Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

228 Staat und Kirche. (§. 131.) 
Religionsgesellschaften bezieht. Allerdings waren alle diese Gesetze wesentlich durch die- 
neuere Entwicklung der katholischen Kirche hervorgerufen worden. Allein schon um der 
Parität willen, um den Vorwurf einer Tendenzgesetzgebung gegen eine bestimmte Religions- 
partei abwehren zu können, hat die Staatsregierung es für erforderlich erachtet, in den 
Gesetzen, soweit die Wahrung des staatlichen Aufsichtsrechts prinzipiell auch gegenüber 
der evangelischen Kirche gerechtfertigt war, diese letztere nicht auszunehmen. Überdies 
war durch die Gewährung einer größeren Selbständigkeit an die evangelische Kirche zu- 
gleich die nähere Ausbildung des staatlichen Hoheitsrechts auch gegenüber dieser Kirche 
bedingt. Hatte dazu in früherer Zeit neben dem landesherrlichen Kirchenregiment kein 
Bedürfnis vorgelegen, so war die besondere Entwicklung der Staatsaufsicht jedoch seit 
der Einführung der konstitutionellen Regierungsform und der allmählichen Lösung der 
Vereinigung der obersten kirchlichen und staatlichen Verwaltung notwendig geworden. 
1. Das Gesetz v. 11. Mai 1873 über die Vorbildung und Anstellung der Geist- 
lichen 1, welches für die ganze Monarchie einschließlich des Jadegebietes erlassen und 
durch §. 5, Nr. 2 des Gesetzes v. 25. Febr. 18782 auch im Kreise Herzogtum Lauen- 
burg eingeführt ist, gilt heute in der erheblich abgeänderten Fassung, welche es durch die 
Novellen v. 21. Mai 1874 3, 14. Juli 1880 (Art. 5) 4, 31. Mai 1882 (Art. 2, 3, 4)5, 
11. Juli 1883 (Art. 1—3) 5, 21. Mai 1886 (Art. 1, 2, 3, 4, 5, 9, 15)7 und 
29. April 1887 (Art. 1, 2) erhalten hat.? Das Gesetz regelt vom staatlichen Stand- 
punkt aus die Bedingungen für den Erwerb der geistlichen Amter in den privilegierten 
christlichen Kirchen.70 Bei dem hervorragenden Einfluß, welchen die Geistlichen als 
Lehrer und Führer ihrer Gemeinden üben, will es dem Staat die Gewähr dafür bieten, 
daß nicht Männer, welche seine eigenen Funktionen gefährden, in solche auch mit staat- 
lichen Vorrechten ausgestatteten Stellen berufen werden. Da bloße Repressivmaßregeln 
der vielfach der öffentlichen Kontrolle entzogenen Tätigkeit der Geistlichen gegenüber unzu- 
reichend sind, hat das Gesetz vorbeugende Bestimmungen getroffen, um den erwähnten 
Zweck zu erreichen. Die erforderlichen Bürgschaften findet es in den im §. 1 allgemein 
ausgesprochenen Momenten: a) in dem Besitz der Eigenschaft als Deutscher 11, b) in dem 
Nachweise einer genügenden wissenschaftlichen Vorbildung 12, c) in dem Recht des Staates, 
  
1 G. S. 1873, S. 191 ff.; Kommentar dazu königl. Genehmigung festzustellenden Grundsätzen 
bei Hinschius, Preuß. Kirchengesetze, 1873, zu gestatten. 
S. 97 ff.; Thudichum, Kirchenrecht, Bd. II, 12 Die von dem Gesetz verlangte wissen- 
S. 26ff. (veraltet); Bornhak, Pr. St. R.2, schaftliche Vorbildung ist darzutun a) durch 
Bd. III, S. 657 ff. Ablegung der Entlassungsprüfung auf einem 
2 G. S. 1878, S. 97 (100). deutschen Gymnasium, b) durch Zurücklegung 
* Gesetz wegen Deklaration und Ergänzung eines dreijährigen theologischen Studiums auf 
des Gesetzes vom 11. Mai 1873 (G. S. 1874, einer deutschen Staatsuniversität (§. 4). Der 
  
S. 139). Min. d. geistl. Ang. ist ermächtigt, mit Rück- 
4 G. S. 1880, S. 285. sicht auf ein vorangegangenes anderes Univer- 
5 G. S. 1882, S. 307. sitätsstudium, als das der Theologie, oder mit 
6 G. S. 1883, S. 109. Rücksicht auf ein an einer außerdeutschen Staats- 
7 G. S. 1886, S. 147. universität zurückgelegtes Studium, oder mit 
8 G. S. 1887, S. 127. Rücksicht auf einen sonstigen besonderen Bil- 
" Hinschius, Das preuß. Kirchengesetz vom dungsgang von dem vorgeschriebenen dreijährigen 
14. Juli 1880, Nachtragsheft, 1881; ders., Die Studium an einer deutschen Staatsuniversität 
preuß. Kirchengesetze, betr. Abänderungen der einen angemessenen Zeitraum zu erlassen. Er 
kirchenpolitischen Ges. v. 21. Mai 1886 und ist ferner ermächtigt, nach den vom Staatsmini- 
29. April 1887, 1887; v. Kleinsorgen, Die sterium mit königl. Genehmigung festgestellten. 
kirchenpolitischen Gesetze Preußens und des Deut= Grundsätzen von den Erfordernissen des §. 4 zu 
schen Reichs, 1887; Rintelen, Die kirchen= dispensieren (s. 5; Hinschius, a. a. O., Tl. 2, 
politischen Gesetze, 1903. S. 26 f.). Das theologische Studium kann auch 
1° Hinschius-Kahl, Artikel Geistliche in an den zur wissenschaftlichen Vorbildung der Geist- 
v. Stengel-Fleischmanns W. St. V. R.2, Bd. II, lichen geeigneten kirchlichen Seminaren, welche 
S. 30 ff.; Schoen, Kirchenrecht, Bd. II, S. 47 fl. bis zum Jahre 1873 bestanden haben, und an 
*½ Reichs- und Staatsangehörigkeitsges. ru# denjenigen, welche die Bischöfe von Osnabrück 
22. Juli 1913 (R. G. Bl. 1913, S. 583), §. 1. und Limburg in ihren Diözesen zu errichten und 
„Die Novelle v. 31. Mai 1882, Art. 3, Abs. 2, zu unterhalten berechtigt sind, zurückgelegt wer- 
ermächtigte den Minister, auch ausländischen den. Zur Eröffnung der Seminare in O. und 
Geistlichen die Vornahme von geistlichen Amts= L. und zur Wiedereröffnung der übrigen, sowie 
handlungen nach vom Staatsministerium mit zur Fortführung aller dieser Anstalten sind 1. dem 
 
	        
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