Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

16 Die Gesetzgebung. (§. 110.) 
b) Die Staatsregierung hat nicht das Recht, von den Kammern die unbedingte 
Annahme oder Verwerfung des Gesetzentwurfes zu verlangen, sondern jedes Haus hat 
das Recht, zu den einzelnen Bestimmungen Abänderungen und Zusätze zu beschließen, 
wodurch es seine Zustimmung von der Genehmigung dieser Abänderungen und Zusätze 
abhängig macht. Auch können die Kammern einen ihnen vorgelegten Gesetzentwurf teil- 
weise annehmen und teilweise ablehnen. 
Jc) Wenn ein Gesetzentwurf von dem einen oder dem anderen Hause abgelehnt oder 
nur mit Anderungen angenommen wird, so ist dasselbe nicht verpflichtet, die Gründe 
hierfür anzuführen. « 
d) Jedes Haus muß sich über die (unbedingte oder veränderte) Annahme oder Ver- 
werfung des Gesetzentwurfes erklären; der Ubergang zur Tagesordnung über Gesetzvorlagen 
der Staatsregierung oder des anderen Hauses ist unstatthaft. 1 
e) Das Teilnahmerecht der Kammern an der Gesetzgebung bezieht sich keineswegs 
bloß auf den materiellen Inhalt des Gesetzes und seiner einzelnen Bestimmungen, sondern 
auch auf dessen spezielle Fassung (die Redaktion).? Den Kammern gebührt das Recht 
der Teilnahme in betreff aller Bestandteile des Gesetzes, soweit der Gesetzesinhalt. 
in Betracht kommt. Dagegen haben die Kammern keinen Teil am Gesetzes- 
befehl, der im Eingang und der Unterschrift zum äußeren Ausdruck gelangt. 
Die Erteilung des Gesetze Sbefehles durch den Akt der Sanktion ist aus- 
schließliche Prärogative des Königs. Demgemäß darf auch der Eingang des Ge- 
setzes nichts enthalten, was irgendwie zum Inhalt des Gesetzes gehört, z. B. Bestim- 
mungen über die zeitliche oder örtliche Geltung des Gesetzes; doktrinelle Erörterungen 
oder Begründungen sind zwar zulässig, aber überflüssig. Die Praxis war in dieser Be- 
ziehung eine mehrfach fehlerhafte, doch sind in letzter Zeit derartige Fehler vermieden. 
worden. 
Die von vielen Schriftstellern, auch von Rönne, vertretene Ansicht, daß den Kam- 
mern die Beschlußfassung über den ganzen Text des Gesetzes zustehe, führt, auch abgesehen 
von der oben betonten prinzipiellen Seite der Frage, zu Absurditäten; denn es wäre ab- 
surd, den Kammern ein Recht der Beschlußfassung über den Namen des Königs, Ort 
und Zeit der Unterschrift usw. zusprechen zu wollen; jedes einzige Wort des Einganges 
und der Unterschrift ist vielmehr der Beschlußfassung durch die Kammern logisch entzogen. 
Die bekämpfte falsche Theorie hat eine scheinbare Stütze in der falschen Praxis, den. 
Kammern den Gesetzentwurf, statt nur seinem Inhalte nach, bereits versehen mit Ein- 
gang und Schlußvermerk vorzulegen. 
  
über das Verfahren bei Beratung der Gesetz- 
entwürfe nicht ausreichend seien, und es waren 
Vorschläge zu Zusätzen in dieser Beziehung (ins- 
besondere über den Geschäftsgang zwischen beiden 
Kammern und zwischen diesen und der Staats- 
regierung) gemacht worden. Diese Anträge wurden 
indes vom Zentralausschuß abgelehnt, weil „die 
nähere Regulierung des zu beobachtenden Ver- 
fahrens nicht in die Verf. Urk., sondern in ein 
besonderes Gesetz und in die Geschäftsordnungen. 
gehöre" (s. Stenogr. Ber. der 1. K. 1849—50, 
Bd. III, S. 1491—92). 
1 Die Geschäftsordnungen sprechen diesen Grund- 
satz ausdrücklich aus (vgl. §. 74 der Gesch. O. des 
H. H., §. 52, Abs. 3 der Gesch. O. des A. H.), 
obgleich er selbstverständlich und darum auch in 
der Verf. Urk. nicht direkt ausgesprochen ist. Er 
ergibt sich ganz von selbst aus dem in Art. 64 
festgestellten Recht der Initiative, welches die 
anderen Faktoren der Gesetzgebung verpflichtet, 
sich über die Vorschläge des einen oder der beiden 
anderen bestimmt zu erklären, insbesondere aber 
aus der zwingenden Notwendigkeit eines ge— 
ordneten Staatslebens. 
  
2 Die Kammern üben dies Recht dadurch aus, 
daß (nach den Bestimmungen ihrer Geschäfts- 
ordnungen) der vollständig beratene Gesetzentwurf 
mit allen darüber gefaßten Beschlüssen und mit 
sämtlichen Anträgen, welche einer besonderen Re- 
daktion bedürfen, an die betreffende Kommission 
bzw. an das Bureau des betreffenden Hauses 
zur schließlichen Redaktion übergeben wird, 
deren Bericht dann zur Plenarberatung gelangt, 
bei welcher eine Diskussion über die Fassung 
stattfinden darf, nach deren Beendigung bzw. 
nach Erledigung der etwaigen Erinnerungen. 
dann erst über den Gesetzentwurf im ganzen 
abgestimmt wird. — Uber die Wichtigkeit der Teil- 
nahme der Kammern an der Fassung der Gesetze 
und über die hierbei besonders zu beobachtenden 
Grundsätze vgl. Zachariä, D. St. und B. R., 
3. Aufl., Bd. II, S. 167, die dort in der Note 14, 
angeführten Schriften, desgl. v. Mohl, Württemb- 
St. R., Bd. I, S. 622, Note 2. 
5 v. Rönne, 4. Aufl., Bd. I, S. 363 f. hatte 
hierüber ausgeführt: „Zu diesen — den Bestand- 
teilen des Gesetzes — gehört aber nicht bloß der 
die Rechtsregel unmittelbar festsetzende
	        
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