Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Die besonderen Garantien der Verfassung. 
(8. 117.) 67 
Anders liegt die Sache für einen Regenten, und zwar in jedem Falle der 
Regentschaft. 
Daß im Falle der Einrichtung einer Regentschaft die Weigerung des 
Regenten, den Verfassungseid zu leisten, oder die ungebührliche Verzögerung dieser Eides- 
leistung als eine Verzichtleistung auf die Regentschaft anzusehen sein würde, welche zur 
Folge haben müßte, daß der Nächstberechtigte zur Ubernahme der Regentschaft berufen 
werden müßte, kann deshalb nicht zweifelhaft sein, weil Art. 58 der Verfassungsurkunde 
die Befugnis zur Ausübung der Regentschaftsrechte an die Bedingung der Ableistung des 
dort vorgeschriebenen Eides des Reichsverwesers knüpft.1 
II. Obgleich auch ohne Ableistung eines besonderen Eides die Verpflichtung der 
Staatsbürger und der Beamten zur Beobachtung der Verfassung unzweifelhaft rechtlich 
begründet ist, hat dennoch die Verfassungsurkunde für erforderlich erachtet, auch hier die 
Heiligkeit des Eides zum Schutze der Verfassung zu benutzen. 
Art. 108 bestimmt da- 
  
durch die Verf. Urk. vorgeschriebenen landesfürst- 
lichen Verfassungseides kann, wie sich von selbst 
versteht, nicht ohne alle rechtliche Folgen 
bleiben; diese Folgen können aber nur die oben 
im Texte angegebenen sein (nämlich nach Bd. II, 
S. 343, daß die gleichwohl faktisch ausgeübten 
Regierungshandlungen der staatsrechtlichen Gültig- 
keit entbehren). Der König, welcher der ihm 
in Art. 54 zur Pflicht gemachten Vorschrift der 
Verfassung nicht genügen will, mag faktisch 
Regierungsrechte ausüben; allein rechtlich ist 
er dazu nicht befugt, weil die Ableistung des eid- 
lichen Gelöbnisses der Beobachtung der Verfassung 
eine vereinbarte Bedingung der Ausübung der 
verfassungsmäßigen Rechte des Königs ist. Die 
Regierung des Königs im Falle der Verweigerung 
des Verfassungseides ist daher vorläufig eine rein 
tatsächliche, nicht aber eine rechtliche und 
verfassungsmäßige. Vgl. hierüber auch 
Dahlmann, Politik (2. Aufl.), S. 199, welcher 
bemerkt: „Es ist das Recht der Untertanen, nach 
welchem auch die Gerichtshöfe sich zu halten an- 
gewiesen sind, die Regierung eines Fürsten, wel- 
cher die Bestätigung der Landesverfassung ver- 
weigert, als noch nicht angetreten zu betrachten“, 
und weiter: „Hat der Zwiespalt unversöhnt seinen 
Fortgang, so entscheidet dann freilich die Gewalt 
über die künftige Regierung und Verfassung.“ 
Die Frage ist dann eine außerordentliche Staats- 
frage und keine Rechtsfrage; es wird dabei stets, 
wie bei jeder Staatsfrage, um die Stimmung, 
die Mittel, die wahrscheinlichen Folgen mehr als 
um positive Rechte sich handeln (Burke). Vgl. 
