Begriff und allgemeine Grundsätze. (§. 109.) 7
Die Beendigung eines Privilegiums kann erfolgen: a) durch Wiederaufhebung
seitens des Staates, welche, selbst wenn das Privilegium durch einen lästigen Vertrag
erworben worden, aus überwiegenden Gründen des gemeinen Wohles geschehen kann.
Die Aufhebung selbst muß in gleicher Weise wie die Begründung erfolgen; ob und
welche Entschädigung zu gewähren sei, entscheidet der Staat kraft seiner Souveränität,
kraft deren er auch bestimmt, ob hierfür vertragsmäßige Vereinbarung oder Einholung
eines Richterspruches stattfinden könne 1; b) durch Richterspruch wegen groben Miß-
brauches zum Schaden des Staates oder der Staatsbürger, falls ein solcher Richter-
spruch im Gesetze vorgesehen ist ?; c) durch Abgang des nur für seine Person Privi-
legierten, wogegen Realprivilegien mit der Sache auf jeden Besitzer übergehen, falls
nicht das Gegenteil ausdrücklich bestimmt ist 3; ch durch Trennung des Besitzers von
der Sache, bezüglich welcher das Personalprivileg verliehen ist; e) durch Ablauf der
bestimmten Zeit 5; t) durch Wegfall des bestimmten Endzwecks oder Eintritt der Be-
dingung 5; g) durch Entsagung, wenn kein anderer als der Entsagende ein Interesse an
dem Gebrauche des Privilegiums hat.7
Dagegen kennt das preußische Recht keinen Verlust der Privilegien durch Nicht-
gebrauch.
VI. Die Suspension eines Gesetzes, d. h. seine zeitweise Aufhebung, kann selbst-
verständlich nur durch ein Gesetz oder auf Grund eines solchen erfolgen.
VII. Dispensation ist die Aufhebung der Wirkungen eines Gesetzes für einen
bestimmten Fall. Während das Privileg das Gesetz selbst für bestimmte Personen oder
Personenklassen aufhebt, beseitigt die Dispensation nur die Wirkungen des Gesetzes im
Einzelfall. Aber auch diese Befugnis steht nur dem Gesetzgeber selbst bzw. den vom
Gesetzgeber hierzu ermächtigten Staatsorganen zu. 10 Der wichtigste Fall der Dispen-
sation ist die Begnadigung. Die Begnadigung ist freies und durch die Verfassung
Art. 19, Abs. 1 grundsätzlich anerkanntes Monarchenrecht. 11 Das Begnadigungsrecht
des Königs kann auf Behörden delegiert werden; dies ist allgemein für ganze Kategorien
von leichteren Fällen geschehen. ? Unter Abolition versteht man im Unterschied von
Dispensation die rechtliche Aufhebung eines Deliktes selbst zugunsten einer bestimmten
Person. Nach Verfassungsurkunde Art. 49, Abs. 3 ist eine solche für „bereits eingeleitete
Untersuchungen“ (St. P. O. 8. 154) nur durch Gesetz zulässig; bezüglich noch nicht
„eingeleiteter“ Untersuchungen gilt lediglich der Grundsatz, daß die Gerichte nur dem
Gesetz unterworfen sind; die Verhinderung der Einleitung, wo das Gesetz solche fordert,
kann demnach auch nur durch Gesetz erfolgen. 13
auf bezieht sich die Auslegungsregel des §. 54,
Einl. zum A.L. R. Außerdem darf der Dritte keinen
Nachteil haben. Denn ein Privileg, welches dem
Rechte eines Dritten schadet, gilt für erschlichen
oder für sub- et obreptitie emaniert (ogl.
Müller, Promptuarium, VI, S. 3, Note 3;
Gesetzrevision, Einl., S. 121, 122). Wolters,
De jure singulari, de privilegiis eorumque
collisione et praelatione inter se, 1809. Lü-
ders, Nähere Betracht. der Lehre von der Kon-
kurrenz mehrerer Privilegien, in Koppe, Nieders.
Arch. f. Jurisprudenz, 1788. 6
1 A. L. R., Einl., 8§. 70, 71. Uber die Frage
der Entschädigung s. Hubrich, im Verwaltungs-
archiv, Bd. XVI.
2 A. L. R., Einl., §. 72.
3 Ebenda, 8§. 63 u. 64. Ist ein Besitzer zur
Ausübung des Privilegiums unfähig, so ruht
das Recht (S. 65 a. a. O.).
4 A. L. R., Einl., §. 66.
5 Ebenda, §. 67.
* Ebenda, 88§. 68 u. 69.
7 Ebenda, 88. 105 u. 106.
3 Vgl. A. L. R., II, 9, §. 94.
" Bornhak?2, I, S. 566. Als Schulbeispiel
wird hierfür Art. 111 der Verf. Urk. zitiert, kraft
dessen nach näherer Vorschrift des Gesetzes ge-
wisse Artikel der Verf. Urk. suspendiert werden
können („Belagerungszustand“).
10 Bornhak:, I, S. 560 ff.; Arndt, Ver-
ordn. R., S. 228 ff.; Meyer-Anschütz, S. 652;
Hinschius-Kahl in v. Stengel-Fleischmanns
Wörterb. des Verw. R., I, S. 277. Uber Erlaß
von Steuern und Abgaben s. Ges. vom 11. Mai
1898 (sog. Komptabilitätsgesetz), §. 13; dazu.
Meyer-Auschütz, S. 653.
11 Bornhak'?, 1, S. 562 ff.; Arndt, Kom-
ment., S. 200 ff. und die dort zitierte Literatur.
Über die Begnadigung s. A. L. R., II, 13, §. 9;
St. P. O., §§. 484, 485; G. Meyer-Anschütz,
Lehrb., S. 652, Note 12.
12 Arndt, Komment., S. 205 ff.; Erlaß vom
20. Sept. 1897.
13 Bornhak:, I, S. 514, nimmt in diesem
Falle ein unbeschränktes Abolitionsrecht des Kö-
nigs an; dagegen Arndt, Komment., S. 203,
Note 4; Heimberger, Das landesherrl. Aboli-
tionsrecht, 1901.