Kathol. Kirche seit Erlaß der Verfassungsurkunde.
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ist jedoch ebenso wie der Gerichtshof selbst durch die Novelle vom 21. Mai 1886 (Art. 9,
10) wieder beseitigt worden. Außerdem führte das Gesetz ein staatliches Disziplinar-
verfahren gegen Kirchendiener ein, indem es davon ausging, daß der Staat kirchliche
Beamte, deren Amtsführung die Staatsgesetze in Frage stelle und gegen diese verstoße,
nicht in ihrer Stellung belassen könne. 1 Die hierauf bezüglichen Vorschriften der §§. 24
—31 („Einschreiten des Staates ohne Berufung“) sind nicht aufgehoben worden und be-
stehen daher formell heute noch zu Recht; tatsächlich sind sie aber infolge der ersatzlosen
Beseitigung des Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten (Gesetz v. 21. Mai 1886,
Art. 9) suspendiert.?
3. Das Gesetz v. 13. Mai 1873 über die Grenzen des Rechts zum Gebrauche
kirchlicher Straf= und Zuchtmittel 3 in der Fassung der Novellen von 1886 (Art. 12)
eine gesetzlich unzulässige Strafe erkannt war;
3. wenn die Vorschriften des §. 2 über das Ver-
fahren nicht eingehalten waren; 4. wenn die
Strafe verhängt war: a) wegen einer Handlung
oder Unterlassung, zu welcher die Staatsgesetze
oder die von der Obrigkeit innerhalb ihrer Zu-
ständigkeit erlassenen Anordnungen verpflichten;
b) wegen Ausübung oder Nichtausübung eines
öffentlichen Wahl= und Stimmrechtes; c) wegen
Gebrauchs der Berufung an die Staatsbehörde
auf Grund des Ges. v. 12. Mai 1873;
5. wenn die Entfernung aus dem kirchlichen
Amte als Disziplinarstrafe oder sonst wider den
Willen des davon Betroffenen ausgesprochen war
und die Entscheidung der klaren tatsächlichen Lage
widersprach oder die Gesetze des Staates oder
allgemeine Rechtsgrundsätze verletzte; 6. wenn
nach erfolgter vorläufiger Suspension vom Amt
das weitere Verfahren ungebührlich verzögert
wurde (§§. 10, 11). Die Berufung stand jedem
zu, gegen welchen die Entscheidung ergangen
war, sobald er die dagegen gesetzlich zulässigen
Rechtsmittel bei der vorgesetzten kirchlichen In-
stanz ohne Erfolg geltend gemacht hatte; wenn
aber ein öffentliches Interesse vorlag, stand die
Berufung auch dem Oberpräsidenten zu, jedoch
erst dann, wenn die bei den kirchlichen Behörden
angebrachten Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben
waren oder die Frist zu ihrer Einlegung ver-
säumt war (§. 12). Die beim Königl. Gerichts-
hofe für kirchliche Angelegenheiten einzulegende
Berufung hatte in der Regel Suspensivkraft
(§§. 13, 14). In dem auf die Berufung er-
gehenden Urteil konnte nur entweder die Ver-
werfung der Berufung oder die Vernichtung der
mit derselben angefochtenen Disziplinarentschei-
dung ausgesprochen werden (5§. 21).
2□· Es konnte nach den in Betracht kommenden
Bestimmungen gegen Kirchendiener auf Antrag
der Staatsbehörde durch Urteil des Königl. Ge-
richtshofes für kirchliche Angelegenheiten auf Un-
fähigkeit zur Bekleidung ihres Amtes erkannt
werden, wenn sie die auf ihr Amt oder ihre
geistlichen Amtsverrichtungen bezüglichen Vor-
schriften der Staatsgesetze oder die hierüber von
der Obrigkeit innerhalb ihrer gesetzlichen Zustän-
digkeit getroffenen Anordnungen so schwer ver-
letzten, daß ihr Verbleiben im Amte mit der
öffentlichen Ordnung unverträglich erschien (§. 24,
Abs. 1 in der Fassung der Novelle v. 14. Juli
1880, Art. 1). Die Aberkennung der Fähigkeit
zur Bekleidung des Amtes hatte den Verlust des
Amtseinkommens zur Folge (Novelle v. 14. Juli
1880, Art. 1); außerdem war die Vornahme
weiterer Amtshandlungen mit Geldbuße bis zu
300 c“ im Wiederholungsfalle bis zu 3000
bedroht (§. 31); zulässig war jedoch nach der
Novelle v. 21. Mai 1886, Art. 15, das Lesen
stiller Messen und die Spendung der Sterbe-
sakramente. Der „Königl. Gerichtshof für die
kirchlichen Angelegenheiten" in Berlin (§. 32)
bestand aus elf Mitgliedern, von denen der Prä-
sident und wenigstens fünf andere Mitglieder
etatsmäßig angestellte Richter sein mußten. Die
Mitglieder des Gerichtshofes wurden vom König
auf Vorschlag des Staatsministeriums, und zwar
die bereits in einem Staatsamte angestellten für
die Dauer ihres Hauptamtes, die anderen Mit-
glieder auf Lebenszeit ernannt. Der Gerichtshof
entschied endgültig mit Ausschluß jeder weiteren
Berufung (8§. 32—35). Zur Zuständigkeit des
Gerichtshofes gehörten: a) die Verhandlung und
Entscheidung der gegen kirchliche Dißziplinar=
verfügungen eingelegten Berufung; b) die Unter-
suchung und Entscheidung von Anträgen der
Staatsbehörde auf Amtsunfähigkeitserklärung von
Kirchendienern; c) die Entscheidung über die Be-
rufung, mit welcher die kirchlichen Behörden die
Gesetzmäßigkeit der vom Min. d. geistl. Ang.
verhängten Einbehaltung der Staatsmittel gegen
eine geistliche Bildungsanstalt, der Schließung
einer solchen, sowie der Entziehung der früher
den Klerikalseminaren erteilten Anerkennung an-
fochten; d) die Entscheidung über die Berufung,
welche die geistlichen Oberen gegen einen vom
Oberpräsidenten erhobenen Einspruch hinsichtlich
der Anstellung und Verwendung von Geistlichen
und Lehrern bzw. Erziehern an geistlichen Bil-
dungsanstalten einlegen konnten (§s. 32). Die
Entscheidung erfolgte auf Grund mündlicher Ver-
handlung in öffentlicher Sitzung; doch konnte
die Offentlichkeit durch Beschluß des Gerichtshofes
ausgeschlossen oder auf bestimmte Personen be-
schränkt werden (C. 18). Bei der Entscheidung
hatte der Gerichtshof, ohne an positive Beweis-
regeln gebunden zu sein, nach seiner freien, aus
dem ganzen Inbegriff der Verhandlungen und
Beweise geschöpften Uberzeugung zu entscheiden
(§. 21, Absatz 1).
2 Hinschius, Kirchengesetze 1886/87, S. 62,
998; v. Kleinsorgen, a. a. O., S. 51, in
der Anm.
G. S. 1873, S. 205; dazu Kommentar von
Hinschius in dessen Preuß. Kirchengesetzen des
Jahres 1873, S. 3 ff.; Friedberg, Kirchen-
recht 0, 1909, S. 312 ff.; Schoen, Kirchenrecht,