Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Kathol. Kirche seit Erlaß der Verfassungsurkunde. (8. 131.) 237 
Anderungen erfahren. Formell aufrechterhalten ist heute noch der grundsätzliche Aus- 
schluß aller Orden und ordensähnlichen Kongregationen.? Allerdings hat im Laufe der 
nächsten Jahre, namentlich zufolge Art. 5, §. 1 des Gesetzes v. 29. April 1887, die 
Reihe der in Preußen zugelassenen Orden und Kongregationen so erheblich wieder zuge- 
nommen, daß in Wirklichkeit nur mehr sehr wenigen der Zutritt verschlossen ist. Preußen 
ist damit in tatsächlicher Beziehung heute wieder dazu gelangt, den Orden im allgemeinen 
keine Schwierigkeiten mehr bezüglich ihrer Zulassung in den Weg zu legen. Dies ändert 
aber juristisch nichts daran, daß alle späteren Abänderungen nur Ausnahmen des Ordens- 
verbotes des §. 1 des Gesetzes v. 31. Mai 1875 darstellen; mithin nimmt das preußische 
Recht auch heute noch den prinzipiellen Standpunkt des Ordensverbotes ein. Die Zu- 
lässigkeit eines Ordens bedarf daher stets eines besonderen gesetzlichen Titels. Diese 
Titel haben in der Aufzählung der zulässigen Ordens zwecke ihren juristisch formulierten 
Ausdruck gefunden." Dabei unterscheidet das Gesetz einerseits solche Zwecke, deren Er- 
reichung die Haupttätigkeit des Ordens ausmacht, deren ausschließliche Verfolgung sowohl 
die Zulassung bedingt als auch einen Anspruch darauf verleiht, andrerseits solche, denen 
sich die wegen Betreibung eines Hauptzweckes zugelassenen Genossenschaften kraft allge- 
meiner gesetzlicher und besonderer ministerieller Genehmigung nebenher noch widmen 
dürfen; das Gesetz spricht hier von „Nebentätigkeit“. Die einzelnen Hauptzwecke, welche 
einen Orden zulassungsfähig machen, sind a) Aushilfe in der Seelsorge, b) Übung der 
christlichen Nächstenliebe, worunter insbesondere die Krankenpflege, die Pflege und Unter- 
weisung von Blinden, Tauben, Stummen und Idioten, sowie von gefallenen Frauens- 
personen, ferner die übernahme der Pflege und Leitung in Waisenanstalten, Armen= und 
Pfründnerhäusern, Rettungsanstalten, Asylen und Schutzanstalten für sittlich gefährdete 
Personen, Arbeiterkolonien, Verpflegungsanstalten, Arbeiterherbergen und Mägdehäusern 
fallen, c) Unterricht und Erziehung der weiblichen Jugend in höheren Mädchenschulen 
und gleichartigen Erziehungsanstalten, 4) Führung eines beschaulichen Lebens (Gesetz von 
1887, Art. 5, §. 1)0.5 Orden, welche einen dieser „Hauptzwecke“ verfolgen, haben An- 
spruch auf Zulassung, d. h. das Recht, Ordensniederlassungen (mit ministerieller Genehmi- 
gung)' zu errichten und die Ordenstätigkeit frei zu entfalten."¾ Rechtsfähigkeit da- 
gegen können Ordensniederlassungen in Preußen nur durch besondere Gesetze erlangen.? 
Alle Niederlassungen unterliegen der Aufsicht des Staates (Gesetz von 1875, §. 3). Diese 
hat insbesondere darüber zu wachen, daß die Niederlassungen keine gesetzlich unstatthaften 
Zwecke verfolgen. Während die Verfolgung der Haupttätigkeiten ohne weiteres mit der 
Zulassung gestattet ist, setzt diejenige einer sog. Nebentätigkeit außer der gesetzlichen Zu- 
lässigkeit noch die spezielle ministerielle Genehmigung voraus.10 Zuständig hierzu sind 
die Minister des Innern und der geistlichen Angelegenheiten (Gesetz von 1880, Art. 6; 
Gesetz von 1886, Art. 13; Gesetz von 1887, Art. 5, §. 3). Gesetzlich zulässig ist als 
Nebentätigkeit die Pflege und Unterweisung von Kindern, die sich noch nicht im schul- 
pflichtigen Alter befinden (jedoch nur für die bestehenden weiblichen Genossenschaften), die 
Üübernahme der Leitung und Unterweisung in Haushaltungsschulen und Handarbeitsschulen 
für Kinder in nicht schulpflichtigem Alter, sowie die Ausbildung von Missionaren für den 
Dienst im Auslande (Gesetz von 1880, Art. 6; Gesetz von 1886, Art. 13; Gesetz von 
1887, Art. 5, §8§. 2, 3).11 Die Niederlassungen können jederzeit durch königl. Verordnung 
aufgehoben werden (Gesetz von 1880, Art. 6; Gesetz von 1887, Art. 5, S. 2).12 
Schon zur Zeit des Erlasses der Gesetze vom 11. bis 14. Mai 1873 hatte die 
Staatsregierung auch das Bedürfnis des Erlasses eines Gesetzes über die Vermögens- 
verwaltung in den katholischen Kirchengemeinden erkannt. Die Notwendigkeit einer Neu- 
  
1 Ges. v. 14. Juli 1880, Art. 6; Ges. v. 21. Mai# 9 Giese, a. S. 286—291. 
a. O., 
1886, Krt. 13, Ges. v. 29. April 1887, Art. 5. . Ges.v. 11.Juli 1880, Art.6; Ges. v. 29.April 
: Über diese Begriffe: Giese, a. a. O., 1887, Art. 5, §. 2. 
S. 171 ff. 83 Giese, a. a. O., S. 291—294. 
3 Giese, a. a. O., S. 180, 284, 286. Giiese, a. a. O., S. 295 ff., 339 ff 
Zorn, Kirchenrecht, vS. 328; Giese, a. a. O.,, 1 Giese, a. a. O., S. 360 f. 
S. 286. 11 Giese, a. a. O., S. 360, 361 
* Giese, a. a. O., S. 286. 12 Giese, a. a. O., S. 364f.
	        
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