Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Evangelische Kirche. (8. 127.) 195 
Ministers v. Ladenberg der Minister v. Raumer über den Standpunkt ausgesprochen!, 
welchen die Staatsregierung dem Art. 15 der Verfassungsurkunde gegenüber hinsichtlich 
der Selbständigkeit der evangelischen Kirche einnahm. Dieser Standpunkt, welcher mit 
dem neuen System vollständig bricht und das frühere, teilweise schon wieder hergestellte 
noch befestigen will, ist folgender. Die Vollziehung der Selbständigkeit für die evan- 
gelische Kirche fordert gar nicht den Wegfall der bisherigen und die Herstellung einer 
meuen Verfassung. Denn ihre Verfassung ist eine kirchliche, das landesherrliche Regiment 
ein wirkliches Kirchenregiment. Dieses landesherrliche Kirchenregiment ist mit einer äußeren 
Beherrschung der Kirche nicht zu vergleichen. Denn der Landesherr steht in der Kirche, 
er führt das Regiment in ihr als ihr lebendiges, als ihr hervorragendes Glied. 
Die evangelische Kirche wird von ihm regiert, aber nach den bestimmten Gesetzen der 
Kirche durch festgeordnete Behörden. Diese Behörden 2, die der König als Träger der 
Kirchengewalt ernennt, sind wirkliche kirchliche Behörden, wahrhafte Organe der Kirche, 
deren rechtmäßige Vertreter. Art. 15 der Verfassungsurkunde bedarf daher gar keiner 
weiteren Ausführung, sondern die evangelische Kirche ist bereits selbständig, hat bereits 
ihre Verfassung. Die Staatsgewalt aber hat gerade um des Art. 15 willen keine Be- 
fugnis, an dieser rechtsbeständigen Verfassung etwvas zu ändern. Niemals wird für die 
evangelische Kirche eine konstituierende Synode berufen werden, denn hierdurch würde ihr 
wohlbegründeter Rechtszustand in Frage gestellt, ihr Bestehen dem Zufall preisgegeben 
werden.3 Auf Grund dieser Erwägungen unterblieben von nun an, was die evangelische 
Kirche betrifft, alle weiteren Schritte zur Ausführung des Art. 15 der Verfassungsurkunde. 
Als nach der Entlassung des Ministeriums v. Manteuffel der Minister v. Bethmann 
Hollweg das Ministerium der geistlichen Angelegenheiten überkommen hatte 4, nahm dieser 
seinen Ausgangspunkt in den Vordersätzen seines Vorgängers (daß das Kirchenregiment 
des Landesherrn als praecipuum membrum der evangelischen Kirche und die Behörden, 
welche der Landesherr zur Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten einsetzt, den Kern 
der selbständigen Kirchenverfassung bilden), aber um von hier aus zu einer kirchlichen 
Repräsentation und dadurch zu einer Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche zu 
gelangen.5 Während v. Raumer eine Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche nicht 
für erforderlich erachtete, verlangte v. Bethmann Hollweg solche auf dem Gebiete der 
Externa. Während v. Raumer das Heil der Kirche in der Befestigung des Oberkirchen- 
rats und der Konsistorien erblickte, wollte v. Bethmann Hollweg Synoden eingeführt wissen, 
welche von dem Kirchenregimente stufenweise zu schaffen seien.“ Schon durch den er- 
wähnten Allerh. Erlaß v. 29. Juni 1850 '8s hatte der König dem vom Minister der geist- 
lichen Angelegenheiten und der (damaligen) Abteilung dieses Ministeriums für die inneren 
  
1 In der Sitz. der 2. K. v. 8. Febr. 1851 
(Stenogr. Ber. 1851, Bd. I, S. 180 f.). Vgl. 
auch die Erklär. des Min. v. Raumer in den 
Sitz. der 2. K. vom 18. Febr. 1851 (a. a. O., 
S. 294 .) und vom 24. Febr. 1852 (Stenogr. 
Ber. 1851—52, Bd. I, S. 483 ff.). 
2 Die Superintendenten, die Konsistorien und 
der Oberkirchenrat. 
3 Mit diesen Ansichten des Min. v. Raumer 
war jedoch König Friedrich Wilhelm IV. so wenig 
einverstanden, daß er in Gemeinschaft mit dem 
O. K. R. die Bildung einer Synodalverfassung 
aus allen Kräften zu befördern sich bereit er- 
klärte und im Jahre 1856 erneute Anordnungen 
dazu treffen ließ (vgl. Richter, König Friedrich 
Wilhelm IV. und die Verfassung der evang. Kirche, 
1861). In diesem Sinne hat auch König Wil- 
helm schon als Prinzregent in Ubereinstimmung 
mit dem Min. v. Bethmann Hollweg die 
Angelegenheit weitergeführt (Jakobson, Evan- 
gelisches Kirchenrecht, §. 24, S. 116). 
4 Allerh. Erlaß v. 6. Nov. 1858 (M. Bl. d. 
i. Verw. 1858, S. 221). 
  
5 In diesem Sinne hatte der nachmalige Min. 
v. Bethmann Hollweg sich bereits als Mit- 
glied der (vormaligen) 1. K. in der Sitz. v. 
4. Okt. 1849 (Stenogr. Ber. der 1. K. 1849 
—50, Bd. II, S. 996—997) und als Mitglied 
der 2. K. in der Sitz. v. 6. Mai 1853 (Stenogr. 
Ber. der 2. K. 1852—53, Bd. III, S. 1385— 
1387) ausgesprochen. 
6 Ahnlich wie v. Ladenberg sich zuletzt auf 
dieses Gebiet beschränkte. 
* In diesem Sinne sprach sich auch der von 
v. Bethmann Hollweg gegengezeichnete Be- 
scheid des damaligen Prinzregenten vom 4. Jan. 
1860 auf die Petition des Dr. Jonas und Gen. 
vom 5. Mai 1859, betr. die Selbständigkeit der 
evangel. Landeskirche, aus; vgl. den Bescheid in 
der Schrift von Krause, Uber die Petition von 
Dr. Jonas und Gen., betr. die Selbständigkeit 
der preuß. evangel. Landeskirche an Se. Königl. 
Hoheit den Prinzregenten gerichtet unter dem 
5. Mai 1859. 
8s G. S. 1850, S. 343. 
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