über die Frage auch Zachariä, D. St. u. B. R., 
3. Aufl., Bd. I, S. 301, welcher zwar annimmt, 
„daß der Landesherr vor ausgemachter Sache die 
solenne Huldigung von Ständen und Untertanen 
zu fordern nicht berechtigt sei“, indes nicht zu- 
gibt, daß die Weigerung der Eidesleistung eine 
Suspension des Regierungsrechtes des Landes- 
fürsten überhaupt und folgeweise der entsprechen- 
den Pflichten der Untertanen gegen ihn zur Folge 
habe. v. Schulze und Laband geben zwar zu, 
daß die Verzögerung oder Verweigerung der 
Eidesleistung eine Pflichtversäumnis, eine Ver- 
fassungsverletzung sei, halten aber dafür, daß 
hieraus juristisch nicht gerechtfertigt werden 
könne, daß in der Unterlassung jener Pflicht ein 
Verzicht auf die Krone zu erblicken sei, und 
daß die Ausübung der Regierungsrechte so lange 
suspendiert bleiben müsse, bis der Verfassungs- 
eid geleistet sei.“ — Vgl. über die Frage auch: 
  
Held, System des Verf. R., Bd. II, S. 274 ff.; 
Grotefend, Das D. St. R. der Gegenwart, 
S. 394 ff., und G. Meyer-Anschütz, St. R., 
§. 91, S. 276, Note 8; Schwartz, Verf. Urk., 
S. 156ff.; Arndt, Verf. Urk., zu Art. 54; Born- 
hak?, 1, S. 193f.; v. Schulze, Bd. I, S. 197. 
1 Vgl. Bd. J, S. 238f. 
2 Die preuß. Verf. Urk. (Art. 108) dehnt, wie 
die meisten deutschen Verf. Urk., den von allen 
öffentlichen Beamten zu leistenden Diensteid auf 
die „gewissenhafte Beobachtung der Verfassung“ 
aus. Die Pflicht des Beamten, die Verfassung 
nicht zu verletzen, oder sich nicht zur Verletzung 
oder gar zum Umsturze derselben gebrauchen zu 
lassen, wird indes selbstverständlich nicht erst durch 
die Ableistung dieses Verfassungseides begründet, 
mithin auch die Verantwortlichkeit wegen be- 
gangener Verfassungsverletzungen durch die Ab- 
leistung des gedachten Eides nicht bedingt, 
sondern die sich von selbst verstehende Verpflich- 
tung ist dadurch nur noch besonders erhöht 
oder bestärkt, so daß also auch die Entbin- 
dung von dem Eide, abgesehen von der recht- 
lichen Möglichkeit einer solchen, die Pflicht selbst 
nicht vernichten kann (vgl. Zachariä, D. St. 
u. B. R., 3. Aufl., Bd. II, S. 41, und Held, 
System des Verf. R., Bd. II, S. 343 ff.) — Vgl. 
über den Gegenstand auch: Schwartz, Verf. Urk., 
S. 339; Stahls Rechtsphilosophie, 3. Aufl., 
Bd. II, Abt. 2, S. 296 ff. Stahl bemerkt: „daß, 
wie es ein wirklicher Fortschritt sei, den Staat 
als eine gemeinsame höhere Ordnung und Auf- 
gabe über Fürst und Volk zu erkennen, so es 
auch angemessen sei, daß jetzt auch Landesver- 
treter, Beamte, Untertanen nächst der Treue und 
dem Gehorsam gegen den Fürsten zugleich die 
Beobachtung der Verfassung geloben“. Er fügt 
dann aber hinzu: „Dieser Eid auf die Ver- 
fassung enthält zwar eine Einschränkung des (dem 
Fürsten geleisteten) Huldigungseides; allein nicht 
anders, als auch der ältere Huldigungseid in den 
deutschen Territorien (und noch jetzt in Eng- 
land) sie stillschweigend enthält durch die Be- 
ziehung, in welcher immer die Huldigung zu der 
landesherrlichen Bestätigung der Freiheiten stand. 
Er gibt dann auch den Schwörenden keineswegs 
eine andere Stellung zur Verfassung, als sie 
ohnedies in ihrem Berufe liegt, also namentlich 
den Beamten nicht das Recht zur Beurteilung 
der Verfassungsmäßigkeit über dem Fürsten oder 
ihrem Vorgesetzten.“ Uber den Sinn des auf 
die Verfassung allein geleisteten Eides spricht 
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