224 Staat und Kirche. (8. 130.)
Diese wurde auf Grund der zwischen den beteiligten deutschen Fürsten unter sich und
mit dem päpstlichen Stuhle seit 1817 gepflogenen Verhandlungen! durch die Zirkum—
skriptionsbulle Pius' VII. „Provida solersque“ v. 16. Aug. 18212 gegründet. Sie
umfaßt die Erzdiözese Freiburg mit den Suffraganbistümern Rottenburg, Mainz, Fulda.
und Limburg.3 Zur Ergänzung der Bulle erging am 11. April 1827 die Bulle-
Leos XII. „Ad dominici gregis custodiam“." Durch diese Bullen und das Breve
Re sacra wurden die bischöflichen Sprengel abgegrenzt und Bestimmungen über die
Bischofswahlen und die Besetzung der Kapitularpfründen getroffen. Die unter den
Fürsten der oberrheinischen Kirchenprovinz vereinbarte Publikation der Zirkumskriptions-
bullen ?5 sprach jedoch aus, „daß aus deren Genehmigung nichts abgeleitet werden dürfe,
was den staatlichen Hoheitsrechten schaden und ihnen Eintrag tun möchte oder den
Landesgesetzen und Regierungsverordnungen, den erzbischöflichen und bischöflichen Rechten
oder den Rechten der evangelischen Konfession oder Kirche entgegen wäre“, und machte
zugleich den Vorbehalt „weiterer Anordnungen wegen der Vollziehung“". Die auf gleicher
Vereinbarung der beteiligten Regierungen beruhende Verordnung v. 30. Jan. 1830 be-
treffend die Ausübung des landesherrlichen Schutz= und Aufsichtsrechts über die katho-
lische Kirche ordnete die Verhältnisse zwischen dem Staat und der katholischen Kirche so,
daß letztere in volle Abhängigkeit vom Staate gebracht wurde, in welcher sie auch trotz
aller Proteste des Papstes' verblieb. Auf eine von den Bischöfen der oberrheinischen
Kirchenprovinz an ihre Regierungen gerichtete gemeinsame Denkschrift vom März 18513,
in welcher sie das Aufgeben des bisher der Kirche gegenüber befolgten Systems ver-
langten, erließen die Regierungen mit Ausnahme derjenigen von Kurhessen (wo der katho-
lischen Kirche bereits größere Selbständigkeit zustand) die gemeinsame Verordnung v.
1. März 1853° welcher für Nassau und Frankfurt a. M. die weitere Zugeständnisse
enthaltende Verfügung v. 25. Mai 1861 zur provisorischen Erledigung des Kirchen-
konflikts 10 folgte.
F. 131.
B. Seit dem Erlaß der Verfassungsurkunde.
Nachdem Art. 12 der Verfassungsurkunde v. 5. Dez. 1848, welcher wörtlich in
die revidierte Verfassungsurkunde v. 31. Jan. 1850 als Art. 15 übergegangen war,
den Grundsatz ausgesprochen hatte, daß die Kirche ihre Angelegenheiten selbständig ordnen
und verwalten solle, nahm die römisch-katholische Kirche die ihr dadurch verheißene Selb-
ständigkeit sofort in vollstem Maße in Anspruch. 11 Obgleich es zunächst die Aufgabe
1 Logners Beiträge zur Geschichte der ober-
rheinischen Kirchenprovinz, 1863.
* Walter, Fontes juris ecclesiastici, 1862,
S. 322 ff.
s Von den Bestümern der bberrheinischen
Kirchenprovinz kommen hier nur Fulda für Kur-
hessen, Limburg für Nassau und Frankfurt a. M.
in Betracht. Die von Bayern 1866 an Preußen
abgetretenen Landesteile gehören zum Sprengel
des Bischofs von Würzburg. Uber die vom
Großherzogtum Hessen abgetretenen Gebietsteile
übt der Bischof von Mainz die bischöfliche Juris-
diktion aus.
4 Walter, a. a. O.
5 Weiß, Corpus juris eccles. cathol. hod.,
1833, S. 303. — Für Kurhessen: Verordn. v.
31. Aug. 1829 wegen Verkündigung der päpstl.
Bullen, welche die Errichtung des Bistums Fulda
und die übrige Bildung einer oberrheinischen
kathol. Kirchenprovinz betreffen (G. S. für Kur-
hessen 1829, S. 45); für Nassau: Edikt vom
9. Okt. 1827, betr. die Bestätigung der gedachten
päpstl. Bullen (Nassauische Verordnungssamml.,
Bd. IV, S. 465); für Frankfurt a. M.: Ges. v.
2. März 1830 (Frankf. Gesetz= und Statuten-
samml., Bd. IV, S. 181 ff.).
6 Weiß, a. a. O.; G. S. für Kurhessen 1830,
S. 5; Verordnungssamml. für Nassau, Bd. IV,
S. 493.
7 Breve: „Pervenerat non ita pridem“ v.
30. Juni 1830; Walter, Fontes juris eccle-
siastici, S. 345.
s Ginzels Archiv für Kirchengeschichte und
Kirchenrecht, Heft 2, S. 249.
* Walter, a. a. O., S. 340; Verordnungsbl.
für Nassau, S. 97.
10 Ztschr. f. Kirchenrecht, Bd. II, S. 127 ff.
11 Richter, Die Entwicklung des Verhältnisses
zwischen dem Staat und der kathol. Kirche in
guisie seit der Verf. Urk. vom 5. Dez. 1848
(Ztschr. f. Kirchenrecht, Bd. I, S. 100 ff.); Ger-
lach, Das Verhältnis des preuß. Staates zu der
kathol. Kirche auf kirchenrechtlichem Gebiete nach
den preuß. Gesetzen dargestellt, 1862; Das ver-
fassungsmäßige Recht der Kirchen in Preußen,
von einem preuß. Juristen, 1864, auch im Arch.