180 Staat und. Kirche. (8. 124.)
Das verheißene Gesetz ist bis jetzt nicht ergangen.! Zwar hatte der Minister der geist-
lichen Angelegenheiten anfänglich wiederholt erklärt, daß ein solches Gesetz bereits voll—
ständig ausgearbeitet sei und den Kammern baldigst vorgelegt werden solle?; allein später
wurde von dem Minister ausgesprochen, daß ihm die Ausführung des Art. 17 der Ver-
fassungsurkunde sehr fern liege.3 Vom Abgeordnetenhause wurde sodann am 4. Okt. 1862
der Beschluß gefaßt, „die Staatsregierung um Vorlegung eines Gesetzes zur Ausführung
des Art. 17 zu ersuchen“." Der Minister der geistlichen Angelegenheiten erklärte bei
dieser Beratung, daß es sich bei dem Patronat und bei der Frage seiner Aufhebung
oder Ablösung um ein Rechtsverhältnis handele, in welchem zwei inkommensurabele
Größen, nämlich die Verpflichtungen des Patronates, welche sich in der Regel auf Geld
reduzieren ließen, und die Rechte, welche sich nicht auf Geld reduzieren ließen, konkurrierten,
so daß ein Ablösungsmaßstab schwer zu finden sei, und daß schon die bestehende Gesetzgebung
die Möglichkeit einer Aufhebung des Patronates gestatte; denn wenn der Patronat-
berechtigte und die Gemeinde hierüber einig seien und unter sich einen Ausgleichungs-
maßstab fänden, der zugleich die Existenz der Kirche und der Gemeinde nicht gefährde,
so könnten die Behörden eine solche Ausgleichung genehmigen, und grundsätzlich sei das
Kirchenregiment dem Übergange des Patronates auf die Gemeinde oder eine andere Kor-
poration und einer Ausgleichung im Wege der Verständigung nicht entgegen; allein der
Erlaß eines allgemein gültigen Gesetzes über den Gegenstand stoße auf unüberwindliche
Schwierigkeiten.? Als nun die Staatsregierung dem Beschluß des Abgeordnetenhauses
v. 4. Okt. 1862 keine weitere Folge gab, beschloß dieses am 10. Dez. 1869, die
Staatsregierung aufzufordern, zur Ausführung des Art. 17 der Verfassungsurkunde eine
im Präsentationsrechte enthaltenen Beschränkung
des an sich zur Verleihung berechtigten Organs
mit einem Verbote entgegentrete, eben weil es
sich hier um eine innere, der Einwirkung des
Staates entzogene Frage handle. Dagegen habe
allerdings das Patronat, wie es geschichtlich ent-
wickelt sei, in vielen Fällen wirkliche übelstände
zur Folge gehabt und werde, besonders in der
evangelischen Kirche, nicht nur von vielen Ge-
meinden, sondern auch von Patronen als ein
lästiges Institut betrachtet. Insbesondere sei das
fiskalische Patronat mit der veränderten Stellung
des Staates zur Kirche nur schwer vereinbar.
Deshalb sei das Institut einer Anderungi im Wege
der Gesetzgebung bedürftig, weshalb in der Verf.
Urk. hierauf hinzuweisen sei. Anschütz, Verf.
Urk., S. 346 f.
1 Daher Fortgeltung des 8. Abschn. des A. L.
R. II, 11: Von Kirchenpatronen (88.568—617);
Hinschius, Preuß. Kirchenrecht, S. 371 ff. Vgl.
auch Verordnung wegen Verwaltung des Patro-
natrechts über christl. Kirchen auf solchen Gütern
und Grundstücken, die sich im Besitztum jüdischer
Glaubensgenossen befinden, v. 30. Aug. 1816 (G.
S. 1816, S. 207) und Gesetz über die perfön-
liche Fähigkeit zur Ausübung der Rechte des
Patronats v. 8. Mai 1837 (G. S. 1837, S. 99).
2 Erklär. des Min. d. geistl. Ang. in den
Stenogr. Ber. der 1. K. 1849—50, Bd. III, S.
1021 und der 2. K. 1849—50, Bd. II, S. 1176,
ferner die Zirk. R. v. 6. Jan. 1849 (Nr. 3) und
v. 1. März 1849 (M. Bl. d. i. Verw. 1849, S. 265,
7.
3 Ber. der 9. Komm. des H. H. v. 24. März
1854, Stenogr. Ber. des H. H. 1853—54, Bd. II,
S. 250. — Im H. H. hatte dessen Mitglied
v. Prittwitz am 17. Febr. 1854 den Antrag ge-
stellt: „Die Staatsregierung um Vorlegung eines
Gesetzes zu ersuchen, nach welchem das Privat-
patronatrecht über Kirche und Schule in den
Fällen an den Staat gegen Entschädigung für
die zu übernehmenden Lasten übergeht, wo die
Gutssubstanz entweder durch Zerstückelung oder
durch Ablösung der Zinsen und Reallasten ver-
loren gegangen ist.“ Diesen Antrag empfahl
das H. H. am 31. März 1854 der Staatsregie-
rung in der Art, daß diese ersucht werde, die
Mißstände des Privatpatronatrechtes über Kirche
und Kirchschule in den gedachten Fällen in Er-
wägung zu ziehen und ihnen im Verwaltungs-
wege oder im Wege der Gesetzgebung Abhilfe zu
verschaffen (Drucks. des H. H. 1853—54, Bd. III,
Nr. 218, Stenogr. Ber. 1853—54, Bd. II, S.
537 ff., Bd. III, S. 249 ff.).
4 Nachdem das Haus der Abgeordn. früher (1856,
1861) über Petitionen, welche auf Aufhebung des
Patronats gerichtet waren, zur Tagesordnung über-
gegangen war, beschloß es im Jahre 1862 ein-
stimmig, eine Petition, welche dahin ging, „das
Staatsministerium um Vorlegung eines Gesetz-
entwurfs zur Ausführung des Art. 17 der Verf.
Urk. zu ersuchen“, der Staatsregierung zur Berück-
sichtigung zu überweisen (Ber. der Petitionskomm.
v. 28. Aug. 1862, Stenogr. Ber. des A. H. 1862,
Bd. VII, Nr. 124, S. 1144—46; Verhandl. im
Plenum am 4. Okt. 1862, Stenogr. Ber. 1862,
Bd. IV, S. 2079—81).
5 Erklär. des Min. d. geistl. Ang. in den
Stenogr. Ber. des A. H. 1862, Bo. IV, S. 2079.
— Die (oben S. 179, Anm. 3) mitgeteilte Ent-
stehungsgeschichte des Art. 17 ergibt übrigens klar,
daß man bei Erlaß der Verf. Urk. nicht daran
gedacht hat, die Patronatrechte zu erhalten, son-
dern daß man deren sofortige (unentgeltliche) Auf-
hebung nur aus dem Grunde einem besonderen
Gesetze vorbehielt, weil dieselbe nicht ohne Berück-
sichtigung der Patronatlasten erfolgen konnte.