222 Staat und Kirche. (§. 130.)
der Umfang der bischöflichen Gewalt näher bestimmt. Dagegen wird der über den Bi-
schöfen stehenden Oberen, der Erzbischöfe und des Papstes, nicht gedacht; der päpstliche
Supremat wird staatlich ignoriert und lediglich als Privatangelegenheit der katholischen
Kirche angesehen; es wird daran festgehalten, daß die Staatsregierung es nur mit in-
ländischen Kirchenoberen zu tun hat. Dem bischöflichen Kirchenregiment entzieht die
landesrechtliche Gesetzgebung kein zur Regierung der Kirche erforderliches Recht.
Da sich unter den infolge der Wiener Kongreßakte von Preußen neuerworbenen
Gebieten in Westfalen und am Rhein viele Länder überwiegend katholischer Bevölkerung
befanden, deren Kirchenverfassung seit der Säkularisation von 1803 noch nicht endgültig
geordnet war, bedurfte es notwendig einer Regelung dieser Verhältnisse. Da in den
westlichen Provinzen die frühere katholische Kirchenverfassung völlig aufgelöst war, wurde
angenommen, daß zur Neuregelung die Mitwirkung des römischen Stuhles nicht zu
entbehren sei, weil die Errichtung neuer und die Aufhebung alter Bischofssitze, die
Abgrenzung der Diözesen, die Einteilung der bischöflichen Sprengel, Bestätigung, Weihe
und kanonische Institution der neu gewählten Bischöfe 1 zu den unbestrittenen Rechten
des Papstes gehörte. In dem auf evangelischer Grundlage erwachsenen paritätischen
Staate Preußen wurde indes die Regulierung dieser Angelegenheiten durch ein förmliches
mit der römischen Kurie abzuschließendes Konkordat für unzulässig erachtet. Unter
Vermeidung aller Verhandlungen über grundsätzliche Fragen des Staatskirchenrechtes wurde
lediglich eine den Erlaß einer Zirkumstkriptionsbulle bedingende Ubereinkunft getroffen.
Die auf diese Weise entstandene Bulle De salute animarum v. 16. Juli 18213 be-
schränkt sich auf die neue Umgrenzung der Diözesen, die Verfassung und Besetzung der
Kapitel, ihre Dotation, diejenige der Bistümer und sonstiger kirchlicher Institute, und
die Wahl der Bischöfe. Die Kapitel wurden durch ein besonderes Breve v. 16. Juli
1821 angewiesen, nur dem Könige angenehme Kandidaten vorzuschlagen. Durch Kabi-
nettsorder v. 23. Aug. 1821“ erteilte der König dieser Bulle die königliche Sanktion,
„kraft deren die sachlichen Verfügungen (der Bulle) als bindendes Statut der katholischen
Kirche des Staates von allen, die es angeht, zu beobachten sind“. Die Kabinettsorder
besagt ferner, daß der König „diese Sanktion vermöge seiner Majestätsrechte und diesen
Rechten wie auch allen seinen Untertanen evangelischer Religion und der evangelischen
Kirche des Staates unbeschadet“ erteile.5 Für den preußischen Staat (in seinem da-
maligen Umfange) war hierdurch eine geordnete Verfassung der katholischen Kirche erreicht,
ohne daß dabei den staatlichen Hoheitsrechten irgend etwas vergeben war. Was die im
Jahre 1866 mit Preußen vereinigten Landesteile angeht, so hat:
1. Die vormals königlich hannoversche Regierung in den Jahren 1816—1824
vergebliche Versuche gemacht, die Verhältnisse der katholischen Kirche des Landes zum
Staate durch ein Konkordat mit dem päpstlichen Stuhle zu regeln.5 Es ist jedoch
schließlich dazu gekommen, daß am 26. März 1824 die Zirkumskriptionsbulle „Im-
Pensa Romanorum Pontificum sollicitudo“ erlassen und durch Patent v. 20. Mai
1 Friedberg, Der Staat und die Bischofs-
wahlen, 1874; Stutz, Der neuste Stand des
deutschen Bischofswahlrechts, 1909; Hinschius-
Kahl, Art. Bistum, in v. Stengel-Fleischmanns
W. St. V. R.2, Bd. I, S. 487 ff.; Meurer, Art.
Domkapitel, das. Bd. I, S. 602 ff.; Friedberg,
Kirchenrecht 4, 1909, S. 362 ff.
2 Hübler, Art. Konkordate und Zirkumstkrip-
tionsbullen, in v. Stengel-Fleischm. W. St.V. R. ,
Bd. II, S. 612 ff.; Köster, Rechtl. Natur der
Konkordate und Zirkumskriptionsbullen, Disser-
tation, 1907.
3 G. S. 1821, S. 111 ff.; Laspeyres,
S. 788 ff., 865 ff. Die Geschichte dieser Bulle
bei O. Mejer, Zur Geschichte der röm.-deutschen
Frage, Tl. II, S. 3, 265; Tl. III, S. 88; Fried=
berg, Staat und Bischofswahlen, 1874, S. 43;
Bornhak, Preuß. Staatsrecht 2, Bd. III, S. 643.
4* G. S. 1821, S. 113.
5 Über die rechtliche Natur der Bulle De Sa-
lute anim. und die Frage, ob die in der Bulle
niedergelegte Konvention im Verhältnis des Staa-
tes zum römischen Stuhle als dem Oberhaupt
der gesamten kathol. Kirche und somit auch der
Landeskirche als bindender Staatsvertrag anzu-
sehen sei, vgl. Hinschius, Preuß. Kirchenrecht,
1884, S. 481ff., Anm. 20, und die dort angeführte
Literatur; ferner Zorn, S. 1861. Vgl. auch die
Zirk. Reskr. v. 31. Aug. 1818 und 1. Jan. 1841;
v. Kamptz, Annal., Bd. II, S. 717.
6 Mejer, Die Propaganda, 1852, Bd. II,
S. 418 ff.; Mejer, Röm.-deutsche Frage, Bd. II, 2,
S. 117 ff.; 241 ff.; Bd. III, S. 62 ff., S. 237 ff.;
Friedberg, Grenzen, S. 350 ff.; ders., Staat
und Bischofswahlen, Bd. Il, S. 63 ff.; v. Kette-
ler, Das Recht der Domkapitel und das Veto
der Regierungen, 1868; Friedberg, Kirchen-
recht , 1909, S. 362 ff.