Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Kathol. Kirche seit Erlaß der Verfassungsurkunde. 
G. 131.) 231 
ist jedoch ebenso wie der Gerichtshof selbst durch die Novelle vom 21. Mai 1886 (Art. 9, 
10) wieder beseitigt worden. Außerdem führte das Gesetz ein staatliches Disziplinar- 
verfahren gegen Kirchendiener ein, indem es davon ausging, daß der Staat kirchliche 
Beamte, deren Amtsführung die Staatsgesetze in Frage stelle und gegen diese verstoße, 
nicht in ihrer Stellung belassen könne. 1 Die hierauf bezüglichen Vorschriften der §§. 24 
—31 („Einschreiten des Staates ohne Berufung“) sind nicht aufgehoben worden und be- 
stehen daher formell heute noch zu Recht; tatsächlich sind sie aber infolge der ersatzlosen 
Beseitigung des Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten (Gesetz v. 21. Mai 1886, 
Art. 9) suspendiert.? 
3. Das Gesetz v. 13. Mai 1873 über die Grenzen des Rechts zum Gebrauche 
kirchlicher Straf= und Zuchtmittel 3 in der Fassung der Novellen von 1886 (Art. 12) 
  
eine gesetzlich unzulässige Strafe erkannt war; 
3. wenn die Vorschriften des §. 2 über das Ver- 
fahren nicht eingehalten waren; 4. wenn die 
Strafe verhängt war: a) wegen einer Handlung 
oder Unterlassung, zu welcher die Staatsgesetze 
oder die von der Obrigkeit innerhalb ihrer Zu- 
ständigkeit erlassenen Anordnungen verpflichten; 
b) wegen Ausübung oder Nichtausübung eines 
öffentlichen Wahl= und Stimmrechtes; c) wegen 
Gebrauchs der Berufung an die Staatsbehörde 
auf Grund des Ges. v. 12. Mai 1873; 
5. wenn die Entfernung aus dem kirchlichen 
Amte als Disziplinarstrafe oder sonst wider den 
Willen des davon Betroffenen ausgesprochen war 
und die Entscheidung der klaren tatsächlichen Lage 
widersprach oder die Gesetze des Staates oder 
allgemeine Rechtsgrundsätze verletzte; 6. wenn 
nach erfolgter vorläufiger Suspension vom Amt 
das weitere Verfahren ungebührlich verzögert 
wurde (§§. 10, 11). Die Berufung stand jedem 
zu, gegen welchen die Entscheidung ergangen 
war, sobald er die dagegen gesetzlich zulässigen 
Rechtsmittel bei der vorgesetzten kirchlichen In- 
stanz ohne Erfolg geltend gemacht hatte; wenn 
aber ein öffentliches Interesse vorlag, stand die 
Berufung auch dem Oberpräsidenten zu, jedoch 
erst dann, wenn die bei den kirchlichen Behörden 
angebrachten Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben 
waren oder die Frist zu ihrer Einlegung ver- 
säumt war (§. 12). Die beim Königl. Gerichts- 
hofe für kirchliche Angelegenheiten einzulegende 
Berufung hatte in der Regel Suspensivkraft 
(§§. 13, 14). In dem auf die Berufung er- 
gehenden Urteil konnte nur entweder die Ver- 
werfung der Berufung oder die Vernichtung der 
mit derselben angefochtenen Disziplinarentschei- 
dung ausgesprochen werden (5§. 21). 
2□· Es konnte nach den in Betracht kommenden 
Bestimmungen gegen Kirchendiener auf Antrag 
der Staatsbehörde durch Urteil des Königl. Ge- 
richtshofes für kirchliche Angelegenheiten auf Un- 
fähigkeit zur Bekleidung ihres Amtes erkannt 
werden, wenn sie die auf ihr Amt oder ihre 
geistlichen Amtsverrichtungen bezüglichen Vor- 
schriften der Staatsgesetze oder die hierüber von 
der Obrigkeit innerhalb ihrer gesetzlichen Zustän- 
digkeit getroffenen Anordnungen so schwer ver- 
letzten, daß ihr Verbleiben im Amte mit der 
öffentlichen Ordnung unverträglich erschien (§. 24, 
Abs. 1 in der Fassung der Novelle v. 14. Juli 
1880, Art. 1). Die Aberkennung der Fähigkeit 
zur Bekleidung des Amtes hatte den Verlust des 
Amtseinkommens zur Folge (Novelle v. 14. Juli 
  
  
1880, Art. 1); außerdem war die Vornahme 
weiterer Amtshandlungen mit Geldbuße bis zu 
300 c“ im Wiederholungsfalle bis zu 3000 
bedroht (§. 31); zulässig war jedoch nach der 
Novelle v. 21. Mai 1886, Art. 15, das Lesen 
stiller Messen und die Spendung der Sterbe- 
sakramente. Der „Königl. Gerichtshof für die 
kirchlichen Angelegenheiten" in Berlin (§. 32) 
bestand aus elf Mitgliedern, von denen der Prä- 
sident und wenigstens fünf andere Mitglieder 
etatsmäßig angestellte Richter sein mußten. Die 
Mitglieder des Gerichtshofes wurden vom König 
auf Vorschlag des Staatsministeriums, und zwar 
die bereits in einem Staatsamte angestellten für 
die Dauer ihres Hauptamtes, die anderen Mit- 
glieder auf Lebenszeit ernannt. Der Gerichtshof 
entschied endgültig mit Ausschluß jeder weiteren 
Berufung (8§. 32—35). Zur Zuständigkeit des 
Gerichtshofes gehörten: a) die Verhandlung und 
Entscheidung der gegen kirchliche Dißziplinar= 
verfügungen eingelegten Berufung; b) die Unter- 
suchung und Entscheidung von Anträgen der 
Staatsbehörde auf Amtsunfähigkeitserklärung von 
Kirchendienern; c) die Entscheidung über die Be- 
rufung, mit welcher die kirchlichen Behörden die 
Gesetzmäßigkeit der vom Min. d. geistl. Ang. 
verhängten Einbehaltung der Staatsmittel gegen 
eine geistliche Bildungsanstalt, der Schließung 
einer solchen, sowie der Entziehung der früher 
den Klerikalseminaren erteilten Anerkennung an- 
fochten; d) die Entscheidung über die Berufung, 
welche die geistlichen Oberen gegen einen vom 
Oberpräsidenten erhobenen Einspruch hinsichtlich 
der Anstellung und Verwendung von Geistlichen 
und Lehrern bzw. Erziehern an geistlichen Bil- 
dungsanstalten einlegen konnten (§s. 32). Die 
Entscheidung erfolgte auf Grund mündlicher Ver- 
handlung in öffentlicher Sitzung; doch konnte 
die Offentlichkeit durch Beschluß des Gerichtshofes 
ausgeschlossen oder auf bestimmte Personen be- 
schränkt werden (C. 18). Bei der Entscheidung 
hatte der Gerichtshof, ohne an positive Beweis- 
regeln gebunden zu sein, nach seiner freien, aus 
dem ganzen Inbegriff der Verhandlungen und 
Beweise geschöpften Uberzeugung zu entscheiden 
(§. 21, Absatz 1). 
2 Hinschius, Kirchengesetze 1886/87, S. 62, 
998; v. Kleinsorgen, a. a. O., S. 51, in 
der Anm. 
G. S. 1873, S. 205; dazu Kommentar von 
Hinschius in dessen Preuß. Kirchengesetzen des 
Jahres 1873, S. 3 ff.; Friedberg, Kirchen- 
recht 0, 1909, S. 312 ff.; Schoen, Kirchenrecht,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.