194 Staat und Kirche. (8. 127.)
durch ein beigefügtes Ressortreglement näher bezeichneten Funktionen unter der neuen
Bezeichnung zu einer vom Kultusministerium ganz unabhängigen obersten Kirchenbehörde
ausgestaltet wurde. Der Erlaß betont, daß der evangelische Oberkirchenrat bereits die
endgültige Oberbehörde der evangelischen Kirche sei. Im Ressortreglement wurde wenig
geändert, namentlich verblieb die höhere Verwaltung aller Externa dem Minister der
geistlichen Angelegenheiten. Von besonderem Interesse ist der Inhalt der dem Erlaß
beigefügten Motive. Unter Berufung auf die „amtlichen Gutachten"“ erklären sie die
Berufung einer konstituierenden Generalsynode für weder angemessen noch rechtlich not-
wendig, um die Selbständigkeit der Kirche gemäß der Verfassungsurkunde zu vermitteln,
sondern das Fortbestehen des landesherrlichen Kirchenregiments als mit dem
Art. 15 der Verfassungsurkunde vollkommen vereinbar. Dagegen seien von der kirch-
lichen Verfassung alle aus dem Territorialprinzip hervorgegangenen Beimischungen ab-
zustreifen und das landesherrliche Regiment auf die Idee der Reformation zurückzuführen,
wonach es nicht ein Amt der Beherrschung, sondern ein Dienst sei, welcher von dem
vornehmsten Gliede der Kirche zu Ehren Gottes durch Schutz und Fürsorge ge-
leistet werde.“ Allerdings sei die Verwaltung der Kirche durch den Minister nicht mehr
möglich. Da aber eine konstituierende Synode nicht statthaft sei und die Kirche einer
Spitze nicht entbehren könne, so müsse eine kirchliche Zentralbehörde geschaffen werden,
wozu der König das Recht habe. Als diese Zentralbehörde ist eben der „Evangelische
Oberkirchenrat“ eingesetzt worden. — Noch bestimmter hat sich nach dem Rücktritt des
der selbständigen Kirche. Sie griff allenthalben
über das Gebiet der Verwaltung hinaus in die
Gesetzgebung ein, so insbes. durch eine Reihe
von Verordnungen über Union, Agende, Dissi-
plin, Eidesleistung, Ehe und Taufe. Dies ver-
anlaßte die 2. Kammer, sich bei der Revision der
oktroy. Verf. Urk. nicht mit deren Art. 12 zu be-
gnügen, sondern zur Verbürgung einer sinnge-
mäßen Ausführung eine Ubergangsbestimmung
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folgenden Inhalts anzunehmen: „Das landes- der Kirche vergeblich nach den Tatsachen suchen,
herrliche Kirchenregiment hat die Überleitung der
evangelischen Kirche zu einer selbständigen Ver-
fassung herbeizuführen, damit sie die ihr im
Art. 12 überwiesenen Rechte übernehmen und
ausführen könne"“ (Stenogr. Ber. der 2. K. über
die Sitz, v. 14. Nov. 1849, S. 1169—1171).
Diesen Ubergangsartikel ließ die 2. K. demnächst
zwar bei der Vereinbarung mit der 1. K. wieder
fallen, aber nicht um seinen Inhalt aufzugeben,
sondern aus formellen Rücksichten (Stenogr. Ber.
der 2. K. 1849—50, S. 1759—1762); der Min.
d. geistl. Ang. erklärte bei dieser Gelegenheit
(a. a. O., S. 1159), daß er dasjenige, was der
erwähnte Übergangsartikel begehre, für eine Ver-
pflichtung der Regierung anerkenne.
1 Der Min. d. geistl. Ang. behielt auch hier-
nach noch die frühere Doppel stellung, daß er
in seiner Eigenschaft als Staatsminister das
dem Staate zustehende jus circa sacra, gleich-
zeitig aber auch auf Grund des Allerh. Erlasses v.
26. Jan. 1849 und des Ressortregl. v. 29. Juni
1850 einen großen Teil des der Kirche gehöri-
gen jus Ssacrorum namens der Kirche und für
diese verwaltete. Die Unstatthaftigkeit des Fort-
bestehens dieser Einrichtung und die Unverein-
barkeit mit Art. 15 der Verf. Urk. hat der Ev.
O. K. R. in einer besonderen Denkschrift vom
4. Dez. 1851 dargetan und die Notwendigkeit
der Errichtung eines eigenen kirchlichen Organs
zur Verwaltung des gesamten jus sacrorum
der jang l. Kirche gezeigt (Aktenst. aus der Verw.
des O. K. R., Bd. I, Heft 4, S. 35—42).
2 Vgl. S. 192, Anm. 2.
3 Dies wird aus kirchlichen und politischen
Gründen zu rechtfertigen gesucht und in recht-
licher Beziehung dann (S. 24) bemerkt: „Es
ging die Ansicht, daß sich in einer verfassung-
gebenden Synode der Wille der Kirche zu be-
zeugen habe, von der Voraussetzung aus, daß
das bestehende Regiment der Kirche seine Berech-
tigung verloren habe. Da wir nun im Innern
durch welche eine Umgestaltung von so tief ein-
gureifenden Folgen bedingt worden sein könnte,
so werden wir auf das Gebiet des Staates ver-
wiesen, und mit dem allgemeinen Satze ver-
tröstet, daß nach der konstitutionellen Theorie die
fernere Dauer des landesherrlichen Kirchenregi-
ments nicht zulässig erscheine. In der Tat ist
es jetzt, nachdem die politische Verfassung festge-
stellt ist, kaum noch nötig, auf diese Seite der
Betrachtung einzugehen, weil die Entscheidung
der hier vorliegenden Frage nicht mehr bloß in
einer Theorie, welche sich jeder nach seiner Weise
zurechtlegen konnte, sondern lediglich in dem Ge-
setze zu suchen ist. Dieses hat aber nir-
gends die Unzulässigkeit des landes-
herrlichen Kirchenregiments ausgespro-
chen, sondern es hat sich darauf beschränkt und
beschränken müssen, der Kirche das Recht auf
selbständige Ordnung ihres Lebens zu sichern.“
4 Die Motive führen hierzu (S. 25) aus,
„daß die bezeichnete Stellung des Landesherrn
in der Kirche kein Hemmnis, sondern eine Bürg-
schaft der Freiheit der Kirche sei und daß gerade
darin das Ziel der Verfassungsentwick-
lung und die Hilfe gegen etwaige Kon-
flikte, welche durch die Vereinigung der Staats-
und Kirchengewalt in der Person des Landes-
herrn gegenüber der jetzigen Form der Staats-
verfassung allerdings leichter als früher entstehen
können, gesucht werden müsse".