188 Staat und Kirche. (8. 127.)
kommen. Die Verfassung der evangelischen Kirche im preußischen Staate hat sich nun
in verschiedener Weise in den östlichen und westlichen Provinzen entwickelt.? In jenen
hat sie sich, was die Lutheraner betrifft, als Konsistorialverfassung, was die Refor-
mierten anbelangt 32, mehr als Presbyterialverfassung gestaltet. In Rheinland und
Westfalen" dagegen hat sie später (auf Grund der Kirchenordnung v. 5. März 1835)5
eine teils auf der Konsistorial-, teils auf der Presbyterialverfassung beruhende Organi-
sation erhalten. Als im Jahre 1808 eine völlige Umgestaltung des staatlichen Organis-
mus eintrat, wurde auch die kirchliche Organisation in den Kreis der Reformen gezogen.
Das Publikandum v. 16. Dez. 1808 betreffend die veränderte Verfassung der obersten
Staatsbehörden und die Regierungsinstruktion vom 26. Dez. 1808 6 gingen von der
Auffassung aus, daß die Leitung des Kirchenwesens und des öffentlichen Unterrichtes als
Zweig der allgemeinen Landeswohlfahrt denjenigen Behörden überwiesen bzw. unter-
geordnet werden müsse, welche diese Landeswohlfahrt in ihrem ganzen Umfange zu pflegen
haben, und daß das Bestehen besonderer Behörden für das Kirchen= und Schulwesen
überflüssig, ihre Verschmelzung mit den allgemeinen Staatsbehörden hingegen geboten sei.
rarum v. 1621, für Neuvorpommern die Kons. Schoen, Kirchenrecht, Bd. 1, S. 65 ff. — Auch die
Instr. v. 1681, für Schlesien besondere Kirchen= in den Jahren 1826—1837 unternommene Re-
ordnungen für die einzelnen Distrikte, sowie die vision des landrechtlichen Kirchenrechts hat zu
Inspektions-, Presbyterial-Ordn. v. 1742, für keinem abschließenden Ergebnis geführt. Niedner
Sachsen die Kab. O. v. 1580 nebst mehreren Kirchen= im Verw. Arch., Bd. XVII, S. 71 ff.
ordn. für einzelne Teile, wie für Magdeburg und : Ubersicht über die Entwicklung bei Richter,
Mannsfeld v. 1688, revidiert 1739, Eichsfeld v. Beitr. zum preuß. Kirchenrecht, herausgegeben von
1669. — Uber die Kirchenordnungen Jakobson, Hinschius, S. 38—62; Schoen, a. a. O.,
Evangel. Kirchenrecht, §§. 11—19, S. 22 ff.; S. 11 ff.
Schoen, Bd. I, S. 144. 3 Inspektions-Presbyterial-Klassikal-Gymna=
1 Bei der Entwicklung der rechtlichen Grund= sien= und Schulordn. v. 24. Okt. 1713; Mylius,
lagen einer kirchl. Gemeindeverfassung ist das C. C. M., Bd. I, 1, S. 447 ff.
A. L. R. auf dem äußerlich juristischen Stand- 4 Jakobson, Gesch. der Quellen des Kirchen-
punkte stehen geblieben. Die kirchliche Gemeinde= rechts des preuß. Staates, Tl. IV, Bd. 3, 1844.
ordnung des A. L. R. hat um so weniger eine 5 Diese „Kirchenordn. für die evangel. Gemeinen
rechte Entwicklung gefunden, als auch hier die der Provinz Westfalen und der Rheinprovinz“ hat
stete Verweisung auf die zunächst zur Anwendung alle früheren entgegengesetzten Bestimmungen
kommende besondere Orts= und Gemeindeverfas= außer Kraft gesetzt. Die Kab. O. ist später abge-
sung und auf die durch Provinzialgesetze oder ändert worden durch den auf Grund der Allerh.
andere Partikularrechtsquellen begründeten Ver= Order v. 13. Juni 1853 ergangenen Erlaß v.
schiedenheiten der kirchlichen Organisation ihr den 25. Aug. 1853 und durch die Kirchenges. v.
Boden versagte. Nur bezüglich des eigentlichen 27. April 1891 und 5. Jan. 1908. Schoen,
Kirchenrechts ist daher das A. L. R. von Wichtig-= Bd. II, S. 666. Ausgaben: Schmitz, 1837;
keit. Zu beachten ist jedoch, daß wichtige Stücke Blume (Coder des rhein. evangel. Kirchen-
der alten Konsistorialordnungen, wie das Ehe= rechts), 1870; Müller-Schuster, 1892;
recht und die Kirchendisziplin, durch das A. L. àS. Bluhme-Hälschner-Kahls, 1891; Richter,
beseitigt worden sind, daß die Konsistorialordnungen 1908; Lüttgert (Evangel. Kirchengesetze der
selbst von der hohen Stelle einer Landesord= preuß. Landeskirche, bes. in Rheinland und West-
nung, die sie früher einnahmen, durch die Ent= falen), 1911.
wicklung des preuß. Staates zu Provinzial- * G. S. 1806—10, S. 361 ff., 464 ff.
ordnungen herabgesunken sind und damit *7 In gleichem Sinne war im HKönigreich
ihre Bedeutung für die Verfassung der Landes= Preußen bereits 1722 eine besondere Kirchen= und
kirche zum großen Teile verloren haben; eine Schulkommission getrennt von dem ordentlichen
Folge davon ist die Bestimmung des A. L. R. Konsistorium errichtet und mit der Verwaltung
(II, 11, §§. 145, 146), daß sämtliche Konsi= des kirchl. Vermögens beauftragt worden (Jakob-
storien der Protestanten unter der Oberdirektion son, Gesch. der Quellen des Kirchenrechts, Bd. II,
des dazu verordneten Departements des Staats= S. 91 ff.). In Süd= und Neuostpreußen und in
ministeriums stehen, ohne dessen Vorwissen und dern durch den Reichsdep.-Hauptschluß v. 25. Febr.
Genehmigung in Kirchensachen keine Veränderung 1803 der Monarchie angefallenen Entschädigungs-
vorgenommen werden, noch weniger neue Kirchen= gebieten war von der Einrichtung lutherischer
ordnungen eingeführt werden können. — Über den Konsistorien ganz abgesehen und sämtliche geist-
allgemeinen Standpunktderlandrechtlichen Kirchen= liche Sachen dem Ressort der Kriegs= und Domänen=
gesetzgebung, welche in Tl. II, Titel 11 nieder= kammern überwiesen worden (Regl. v. 15. Dez.
gelegt ist, vgl. Laspeyres, Geschichte der heutigen 1795, 9§. 4, 54; v. 3. März 1797, s. 4 Nr. VIII,
Verfassung der kathol. Kirche Preußens, Tl. I, 88. 5,6; v. 2. April 1803, §. 3, Nr. 2, §. 5 Nr. 8
S. 457 ff.; Jakobson, Evangel. Kirchenrecht, 5.8S, u. 9; Rabes Sammlung, Bd. VII, S. 348;
S. 23 ff.; Richter, Beitr. zum preuß. Kirchenrecht, Schoen, Bd. I, S. 66 f.). Ebenso erfolgte in
statuta synodica v. 1574, die leges praepositu- herausgegeben von Hinschius, S. 12— 18;