Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Anleihen und Garantien. (§. 120.) 165 
streitig geworden, ob die Staatsregierung verpflichtet sei, bei Konvertierung oder außer- 
etatsmäßiger Kündigung von Staatsanleihen die Genehmigung der Volksvertretung 
vorher nachzusuchen. Das Abgeordnetenhaus hat dies Recht in Anspruch genommen.1 
Die Notwendigkeit der nachträglichen Genehmigung ist auch seitens des Finanz- 
ministers, und zwar schon aus dem Grunde zugegeben, weil die Zustimmung der Kam- 
mern zur Auszahlung der Konvertierungsprämie erforderlich sei; dagegen ist das Er- 
fordernis vorgängiger Genehmigung bestritten und behauptet worden, daß die Volks- 
vertretung ihre nachträgliche Genehmigung nicht verweigern dürfe, wenn der Staatskasse 
ein Vorteil durch die gesamte Operation erwachse. Das Abgeordnetenhaus hat sich in- 
des zur Rechtfertigung seiner Ansicht mit Recht darauf berufen, daß nach Art. 99 der 
Verfassungsurkunde alle Ausgaben des Staates im voraus in den Staatshaushaltsetat 
aufgenommen, daß insbesondere auch nach dem §. 7 des Gesetzes v. 24. Febr. 1850 
betreffend die Verwaltung des Staatsschuldenwesens die Bedürfnisse der Hauptverwaltung 
der Staatsschulden für jedes Jahr im voraus im Staatshaushaltsetat festgesetzt werden 
müssen, ferner, daß es sich hier nicht um unvorhergesehene Ausgaben handle, welche 
die Staatsregierung vorbehaltlich der Genehmigung der Kammern leisten dürfe, sondern 
um solche, zu denen ganz besondere Uberlegung der besonderen Verhältnisse nach allen 
Seiten hin erforderlich sei, und daß durch solche Operationen sehr erhebliche Belastungen 
der Staatskasse herbeigeführt werden könnten; auch komme dabei die Rücksicht auf den 
künftigen Staatskredit in Betracht. Nach allen diesen Richtungen hin aber habe die 
Volksvertretung das Recht, vorher befragt zu werden. Geschähe dies nicht, so kann 
wenigstens darüber kein Zweifel bestehen, daß den betreffenden Minister die volle Ver- 
antwortlichkeit für alle diejenigen Nachteile treffen würde, welche der Staatskasse aus 
der Operation erwachsen sollten.? 
Da die Ausgabe von Papiergeld lediglich die Kontrahierung einer unverzinslichen 
Staatsschuld ist, so kann es keinem Bedenken unterliegen, daß auch darauf die Bestim- 
mungen des Art. 103 der Verfassungsurkunde Anwendung finden; indes hatte schon der 
8. 1 des vorläufigen Bundesgesetzes v. 16. Juni 1870 3 bestimmt, daß von den Bundes- 
staaten nur auf Grund eines auf den Antrag der beteiligten Landesregierung erlassenen 
Bundesgesetzes Papiergeld ausgegeben oder dessen Ausgabe gestattet werden dürfe; §. 8 
des Reichsgesetzes v. 30. April 1874 betreffend die Ausgabe von Reichskassenscheinen“ 
hat demnächst endgültig vorgeschrieben, daß auch ferner nur auf Grund eines Reichs- 
gesetzes Papiergeld von den Bundesstaaten ausgegeben oder dessen Ausgabe gestattet 
werden darf. Wenn aber auf Grund dieser Bestimmungen dem preußischen Staate durch 
ein Reichsgesetz die Ausgabe von Papiergeld gestattet werden sollte, versteht es sich von 
selbst, daß (abgesehen von dem genehmigenden Reichsgesetze) Art. 103 der preußischen 
Verfassungsurkunde zur Anwendung kommen müßte und daß die Ausgabe solchen Papier= 
geldes bzw. die Gestattung der Ausgabe eines solchen auch noch der in der Form eines 
Gesetzes zu erteilenden Genehmigung der preußischen Kammern bedürfen würde.“ 
  
1 Vgl. den Beschluß des A. H. v. 11. Aug. 
1862 (Stenogr. Ber. des im J. 1862 neugewählten 
A. H. 1862, Bd. II, S. 1154 ff. und den Komm. 
und v. Schulze (Pr. St. R., Bd. II, S. 85). 
Inbezug auf die Bundesmarineanleihe v. 9. Nov. 
1867 hat übrigens der §. 1 des Bundesges. v. 
Ber. v. 2. Aug. 1862, ebendas. Bd. VI, S. 839 
—841), desgl. den Beschl. des A. H. v. 27. Mai 
1865 (Stenogr. Ber. des A. H. 1865, Bd. III, 
S. 2048, und den Ber. der Justizkomm. v. 27. Mai 
1865, Anl. Bd. VIII, Aktenst. Nr. 164, S. 1804). 
Vgl. über die Frage auch die Verhandl. des A. H. 
in der Sitz. v. 28. Jan.# u. 13. Febr. 1868 (Stenogr. 
Ber. des A. H. 1867—68, Bd. II, S. 1219 ff. u. 
Bd. III, S. 1598 ff., desgl. den (unerledigt ge- 
bliebenen] Antrag des Abgeordn. v. Bonin vom 
23. Jan. 1866 in den Stenogr. Ber. des A. H. 
1866, Anl. Bd., Nr. 24, S. 47). 
2 Vgl. hierzu Lasker in dem Aufsatz „Die 
Rentenkonversion“ in der Schrift: „Zur Ver- 
ifassungsgeschichte in Preußen"“, S. 349—355 
  
19. Juni 1868 (B. G. Bl. 1868, S. 339) aus- 
drücklich ausgesprochen, daß eine Konvertierung 
nur auf Grund eines dieselbe anordnenden oder 
zulassenden Gesetzes zulässig sein solle. 
3 B. G. Bl. 1870, S. 507. 
4 R. G. Bl. 1874, S. 40. 
5 Durch die (unter Bezugnahme auf den Art. 
63 der Verf. Urk. erlassene) V. v. 18. Mai 1866 
(G. S. 1866, S. 227) waren öffentliche Darlehns- 
kassen gegründet worden; im §. 2 dieser Verordn. 
war bestimmt, daß für den ganzen Betrag der 
aus diesen Kassen bewilligten Darlehne, ein be- 
sonderes Geldzeichen unter der Benennung „Dar- 
lehnskassenscheine“ ausgegeben werden solle, welche 
in Zahlungen die Stelle des baren Geldes ver-
	        
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