Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

18 Die Gesetzgebung. (§. 110.) 
darüber beschließenden) Kammer angenommen worden, von dem Herrenhause nicht mehr 
im einzelnen zum Gegenstande des Beschlusses gemacht, sondern nur im ganzen an- 
genommen oder abgelehnt werden darf (Art. 62). Es ist also dem Herrenhause eine 
Amendierung der einzelnen Positionen des Staatshaushaltsetats nicht gestattet. Diese 
Vorschrift ist indes nicht dahin zu verstehen, daß das Recht der Annahme oder Ablehnung 
im ganzen sich nur auf den im Abgeordnetenhause festgestellten Staatshaushaltsetat be- 
ziehen muß.! Diese Beschränkung der Rechte des Herrenhauses bezieht sich jedoch nur 
auf das Etatsgesetz („letztere“), nicht auf sonstige Finanzgesetzentwürfe; bezüglich dieser 
besteht vielmehr nur die Einschränkung, daß sie zuerst dem Abgeordnetenhause vorgelegt 
werden müdssen. 
8) Jedes der beiden Häuser kann sein verfassungsmäßiges beschließendes Recht der 
Teilnahme an der Gesetzgebung nur dann ausüben, wenn es in beschlußfähiger Zahl 
seiner Mitglieder versammelt ist.? Der Beschluß erfolgt nach absoluter Stimmenmehrheit 
(Art. 80 der Verfassungsurkunde). 
h) Jedes Gesetz, durch welches die Verfassung abgeändert werden soll, er- 
fordert die Beobachtung der in Art. 107 der Verfassungsurkunde vorgeschriebenen beson- 
deren Form.3 
i) Wenn eine Gesetzesvorlage, möge sie von der Krone ausgegangen oder aus der 
Initiative einer der beiden Kammern hervorgegangen sein, mit dem Ablaufe der Sitzungs- 
periode, in welcher sie eingebracht worden, noch nicht zur Beschlußnahme gediehen ist, so 
ist sie, laut §. 74 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses, für „erledigt“ zu er- 
achten. Nach der Ansicht von v. Rönne, 4. Aufl., Bd. I, S. 365, ist es „nicht zulässig, 
daß Gesetzentwürfe, welche von einer oder beiden Kammern bereits beraten worden sind, 
über welche indes die Beratung beim Schlusse der Sitzungen nicht vollständig beendigt 
worden, in der nächsten Sitzungsperiode von derjenigen Kammer wieder ausgenommen. 
  
ob die Kammern berechtigt seien, an der Fest- 
setzung der Eingangsformel der (revidierten) Verf. 
Urk. teilzunehmen. Sie haben dies Recht da- 
mals in der Tat nicht bloß in Anspruch genommen, 
sondern auch ausgeübt, und zwar (wie der Ber. 
des Zentralaussch, der 1. K. über den Gegenstand 
ausdrücklich ausspricht), weil „als ausgemacht an- 
zusehen sei, daß in keinem Falle die Verkündi- 
gungsformel eines Gesetzes eine Fassung erhalten 
dürfe, durch welche die Bedeutung des verfassungs- 
mäßigen Rechtes der Kammern zur Mitwirkung 
bei der Gesetzgebung ingendwie geschmälert, also 
etwa diese Mitwirkung selbst und die Zustimmung 
der Kammern zu dem betreffenden Gesetze mit 
Stillschweigen übergangen würde“. Von seiten 
der Staatsregierung ist dem damals in keiner 
Weise widersprochen worden (vgl. Stenogr. Ber. der 
1. K. 1849—50, S. 632—634 und S. 2045—49). 
Die v. Rönnesche Ansicht auch bei Schwartz, 
Verf. Urk. S. 205 f.; ebenso bei Bornhak:, I, 
S. 519 f.; G. Meyer-Anschütz, S. 560, N.44. 
Die richtige Ansicht ist in ausgezeichneter Dar- 
stellung entwickeltbei Laband, St. R., II, S. 11, 
29 ff., 37, N. 1; vgl. auch Lukas, Die rechtl. Stel- 
lung des Parlamentes (1901), S. 111 ff.; dazu wie- 
der Laband im Arch. f. öfflt. R., XVII, S.539ff. 
1 A. A. war v. Rönne, 4. Aufl., Bd. L, S. 364. 
Es handelt sich um eine der wichtigsten Einzel- 
fragen des großen Verfassungskonfliktes, s. darüber 
das Nähere im Budgetrecht. Auch Schwartz, 
Verf. Urk., S. 204; Arndt, Komm., S. 262; 
Meyer-Anschütz, §.97, N.7; Fleischmann, 
Gesetzgebung, S. 110 sind der Ansicht v. Rönnes 
und erklären das Verhalten des Herrenhauses für 
„verfassungswidrig“, für eine „vom Rechtsboden. 
  
sich entfernende politische Demonstration". Ich 
kann dieser Ansicht nicht zustimmen. Die Vorlage, 
um deren Annahme oder Ablehnung es sich handelt, 
ist die Vorlage der Regierung. Diese muß zuerst 
dem Abgeordnetenhause zugehen. Das A. H. kann 
darüber beraten und daran ändern, wie bei jedem 
anderen Gesetzentwurf. Alle diese Anderungen aber 
haben nur den Charakter von Vorschlägen, durch 
welche an sich der Entwurf der Regierung noch 
keine rechtliche Abänderung erfährt. Der aus dem 
verfassungsmäßigen Initiativrecht der Regierung 
hervorgegangene Entwurf bleibt vorerst rechtlich 
unverändert; beigegeben sind ihm nur die Ab- 
änderungsvorschläge des A. H. Diesen gegen- 
über ist das H. H. völlig frei. Der zur Beratung 
im H. H. stehende Entwurf bleibt immer der- 
jenige der Regierung. Das H. H. kann im einzelnen 
keine Abänderungsvorschläge machen: es kann nur 
annehmen oder ablehnen. Die Annahme aber 
kann sich ebensowohl auf den unveränderten wie 
auf den vom A. H. veränderten Entwurf beziehen. 
Das H. H. bleibt auf dem verfassungsmäßigen 
Boden, wenn es unter Ablehnung der Vorschläge 
des A. H. den unveränderten Regierungsentwurf 
lediglich annimmt. 
2 Art. 80 der Verf. Urk. Es ist danach für 
das Haus der Abgeordneten die Anwesenheit der 
Mehrheit der gesetzlichen Anzahl seiner Mitglieder 
erforderlich, mithin die Anwesenheit von wenigstens 
222 Mitgliedern (vgl. oben Bd. I, §. 24, S. 289 f., 
u. §. 29, S. 443). Dagegen genügt für das H. H. 
die Anwesenheit von 60 Mitgliedern (Ges. v. 
30. Mai 1855, G. S. 1855, S. 316), s(. oben 
Bd. I, §. 29, S. 344 . 
3 S. dazu unten §. 117 C.
	        
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