Die besonderen Garantien der Verfassung.
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Anders liegt die Sache für einen Regenten, und zwar in jedem Falle der
Regentschaft.
Daß im Falle der Einrichtung einer Regentschaft die Weigerung des
Regenten, den Verfassungseid zu leisten, oder die ungebührliche Verzögerung dieser Eides-
leistung als eine Verzichtleistung auf die Regentschaft anzusehen sein würde, welche zur
Folge haben müßte, daß der Nächstberechtigte zur Ubernahme der Regentschaft berufen
werden müßte, kann deshalb nicht zweifelhaft sein, weil Art. 58 der Verfassungsurkunde
die Befugnis zur Ausübung der Regentschaftsrechte an die Bedingung der Ableistung des
dort vorgeschriebenen Eides des Reichsverwesers knüpft.1
II. Obgleich auch ohne Ableistung eines besonderen Eides die Verpflichtung der
Staatsbürger und der Beamten zur Beobachtung der Verfassung unzweifelhaft rechtlich
begründet ist, hat dennoch die Verfassungsurkunde für erforderlich erachtet, auch hier die
Heiligkeit des Eides zum Schutze der Verfassung zu benutzen.
Art. 108 bestimmt da-
durch die Verf. Urk. vorgeschriebenen landesfürst-
lichen Verfassungseides kann, wie sich von selbst
versteht, nicht ohne alle rechtliche Folgen
bleiben; diese Folgen können aber nur die oben
im Texte angegebenen sein (nämlich nach Bd. II,
S. 343, daß die gleichwohl faktisch ausgeübten
Regierungshandlungen der staatsrechtlichen Gültig-
keit entbehren). Der König, welcher der ihm
in Art. 54 zur Pflicht gemachten Vorschrift der
Verfassung nicht genügen will, mag faktisch
Regierungsrechte ausüben; allein rechtlich ist
er dazu nicht befugt, weil die Ableistung des eid-
lichen Gelöbnisses der Beobachtung der Verfassung
eine vereinbarte Bedingung der Ausübung der
verfassungsmäßigen Rechte des Königs ist. Die
Regierung des Königs im Falle der Verweigerung
des Verfassungseides ist daher vorläufig eine rein
tatsächliche, nicht aber eine rechtliche und
verfassungsmäßige. Vgl. hierüber auch
Dahlmann, Politik (2. Aufl.), S. 199, welcher
bemerkt: „Es ist das Recht der Untertanen, nach
welchem auch die Gerichtshöfe sich zu halten an-
gewiesen sind, die Regierung eines Fürsten, wel-
cher die Bestätigung der Landesverfassung ver-
weigert, als noch nicht angetreten zu betrachten“,
und weiter: „Hat der Zwiespalt unversöhnt seinen
Fortgang, so entscheidet dann freilich die Gewalt
über die künftige Regierung und Verfassung.“
Die Frage ist dann eine außerordentliche Staats-
frage und keine Rechtsfrage; es wird dabei stets,
wie bei jeder Staatsfrage, um die Stimmung,
die Mittel, die wahrscheinlichen Folgen mehr als
um positive Rechte sich handeln (Burke). Vgl.
über die Frage auch Zachariä, D. St. u. B. R.,
3. Aufl., Bd. I, S. 301, welcher zwar annimmt,
„daß der Landesherr vor ausgemachter Sache die
solenne Huldigung von Ständen und Untertanen
zu fordern nicht berechtigt sei“, indes nicht zu-
gibt, daß die Weigerung der Eidesleistung eine
Suspension des Regierungsrechtes des Landes-
fürsten überhaupt und folgeweise der entsprechen-
den Pflichten der Untertanen gegen ihn zur Folge
habe. v. Schulze und Laband geben zwar zu,
daß die Verzögerung oder Verweigerung der
Eidesleistung eine Pflichtversäumnis, eine Ver-
fassungsverletzung sei, halten aber dafür, daß
hieraus juristisch nicht gerechtfertigt werden
könne, daß in der Unterlassung jener Pflicht ein
Verzicht auf die Krone zu erblicken sei, und
daß die Ausübung der Regierungsrechte so lange
suspendiert bleiben müsse, bis der Verfassungs-
eid geleistet sei.“ — Vgl. über die Frage auch:
Held, System des Verf. R., Bd. II, S. 274 ff.;
Grotefend, Das D. St. R. der Gegenwart,
S. 394 ff., und G. Meyer-Anschütz, St. R.,
§. 91, S. 276, Note 8; Schwartz, Verf. Urk.,
S. 156ff.; Arndt, Verf. Urk., zu Art. 54; Born-
hak?, 1, S. 193f.; v. Schulze, Bd. I, S. 197.
1 Vgl. Bd. J, S. 238f.
2 Die preuß. Verf. Urk. (Art. 108) dehnt, wie
die meisten deutschen Verf. Urk., den von allen
öffentlichen Beamten zu leistenden Diensteid auf
die „gewissenhafte Beobachtung der Verfassung“
aus. Die Pflicht des Beamten, die Verfassung
nicht zu verletzen, oder sich nicht zur Verletzung
oder gar zum Umsturze derselben gebrauchen zu
lassen, wird indes selbstverständlich nicht erst durch
die Ableistung dieses Verfassungseides begründet,
mithin auch die Verantwortlichkeit wegen be-
gangener Verfassungsverletzungen durch die Ab-
leistung des gedachten Eides nicht bedingt,
sondern die sich von selbst verstehende Verpflich-
tung ist dadurch nur noch besonders erhöht
oder bestärkt, so daß also auch die Entbin-
dung von dem Eide, abgesehen von der recht-
lichen Möglichkeit einer solchen, die Pflicht selbst
nicht vernichten kann (vgl. Zachariä, D. St.
u. B. R., 3. Aufl., Bd. II, S. 41, und Held,
System des Verf. R., Bd. II, S. 343 ff.) — Vgl.
über den Gegenstand auch: Schwartz, Verf. Urk.,
S. 339; Stahls Rechtsphilosophie, 3. Aufl.,
Bd. II, Abt. 2, S. 296 ff. Stahl bemerkt: „daß,
wie es ein wirklicher Fortschritt sei, den Staat
als eine gemeinsame höhere Ordnung und Auf-
gabe über Fürst und Volk zu erkennen, so es
auch angemessen sei, daß jetzt auch Landesver-
treter, Beamte, Untertanen nächst der Treue und
dem Gehorsam gegen den Fürsten zugleich die
Beobachtung der Verfassung geloben“. Er fügt
dann aber hinzu: „Dieser Eid auf die Ver-
fassung enthält zwar eine Einschränkung des (dem
Fürsten geleisteten) Huldigungseides; allein nicht
anders, als auch der ältere Huldigungseid in den
deutschen Territorien (und noch jetzt in Eng-
land) sie stillschweigend enthält durch die Be-
ziehung, in welcher immer die Huldigung zu der
landesherrlichen Bestätigung der Freiheiten stand.
Er gibt dann auch den Schwörenden keineswegs
eine andere Stellung zur Verfassung, als sie
ohnedies in ihrem Berufe liegt, also namentlich
den Beamten nicht das Recht zur Beurteilung
der Verfassungsmäßigkeit über dem Fürsten oder
ihrem Vorgesetzten.“ Uber den Sinn des auf
die Verfassung allein geleisteten Eides spricht
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