Notverordnungen. (S. 112.) 25
fassungsurkunde der regelmäßigen Gesetzgebung (Art. 62) ausdrücklich vorbehalten hat.1
Die Gesetzgebung im weiteren Sinne umfaßt die beiden Gattungen: a) den Erlaß von
Gesetzen, die mit Zustimmung der Kammern zustande kommen (Art. 62), b) den Erlaß
von Verordnungen, welchen die Kammern erst nachträglich zustimmen müssen, wenn sie
zu eigentlichen Gesetzen erhoben werden sollen, während sie bis dahin nur provisorische
Verordnungen mit Gesetzeskraft sind (Art. 63). In den Art. 62 und 63, welche den
Sitz der Materie bilden und deshalb auch für die Terminologie der Verfassungsurkunde
die entscheidende Grundlage geben, wird diese Terminologie klar und bestimmt ausgedrückt
und der Unterschied zwischen „Gesetzen“ und „Verordnungen mit Gesetzeskraft"“ festgesetzt.
An dieser Terminologie muß daher festgehalten werden; der Umfang der Verord-
nungen mit Gesetzeskraft ist aber einzig und allein durch die Verfassung
beschränkt. Wo somit letztere auf Gesetz, den Weg der Gesetzgebung oder,
was damit gleichbedeutend ist, auf die erforderliche Zustimmung der Kam-
mern verweist, ist überall der Weg der Notverordnung nach Art. 63 zu-
lässig, weil es sich hier überall nicht um einen Widerspruch zur Ver-
fassung handelt.s — Zu den von der Notverordnung unbedingt ausgeschlossenen
1 A. A. war in diesem Punkt v. Rönne (4.Aufl.,
Bd. 1, S. 371), der gerade entgegengesetzt von
der Sphäre des Art. 63 alles ausschloß, was durch
die Verfassung ausdrücklich dem Wege der Gesetz-
gebung vorbehalten war. Diese Ansicht auch bei
Schwartz, Verf. Urk., S. 209; v. Schulze, II,
S. 35; G. Meyer-Anschütz, S. 578; Arndt,
Verf. Urk., S. 264 schließt von der Anwendbarkeit
des Art. 63 aus, was durch die Verfassung der
Hordentlichen“ Gesetzgebung oder der „Zu-
stimmung der Kammern“ vorbehalten ist; dies
sind jedoch nur Synonyme für „Gesetz“; Not-
verordnungen sind aber nur gegenüber der Ver-
fassung ausgeschlossen. Vgl. auch Bornhak ?2,1I,
S. 541 f.; v. Schulze, St. R., II, S. 35;
v. Stengel, S.174; Arndt im Arch. f. öfftl. R.
1889, S. 138 f. Vgl. auch Held (System des
Verf. R., Bd. II, S. 61, Note 2): „Die deutschen
Verf. Urk. stellen nicht selten einen staatsrechtlichen
Grundsatz mit dem Beifügen auf, daß seine nähere
Ausführung durch Gesetz geordnet werden solle,
oder sie bestimmen kurzweg, dieser oder jener
Gegenstand sei erst durch Gesetz zu ordnen.
Hierin liegt ein expresses Ausschließen des außer-
dem Platz greifenden Verordnungsrechtes des
Landesherrn, zugleich aber auch die Bestimmung,
daß das erst zu Ordnende nicht als Ver-
fassungs gesetz zu betrachten sei. Wohl aber ist
ein derartiger allgemeiner Grundsatz, oder eine
solche Bestimmung einer Verfassung, daß dies oder
jenes durch ein Gesetz zu ordnen sei, selbst
ein Verfassungsgesetz.“ (Vgl. Held, a. a. O.,
Bd. II, S. 89—90.) Abweichender Ansicht scheint
v. Mohl (Staatsr., Völkerr. u. Politik, Bd. II,
S. 625, Note 1) zu sein. Ebenso nimmt v. Gerber
(Grundzüge, 3. Aufl., S. 153) an, daß darin,
daß die Verf. Urk. ausspricht, ein gewisser Gegen-
stand solle durch die Gesetzgebung reguliert wer-
den, keine Exemtion von der sog. Notgesetz-
gebung liege; denn jene Zusicherung sei nur dahin
zu verstehen, daß der fragliche Gegenstand fortan
nicht bloß der Entscheidung der Verwaltungsbe-
hörden anheimgegeben sei, sondern durch festes
Gesetz normiert werden solle. Ein Notgesetz könne
alles dasjenige zum Inhalte haben, was über-
haupt durch Gesetze bestimmt zu werden vermöge,
nur nicht eine Abänderung der Grundgesetze und
der Verfassung, wie die Autorisation zum Erlaß
von Notgesetzen überhaupt nicht anders als inner-
halb des Nahmens und auf dem Boden der Ver-
fassung stehend vorhanden sei. Mit dieser An-
sicht v. Gerbers erklärt sich auch G. Meyer-
Anschütz, (St. R., §. 161) einverstanden. Da-
gegen nimmt das „Rechtsgutachten des Spruch-
kollegiums der Heidelberger Juristenfakultät über
die Verfassungsmäßigkeit der Preßverordn. vom
1. Juli 1863 (Leipzig, 1863)“ und ebenso das
„Rechtsgutachten der Göttinger Juristenfakultät
(Berlin, 1863)“ die entgegengesetzte, von v. Rönne
in den früheren Auflagen dieses Werkes vertretene
Rechtsansicht für richtig an, für welche sich auch
das Haus der Abgeordn. (Stenogr. Ber. über die
Sitz. v. 19. Nov. 1863, S. 75 ff.) entschieden hat.
Ebenso der Verf. des Aufs.: „Die Verordnung
mit Gesetzeskraft“ in Aegidis Zeitschr. f. D. St. N.,
Bd. 1, H. 3, S. 221 ff., welcher seine Ausführung
auch auf die Entstehungsgeschichte der Verfassung
gründet. Ebenso v. Schulze, Pr. St. R.,
Bd. II, S. 35 ff., und Dernburg, Lehrb. des
Preuß. Privatr., Bd. I, §. 16, S. 30.
2 A. M. war v. Rönne, a. a. O., S. 372,
der hierüber ausführte: „Die verfassungsmäßige
Berechtigung der Kammern zur Teilnahme an
der Gesetzgebung könnte durch eine schrankenlose
Ausdehnung des einseitigen Verordnungsrechtes
gefährdet werden. Eben deshalb aber darf dies
letztgedachte Recht, vorausgesetzt, daß die sonstigen
Erfordernisse des Art. 63 vorhanden sind, nur in
denjenigen Fällen ausgeübt werden, für welche
nicht in der Verf. Urk. selbst der Weg der eigent-
lichen Gesetzgebung vorbehalten worden ist. Dies
hat nun aber die Verf. Urk. in vielen Fällen ge-
tan, obwohl in dieser Beziehung nicht überall
eine ganz gleichmäßige Terminologie beobachtet
worden ist. Nur in drei Fällen, nämlich in dem
Art. 94, Abs. 1, in dem Art. 95 und in dem
Art. 107, ist aus spezieller Veranlassung der über
jeden Interpretationsversuch erhabene Ausdruck:
„mit vorheriger Zustimmung der Kammern“,
bzw.: „im Wege der ordentlichen Gesetzgebung“
gewählt worden. In vielen Fällen dagegen
verweist die Verf. Urk. nur ganz allgemein auf
das Gesetz oder die gesetzlichen Bestimmungen
überhaupt. (Dies geschieht namentlich in den