54 Die Gesetzgebung. (§. 116.)
entscheiden, ob das Gesetz oder die königliche Verordnung von den gesetzgebenden Fak-
toren bzw. von dem Könige ausgegangen und in der vom Gesetze vorgeschriebenen Form
bekannt gemacht worden sei. Denn da, wo diese Frage zu verneinen wäre, liegt
eine rechtlich verbindliche Rechtsnorm überall gar nicht vor, es kann daher auch von
deren Anwendung keine Rede sein. Dieser unzweifelhaft feststehende Rechtsgrundsatz findet
im geordneten Staatswesen und insbesondere auch nach preußischem Staatsrecht seine
Anwendung gemäß den verfassungsmäßigen und gesetzlichen Vorschriften über die Publi-
kation. Aus der Publikation in der Gesetzsammlung ergibt sich, daß ein
rechtsverbindliches Gesetz bzw. eine königliche Verordnung vorliegt. Dem-
gemäß hat die Anwendung durch die Behörden zu erfolgen. „Die Wiedergabe
der Gesetzesurkunde im Gesetzblatt hat die Eigenschaft der Authentizität: der publizierte
Gesetzestext gilt für jeden, den er angeht (Gerichte, Verwaltungsbehörden, Untertanen)
mit einer unwiderleglichen Rechtsvermutung als echt, bis er berichtigt ist.“ s Ein Prü-
fungsrecht ist hier nur insoweit rechtlich denkbar, als die Erfordernisse der
Publikation einer Prüfung unterworfen werden dürfen. Die gesetzmäßige
Verkündung der Gesetze und königlichen Verordnungen erfordert aber nicht bloß, daß der
Abdruck des Gesetzes oder der Verordnung in der Gesetzsammlung erfolgt sei,
sondern es kommt bei königlichen Verordnungen außerdem noch in Betracht, ob die
Vorschriften der Verfassungsurkunde Art. 44 bzw. Art. 63 über die Gegenzeichnung
eines Ministers bzw. des gesamten Staatsministeriums beobachtet worden sind. Da-
gegen besteht bei Gesetzen ein Prüfungsrecht darüber nicht, ob eine ausdrückliche Be-
zugnahme auf die Zustimmung der Kammern im Eingang des Gesetzes erfolgt sei;
ebensowenig bei Notverordnungen, ob eine Bezugnahme auf Art. 63 erfolgt sei.
Denn in beiden Punkten handelt es sich nicht um rechtlich notwendige Erforder-
nisse. Dagegen muß bei Verordnungen die ministerielle Gegenzeichnung allerdings ge-
prüft werden. Denn eine Verordnung ohne Gegenzeichnung eines verantwortlichen
Ministers bzw. (Art. 63) des gesamten Staatsministeriums ist überall gar keine der
rechtlichen Anwendung fähige Rechtsnorm. Insbesondere kann es auf die Benennung,
welche ein nicht gegengezeichneter, wenn auch publizierter königlicher Erlaß sich selbst bei-
legt, gar nicht ankommen. Art. 44 bzw. Art. 63 der Verfassungsurkunde erfordern
unbedingt die Gegenzeichnung; wo solche fehlt, ist auch ein verkündeter Erlaß
keine Verordnung im Sinne des Art. 106 der Verfassungsurkunde. Auf nicht
gibt, die Rede; letztere unterliegen bezüglich ihrer liegt in seinem Inhalte, die andere in seiner-
Rechtmäßigkeit der Prüfung der Behörden, die
zur Anwendung berufen sind, nach Maßgabe der
unten festzustellenden Grundsätze (vgl. auch Zöpfl,
Grunds. des allgem. u. D. Verf. R., 4. Ausg.,
Bd. II, S. 639; 5. Ausg., S. 594).
1 Zur Prüfung der Frage, ob ein Gesetz oder
eine Verordnung von dem Gesetzgeber ausge-
gangen bzw. gehörig publiziert sei, sind die Be-
hörden grundsätzlich, somit auch im absoluten
Staate befugt und verpflichtet; denn auch hier
ist nicht jeder beliebige formlose Befehl des
Königs bindende Norm für die Gerichte. Vgl.
v. Schulze, Pr. St. R., Bd. II, S. 40. In
diesem Sinne hat auch das Obertribunal in dem
Erk. vom 3. Febr. 1871 (Striethorsts Arch.,
Bd. 81, S. 110, Nr. 22) ausgeführt, daß nur
die Prüfung der Rechtsgültigkeit gehörig
verkündigter königl. Verordnungen den Behör-
den nach Art. 106 der Verf. Urk. nicht zustehe,
wogegen die gehörige Verkündigung der-
selben stets die Bedingung ihrer Gültigkeit
sei. Vgl. auch Förster, Theorie und Praxis
des preuß. Privatrechts, 2. Aufl., Bd. 1, §. 9,
S. 33 ff., welcher bemerkt: „Die Gültigkeit eines
Gesetzes hat eine doppelte Voraussetzung, die eine
Form. Es ist natürlich, daß über jene leicht
Zweifel entstehen können. Um nun solche Zweifel.
in den Grenzen derjenigen Staatsorgane zu hal-
ten, die die nächstberechtigten sind, d. h. zwischen
dem König und dem Landtage, und um zu ver-
hindern, daß er auch in die unteren Organe der
Staatsregierung dringe, ist die Bestimmung des
Abs. 2 des Art. 106 der Verf. Urk. ergangen.
Es dürfen also auch nicht die Gerichte eine Prü-
fung der inneren Rechtsgültigkeit vornehmen,
obschon sie nach Art. 86 keiner anderen Autorität
als der des Gesetzes unterworfen sein sollen.
Dadurch ist ihnen ein wesentlicher Teil ihres
Berufes entzogen. Der preuß. Richter muß jede
königl. Verordnung befolgen, wenn sie nur
gehörig bekannt gemacht worden ist. Die gehörige-
Bekanntmachung hat er aber unbedingt!
zu prüfen. Sein juristisches Dasein erhält hier-
nach das Gesetz erst durch die königl. Vollzie-
hung, welcher die Gegenzeichnung eines Mi-
nisters hinzutreten muß, und zweitens durch die-
Veröffentlichung.“
3 So G. Meyer-Anschütz, Lehrb., S. 567f.,
654, dazu aber die Bemerkung von Anschütz,
S. 568, Note 14, und Labands, II, S. 50 ff.