Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Kathol. Kirche seit Erlaß der Verfassungsurkunde. (8. 131.) 233 
für die kirchlichen Lasten zu beseitigen.! Die Form des Austritts (mit bürgerlicher 
Wirkung) ist eine persönliche Erklärung vor dem zuständigen Amtsrichter (§. 1). Der 
Aufnahme dieser Erklärung muß ein entsprechender Antrag vorangehen, welchen der Richter 
dem Vorstande der Kirchengemeinde, welcher der Antragsteller angehört, unverzüglich be- 
kannt zu machen hat. Die Aufnahme der Austrittserklärung findet sodann zwischen 4 
und 6 Wochen nach Eingang des Antrages zu gerichtlichem Protokoll statt, von dem der 
Kirchengemeindevorstand eine Abschrift erhält (§. 2). Die Wirkung der Erklärung besteht 
darin, daß der Ausgetretere zu den auf der persönlichen Kirchen= oder Kirchengemeinde- 
angehörigkeit beruhenden Leistungen nicht mehr verpflichtet wird. Diese Wirkung tritt 
jedoch erst mit dem Schluß des nächsten Kalenderjahres, wenn es sich um die Kosten für 
außerordentliche, im Austrittsjahr als notwendig festgestellte Bauten handelt, sogar erst 
mit dem Schluß des zweitnächsten Kalenderjahres ein. Unberührt bleiben alle nicht auf 
der persönlichen Angehörigkeit zur Kirche beruhenden Leistungen, namentlich solche, die 
kraft besonderen Rechtstitels auf bestimmten Grundstücken haften oder von allen Grund- 
stücken des Bezirks oder doch von allen Grundstücken einer gewissen Klasse im Bezirk 
ohne Unterschied des Besitzers zu entrichten sind (§. 3). Hinsichtlich des übertritts von 
einer Kirche zur andern bewendet es beim bestehenden Recht (A. L. R. II, 11, 88. 41, 42), 
doch muß der Übertretende, wenn er von den Lasten seines bisherigen Verbandes befreit 
werden will, die in dem Austrittsgesetz vorgeschriebene Form beobachten (§. 1, Abs. 2, 3).2 
Der offene Widerstand der Bischöfe und des von ihnen abhängigen katholischen Klerus 
gegen die Ausführung dieser Maigesetze des Jahres 1873, welcher je länger desto mehr 
sich zu einer offenen Auflehnung gegen die Staatsordnung steigerte, war nicht sowohl 
gegen einzelne Bestimmungen jener Gesetze, als gegen diese im ganzen gerichtet, weil die 
römische Kirche dem Staate das Recht bestritt, das äußere Rechtsgebiet der Kirchen und 
ihre Beziehungen zum Staat im Wege der Gesetzgebung zu regeln. Die Folge war, 
daß die Staatsregierung sich zu weiteren gesetzlichen Maßregeln veranlaßt sah, um diesen 
Widerstand zu brechen. Zu diesem Zwecke erging a) das Gesetz v. 21. Mai 1874 
wegen Deklaration und Ergänzung des Gesetzes v. 11. Mai 1873 über die Vorbildung 
und Anstellung der Geistlichen 1, und b) das Gesetz v. 20. Mai 1874 über die Ver- 
waltung erledigter katholischer Bistümer.5 Beide Gesetze ergänzten das durch das Gesetz 
  
  
1 Hinschius, a. a. O., S. 1697. 
2 Zur Ausführung des Gesetzes erging die 
Verfügung des Just. Min. v. 13. Juni 1873 
(Just. M. Bl. 1873, S. 183). 
3 Angesichts der außerordentlichen Verhältnisse 
und zur Abwehr der daraus für die Rechtsord- 
nung wie für das kirchliche Leben erwachsenden 
schweren Störungen erging auch das Reichsges. 
v. 4. Mai 1874, betr. die Verhinderung der un- 
befugten Ausübung von Kirchenämtern (N. G. Bl. 
1874, S. 43). Dieses sog. „Expatriierungsge- 
setz“ sollte dem Staate diejenigen Mittel gewäh- 
ren, die erforderlich waren, um dem Staatsgesetz 
auch gegenüber dem Widerstand der Träger der 
geistlichen Gewalt die gebührende Achtung zu 
verschaffen. Nach diesem Reichsgesetz konnte Geist- 
lichen, welche nach gerichtlicher Entlassung aus 
ihrem Kirchenamte oder nach rechtskräftiger Be- 
strafung wegen Vornahme von Amtshandlungen 
in einem gesetzwidrig ihnen übertragenen Amte 
sich noch als Inhaber des ihnen entzogenen bzw. 
ihnen nicht zukommenden Amtes betätigten, durch 
die Landespolizeibehörde der Aufenthalt in be- 
stimmten Bezirken versagt oder angewiesen wer- 
den. Wenn die Handlung, durch die der Geist- 
liche sich als Inhaber des Amtes betätigte, in 
der ausdrücklichen Anmaßung oder in der tat- 
sächlichen Ausübung des letzteren bestand oder 
wenn er der gegen ihn verhängten Aufenthalts- 
beschränkung zuwider handelte, so war die staat- 
  
liche Zentralbehörde befugt, ihm die Staatsange- 
hörigkeit zu entziehen (womit diese auch in jedem 
anderen Bundesstaate verloren ging) und ihn 
aus dem Bundesgebiet auszuweisen. Behauptete 
der Betroffene, daß er die ihm zur Last gelegten 
Handlungen nicht begangen habe, so stand ihm 
binnen acht Tagen die Berufung auf gerichtliches 
Verhör zu. Näheres im Kommentar von Hin- 
schins über das Ges. v. 4. Mai 1874 in den 
preuß. Kirchengesetzen der Jahre 1874 und 1875, 
S. 3 ff. Das Gesetz ist durch das Reichsges. 
v. 6. Mai 1890 (R. G. Bl. 1890, S. 65) auf- 
gehoben worden. 
4 G. S. 1874, S. 139. — Entwurf dieses 
Gesetzes (nebst Motiven) in den Stenogr. Ber. 
des A. H. 1873—74, Anl. Bd. III, Nr. 208, 
S. 1229 ff.; Verhandl. in den Sitz. des A. H. 
v. 5. Febr., 7., 8. und 9. Mai 1874 (Stenogr. 
Ber. des A. H. 1873—74, Bd. II, S. 1099fff., 
1523 ff., 1537 ff., 1593 ff.); Verhandl. im H. H. 
in den Sitz. v. 13. und 14. Mai 1874 (Stenogr. 
Ber. des H. H. 1873—74, Bd. I, S. 314, 335 
—337). Kommentar von Hinf chius über das 
Gesetz in dessen Preuh. Kirchengesegen der Jahre 
1874 und 1875, S. 19 ff. 
* G. S. 1874, S. 135 ff. — Entwurf dieses Ge- 
setzes (nebst Motiven) in den Stenogr. Ber. des 
A.H. 1873—74, Anl. Bd. III, Nr. 208, S. 1231 ff.; 
Komm. Ber. v. 25. April 1874, ebenda, Anl. 
Bd. IV, Nr. 309, S. 1905 ff.; Verhandl. in den
	        
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