230 Staat und Kirche.
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die Verurteilung eines Geistlichen zur Zuchthausstrafe, die Aberkennung der bürgerlichen:
Ehrenrechte und der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Amter die Unfähigkeit zur Aus-
übung des geistlichen Amtes und den Verlust des Amtseinkommens zur Folge hat. Die
§§. 22—24 treffen die erforderlichen Strafbestimmungen wegen Verletzung der Vor-
schriften des Gesetzes durch die kirchlichen Oberen und die von ihnen rechtswidrig an-
gestellten Geistlichen. 12
2. Das Gesetz v. 12. Mai 1873 über die kirchliche Disziplinargewalt und die
Errichtung des Königl. Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten, welches gleichfalls
für die ganze Monarchie einschließlich des Jadegebietes erlassen und durch §. 5, Nr. 3
des Gesetzes v. 25. Febr. 1878 4 auch im Kreise Herzogtum Lauenburg eingeführt worden
ist, hat ebenfalls zahlreiche Abänderungen durch die Novellen v. 14. Juli 1880, Art. 1,
v. 31. Mai 1882, Art. 2, v. 21. Mai 1886, Art. 6—10, 15 und v. 29. April 1887,
Art. 3 erhalten. Es regelt die Ausübung der den kirchlichen Behörden gegen „Kirchen-
diener“ (d. h. solche Personen, welche die mit einem geistlichen oder jurisdiktionellen Amt
verbundenen Rechte und Verrichtungen ausüben, §. 1) zustehenden Disziplinargewalt. *
Die Anwendung körperlicher Züchtigung ist als kirchliche Disziplinarstrafe oder Zuchtmittel
ausgeschlossen (§. 3); Geldstrafen dürfen den Betrag von 90 Mark oder, wenn das ein-
monatliche Amtseinkommen höher ist, den Betrag des letzteren nicht übersteigen (§. 4).
Die Strafe der Freiheitsentziehung darf nur in der Verweisung in eine im Deutschen
Reiche belegene Demeritenanstalt bestehen, die Dauer von drei Monaten nicht übersteigen,
ihre Vollstreckung wider den Willen des Betroffenen weder begonnen noch fortgesetzt werden
(§. 5). Um die Innehaltung dieser Vorschriften kontrollieren zu können, sind die Demeriten-
anstalten der staatlichen, durch den Minister der geistlichen Angelegenheiten“ und den
Oberpräsidenten s auszuübenden Aufsicht unterworfen (§. 6). Über das Verfahren bei
Verhängung von Dissziplinarstrafen ordnet das Gesetz (§. 2) an, daß eine Vermögens-
strafe oder die Verweisung in eine Demeritenanstalt nur nach Anhörung des Beschuldigten
verhängt werden darf, daß der mit Verlust oder Minderung des Amtseinkommens ver-
bundenen Entfernung aus dem Amte (Entlassung, Versetzung, Suspension, unfreiwilligen.
Emeritierung usw.) ein geordnetes prozessualisches Verfahren vorausgehen muß, und daß
in allen diesen ganen die Entscheidung schriftlich mit Gründen abzufassen ist. Zum.
Schutz gegen Übergriffe der geistlichen Behörden bei Ausübung der Diseziplinargewalt
hatte das Gesetz das Rechtsmittel der Berufung an die Staatsbehörde, nämlich den
„Königl.
Gerichtshof für kirchliche Angelegenheiten“ gewährt.7
Dieses Rechtsmittel
lichen Ansprüche ausschließen oder beschränken, sind
nur mit Genehmigung der Staatsbehörde zulässig.
1 Dazu Ges. v. 21. Mai 1874, Art. 2; Ges.
v. 14. Juli 1850, Art. 5; Ges. v. 11. Juli 1883,
Art. 3; Ges. v. 21. Mai 1886, Art. 15; Ges. v.
29. April 1887, Art. 2, §§. 3.h 5; Hinschius,
Preuß. Kirchengef. 1886—87. Tl. 2, S. 34.
: Aus den Übergangs- und Schlußbestimmun-
gen (§§. 25—30) ist hervorzuheben §. 28, wo-
nach die Vorschriften über das Einspruchsrecht
des Staates dort keine Anwendung finden, wo
die Anstellung durch Behörden erfolgt, deren
Mitglieder sämtlich vom König ernannt werden;
ferner §. 29, welcher die anderweite Regelung
der Mitwirkung des Staates bei Besetzung geist-
licher Amter auf Grund des Patronats oder be-
sonderer Rechtstitel, sowie die Rechte des Staates
bezüglich der Anstellung von Geistlichen beim Mi-
litär und an öffentlichen Anstalten aufrechterhält.
3 G. S. 1873, S. 198 ff.; Kommentar von
Hinschius in den preuß. Kirchengesetzen des
Jahres 1873, S. 39 ff.; Friedberg, Kirchen-
recht, 1909, S. 312 fl.; Schoen, Kirchenrecht,
Bd. II, S. 268 ff.; Thudichum, Kirchenrecht,
Bd. II, S. 202ff.; Bornhak, Pr. St. R.2, Bd. III,
S. 659 f.
4 G. S. 1878, S. 97 (100).
5 Heutige Fassung bei Hinschius, Kirchen-
gesetze 1886—87, Tl. 1, S. 95 ff.; Tl. 2, S. 34.
"Hinschius- Kahl, Art. Geistliche, in v. Sten-
gel-Fleischmanns W. St. V. R.2, Bd. II, S. 34ff.;
Hübler, Art. Kirchenzucht, das. Bd. I, S. 521.,
7 Dem Minister sind Satzung und Hausord-
nung der Anstalt einzureichen, sowie die Namen
ihrer Leiter mitzuteilen. Am Schluß des Jahres
ist ihm ein Verzeichnis der Demeriten, welches
ihren Namen, die Strafen und die Zeit der Auf-
nahme und Entlassung enthält, einzureichen (No-
velle 1886, Art. 8, Abs. 1).
s Der Oberpräsident kann die Befolgung der
Vorschriften der §§. 5, 6 des Gesetzes und der
auf Grund derselben von ihm erlassenen Ver-
fügungen mit Geldstrafe bis 3000 J erzwin-
gen. Außerdem kann die Anstalt geschlossen wer-
den. Eine Vollstreckung kirchlicher Disziplinar-
entscheidungen im Wege der Staatsverwaltung.:
findet nur dann statt, wenn dieselben vom Ober-
präsidenten nach Prüsung der Sache für voll-
streckbar erklärt sind (§§. 8. 9).
5 Diese Berufung war zulässig: 1. wenn die
Entscheidung von einer durch die Staatsgesetze
ausgeschlossenen Behörde ergangen war; 2. wenn.