Staat und Kirche. (8. 131.)
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die sowohl von den Verwaltungs- und Gerichtsbehörden als auch vom Landtag ver-
tretene Ansicht bestätigt, daß die Altkatholiken als Mitglieder der katholischen Kirche zu
betrachten sind und ihnen dieselben Rechte wie den römischen Katholiken zustehen. Das
Gesetz regelt nur, und zwar provisorisch und ohne irgendwie über die Eigentumsfrage
zu entscheiden (§. 7), den Mitgebrauch, die Mitbenutzung und den Mitgenuß der Alt-
katholiken am Kirchenvermögen. Jede vom Oberpräsidenten als kirchlich organisiert an-
erkannte altkatholische Gemeinde, welche sich innerhalb einer katholischen Kirchengemeinde
durch Beitritt einer erheblichen Anzahl von männlichen, volljährigen, selbständigen, in-
derselben wohnenden Katholiken gebildet hat (§§. 1, 5 und 8), kann die Einräumung
des Mitgebrauches der Kirche und des Kirchhofes, die Überweisung eines Teiles der kirch-
lichen Gerätschaften zum Gebrauche und den Mitgenuß des übrigen zu kirchlichen Zwecken
bestimmten Vermögens, namentlich aber auch eine Genußteilung der erledigten Pfründen,
wenn mehrere in der Gemeinde vorhanden sind, verlangen (8S§. 2—5). Falls die alt-
katholische Gemeinschaft in der Kirchengemeinde die Mehrheit erreicht und die Zahl der
römischen Katholiken nicht mehr erheblich ist, kann sie den ausschließlichen Genuß des
nicht in Kirchen, Kirchhöfen, kirchlichen Gerätschaften und Pfründen bestehenden Kirchen-
vermögens beanspruchen; in diesem Falle hat ferner eine Neuwahl des Kirchenvorstandes.
und der Gemeindevertretung stattzufinden (§. 4). Ob die altkatholische Gemeinschaft
innerhalb der katholischen Kirchengemeinde zugleich einer der bisher organisierten alt-
katholischen Pfarreien angehört, ist gleichgültig, doch müssen ihre Mitglieder zur Unter-
haltung derjenigen Gegenstände, deren Benutzung ihnen gewährt ist, trotz ihres altkatho-
lischen Parochialverbandes beitragen (§. 5). Uber die Art und den Umfang der den
altkatholischen Gemeinschaften nach den §§. 2—5 einzuräumenden Rechte entscheidet der
Oberpräsident, dessen Anordnungen vorbehaltlich der Berufung an den Minister der geist-
lichen Angelegenheiten im Verwaltungswege vollstreckbar sind (§. 6). Praktische Bedeu-
tung haben die Vorschriften dieses sog. Altkatholikengesetzes nicht erlangt, da die römischen
Katholiken den Altkatholiken die in Frage kommenden Vermögensstücke ganz über-
lassen haben.
Nach dem Ausscheiden des Ministers Falk begann die Staatsregierung einzulenken
und zur Wiederherstellung des kirchlichen Friedens die Härten der sog. Kulturkampf-
gesetze durch eine Reihe von „Gesetzen betreffend Abänderungen der kirchenpolitischen Ge-
setze“ mehr und mehr zu beseitigen. In diesem Sinne ergingen die Novellen v. 14. Juli
1880 (G. S. 1880, S. 285), v. 31. Mai 1882 (G. S. 1882, S. 307), v. 11. Juli
1883 (G. S. 1883, S. 109), v. 21. Mai 1886 (G. S. 1886, S. 147) und v.
29. April 1887 (G. S. 1887, S. 127).1 Diese Novellen haben die Gesetzgebung der
siebziger Jahre in ganz erheblichem Maße abgeändert, zahlreiche Vorschriften vollständig
aufgehoben und nur ganz vereinzelte Bestimmungen bestehen gelassen. Die einzelnen
hierdurch bewirkten Anderungen sind schon in die vorangehende Darstellung eingeflochten
worden und bedürfen daher hier keiner besonderen Ausführung mehr. Auch der Inhalt
der vereinzelten späteren, die Verfassung der katholischen Kirche betreffenden preußischen.
Gesetze ist bereits im vorigen mitberücksichtigt worden.
III, Nr. 284, S. 1717 ff.) und die Verhandl. in — Kommentar: Hinschius, Preuß. Kirchenge-
den Sitz. v. 3. u. 8. Mai 1875 (Stenogr. Ber.
des A. H. 1875, Bd. II, S. 1651—1674, Bd. III,
S. 1808—1821), ferner den Ber. der Komm. des
H. H. v. 2. Juni 1875 (Stenogr. Ber. des H. H.
— Bd. II, Nr. 144, S. 803 ff.) und die
Verhandl. im H. H. in der Sitz. v. 10. Juni 1875
(Stenogr. Ber. des H. H., Bd. I, S. 5491—600).
setze der Jahre 1874 u. 1875, S. 179 ff.
1 Text u. a. bei v. Kleinsorgen, a. a. O.,
S. 101 ff.; Kommentare: Hinschius, Das
preuß. Kirchenges. v. 14. Juli 1880 usw., Nach-
tragsheft; ders., Die preuß. Kirchengesetze betr.
Abänderungen der kirchenpol. Ges. v. 1886, 1887,
2Teile.
Druck von F. A. Brockhaus, Leipzig.