unfassendes Beuilligungerccht dergestalt, daß die Steuererhebung 
überhaupt durch die Bewilligung der Kammern bedingt wäre, sondern die Notwendig- 
keit der Vereinbarung bezieht sich nur auf neue Steuern und Abgaben sowie auf die 
Erhöhung bestehender, so daß die nicht auf Zeit oder nur bedingungsweise bewilligten 
so lange forterhoben werden dürfen, bis ihre Aufhebung oder Minderung zwischen den 
Kammern und der Staatsregierung vereinbart ist. Es muß zwar der Staatshaushalts- 
etat alljährlich zwischen den Kammern und der Staatsregierung von neuem vereinbart 
werden, allein die Forterhebung der einmal gesetzlich feststehenden Steuern ist 
von der Regelung des Budgets unabhängig. Oobgleich diese Auslegung der Art. 99 
und 100 der Verfassungsurkunde in Verbindung mit dem Art. 109 sich nach dem Wort- 
laut nicht bestreiten läßt, so ergibt sich doch ebenso unzweifelhaft aus der Entstehungsge- 
schichte der erwähnten Artikel, daß jene Beschränkung des Steuerbewilligungsrechts ur- 
sprünglich nicht beabsichtigt war. Stände nämlich der Satzteil des Art. 109: „Die 
bestehenden Steuern und Abgaben werden forterhoben, bis sie durch ein Gesetz abgeändert 
werden“ nicht in der Verfassungsurkunde, so würde aus den Art. 99 und 100 folgen, 
daß das Recht der Volksvertretung auf Vereinbarung sowohl des jährlichen Budgets 
als auch der Steuererhebung ein uneingeschränktes, alljährlich von neuem ein- 
tretendes sein würde; die in Art. 100 enthaltenen Worte: „oder durch besondere Ge- 
setze angeordnet sind“ haben nämlich nicht bie Bedentung, daß unter diesen „besonderen 
Gesetzen“ die ganze Steuergesetzgebung zu verstehen sei, sondern ihr Sinn ist ledig- 
lich der, daß die Steuergesetzgebung die Grundlage des Staatshaushaltsetats bildet, so 
daß es also unmöglich ist, dem Staatshaushaltsetat diese seine gesetzliche Grundlage unter 
der Bezeichnung „besonderer Gesetze“ gegenüberzustellen.? Da indes jener Satzteil 
des Art. 109 bei der Revision der Verfassung aufrechterhalten worden ist, so ergibt 
sich, daß der Satzteil des Art. 109: „Steuern und Abgaben werden forterhoben, bis sie 
durch ein Gesetz abgeändert werden“, nachdem in dem vorhergehenden Art. 100 ge- 
sagt worden, „daß Steuern und Abgaben nicht erhoben werden dürfen, wenn sie nicht 
in den jährlich festzustellenden Staatshaushaltsetat ausgenommen sind“, den Satz des 
Art. 100 einfach aufhebt, und daß der Sinn besser ausgedrückt worden sein würde, 
wenn — unter Streichung des Satzteils des Art. 109 — der Art. 100 einfach lautete: 
„Steuern und Abgaben für die Staatskasse werden, wenn sie auch nicht in den Staats- 
haushaltsetat aufgenommen sind, auf Grund von Gesetzen erhoben und können nur durch 
Gesetze abgeändert werden.“ Der innere Widerspruch, in welchem hiernach der Art. 100 
mit dem Satzteile des Art. 109 steht, macht es schon an sich wahrscheinlich, daß der 
  
Aus den Art. 99 u. 100 der Verf. Urk. er= zu oktroyieren (vgl. hierüber auch Baumstark 
gibt sich unzweifelhaft, daß jede Steuerbewilli= in den Stenogr. Ber. der 1. K. 1850—51, Bd. II, 
gung nur durch ein nach Art. 62 vereinbartes S. 1329). 
Gesetz erfolgen kann und daß es vollkommen V9gl. die Rede des Abgeordn. Simson in 
unstatthaft ist, Steuern oder Steuererhöhungen den Stenogr. Ber. der 2. K. 1849—50, S. 412.
	        
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