182 Staat und Kirche. (§. 125.)
§. 125.
C) Der Schutz der Religionsgesellschaften.
Das Schutzrecht des Staates über die Kirchen und Religionsgesellschaften (jus ad-
Vocatiae s. protectionis) enthält die Befugnis und Verpflichtung des Staates, die
Kirchen und Religionsgesellschaften in den ihnen gewährten Rechten zu erhalten, ihnen
den weltlichen Arm (brachium Saeculare)? zu leihen, wo sie dessen bedürfen, und in
streitigen, nicht anders zu erledigenden Verhältnissen selbst die Entscheidung zu treffen.
Der Staat hat demzufolge zunächst die Pflicht, die Kirchen und übrigen Religionsgesell-
schaften bei ihrer Verfassung zu schützen und in ihrer rechtlichen Stellung dadurch zu.
erhalten, daß ihnen der Rechtsweg zur Geltendmachung ihrer Rechte offen gehalten oder
diesen Rechten nach Lage des Falles auf administrativem Wege Schutz gewährt wird.
Der Staat hat ferner die Pflicht, polizeilich, erforderlichen Falles auch strafrechtlich die
Kirchen und Religionsgesellschaften gegen Verunglimpfung, gegen Herabwürdigung ihrer
kirchlichen Lehren und Gebräuche und gegen die Störung ihres Gottesdienstes zu schützen."“
Der Staat ist berechtigt, die Heilighaltung der Sonn= und Feiertage 5 und die Begräb-
1 Hinschius, Staat u. Kirche, S. 251, 267 f.,
363, 369; Thudichum, Kirchenrecht, Bd. II,
S. 1 ff.; Richter-Dove-Kahl, §. 101; Kahl,
Lehrsystem, S. 380 ff. mit eingehenden Literatur-
angaben; Stutz a. a. O., S. 402, 406 f.; Schoen,
Kirchenrecht, Bd. I, S. 173—175, 188; Anschütz,
Verf. Urk., Bd. I, S. 247 ff., 273 f.; Kahl, Art.
Kirchenhoheit in v. Stengel-Fleischmanns W. St.
V. R. 2, Bd. II, S. 575.
* Staatliche Vollstreckungshilfe z. B. bei der
Einziehung der Kirchensteuern, bei der Voll-
streckung der Disziplinarmaßregeln.
* àa) Diese Pflicht des Staates folgt schon aus
dem allgemeinen Grundsatze des A. L. R., II,
13, §. 2: „Die vorzüglichste Pflicht des Ober-
hauptes im Staate ist, sowohl die äußere als innere
Ruhe und Sicherheit zu erhalten und einen jeden
bei dem Seinigen gegen Gewalt und Störungen zu
schützen.“ Speziell ist im A.L. R. voneiner Schutz-
pflicht des Staates gegenüber der Kirche nicht die
Rede; wohl aber haben in Teil II, Tit. 11: „Von
den Rechten und Pflichten der Kirchen“ verschiedene
daraus entspringende einzelne Bestimmungen Auf-
nahme gefunden, z. B. S. 53: Sind (äußere) Strafen
zur Aufrechthaltung der Ordnung, Ruhe und
Sicherheit in der Kirchengesellschaft notwendig,
so muß die Verfügung der vom Staate gesetzten
Obrigkeit überlassen werden. §. 56: Wenn über
die Rechtmäßigkeit der Ausschließung (des Mit-
gliedes einer Kirchengesellschaft) Streit entsteht,
so gebührt die Entscheidung dem Staat. §. 178:
Durch Errichtung neuer Kirchen sollen die Rechte
oder vom Staate genehmigten Verfassungen an-
derer schon vorhandenen Kirchengesellschaften nicht
beeinträchtigt werden. Vgl. auch §§. 239, 240,
309—311.
b) Für Hannoverhats.64 des Landesverfassungs-
ges. v. 6ö. Aug. 1840 (G. S. für Hannover 1840,
Abt. I, S. 141 ff.) ausgesprochen, „daß dem Könige,
kraft der ihm zustehenden Staatsgewalt, über
beide Kirchen das Oberaufsichts= und Schutzrecht
gebührt“. Ebenso bestimmt §. 133 der Verf. Urk.
für Kurhessen v. 5. Jan. 1831 (G. S. für Kur-
hessen 1831, S. 1 ff.), „daß die Staatsregierung die
unveräußerlichen hoheitlichen Rechte des Schutzes
und der Oberaufsicht in ihrem vollen Umfange
ausübt“.
4 Reichsstrafgesetzbuch §. 166: Wer dadurch, daß
er öffentlich in beschimpfenden Außerungen Gott
lästert, ein Argernis gibt, oder wer öffentlich eine
der christlichen Kirchen oder eine andere mit
Korporationsrechten innerhalb des Bundesgebietes
bestehende Religionsgesellschaft oder ihre Einrich-
tungen oder Gebräuche beschimpft, ingleichen wer
in einer Kirche oder in einem anderen zu religiö-
sen Versammlungen bestimmten Orte beschimpfen-
den Unfug verübt, wird mit Gefängnis bis zu
drei Jahren bestraft. §. 167: Wer durch eine Tät-
lichkeit oder Drohung Jemand hindert, den Gottes-
dienst in einer im Staate bestehenden Religions=
gesellschast auszuüben, ingleichen wer in einer
Kirche oder in einem anderen zu religiösen Ver-
sammlungen bestimmten Orte durch Erregung.
von Lärm oder Unordnung den Gottesdienst oder
einzelne gottesdienstliche Verrichtungen einer im
Staate bestehenden Religionsgesellschaft vorsätzlich
verhindert oder stört, wird mit Gefängnis bis zu
drei Jahren bestraft. Vgl. ferner §§. 243 Nr. 1,
304, 306 Nr. 1, 339, Abs. 3. Dazu besonders
Kahl, Lehrsystem, S. 388 ff.; Kohlrausch, Die
Beschimpfung von Religionsgesellschaften, 1908;
Kahl in der Vergl. Darstellung des deutschen und
ausländischen Strafrechts, Bd. III, 1906.
5 A. L. R., II, 11, §. 34: Die Anordnung
öffentlicher Bet-, Dank= und anderer außer-
ordentlicher Festtage hängt allein vom Staate ab.
§. 35: Inwiefern die bereits angeordneten Kirchen-
feste mit Einstellung aller Handarbeiten und
bürgerlichen Gewerbe begangen werden sollen,
kann nur allein der Staat bestimmen. Ausfüh-
rungsbestimmungen dazu bei Hinschius, Preuß.
Kirchenrecht, S. 19 ff., Anm. 41—43. Vgl. ferner
Kab. O. v. 7. Febr. 1837 (G. S., S. 19), St.
G. B. §. 366, Nr. 1, die gewerberechtlichen Vor-
schriften über die sog. Sonntagsruhe (N. Gew. O.
SS. 41 a, 41 b, 55 a, 105a—105 (, 134b Nr. 2,
136, 1463 Kinderschutzgel. v. 30. März 1903,
88. 9, 13), Kab. O. v. 5. Juli 1832 (G. S., S.