Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

Die besonderen Garantien der Verfassung. (S. 117.) 75 
Art; ausgeschlossen dagegen sind alle privaten Außerungen, wie Danksagungen, Mit- 
teilungen u. dgl. Offizielle Thronreden sind begrifflich „Regierungsakte“, werden jedoch 
herkömmlich in Preußen nicht gegengezeichnet, da man sie als persönliche Botschaften des 
Königs an die Volksvertretung betrachtet. Ausgeschlossen vom Bereich des Art. 44 sind 
1. die Akte des militärischen Oberbefehls, 2. die Akte des landesherrlichen Kirchen- 
regiments. Die Erörterung dieser Materien gehört jedoch nicht dem preußischen Staats- 
recht, sondern zu 1. dem Reichsstaatsrecht, zu 2. dem Kirchenrecht an.? Eine un- 
lösbare Schwierigkeit kann eintreten bei Ernennung oder Entlassung von Ministern. 
Daß es sich hier um „Regierungsakte“ handelt, ist zweifellos, somit auch die rechtliche 
Notwendigkeit der Gegenzeichnung. Falls aber das gesamte Ministerium seine Ent- 
lassung nimmt, ist weder bei der Entlassung noch bei der Ernennung der neuen Mi- 
nister eine Gegenzeichnung tatsächlich möglich, da die alten Minister hierzu nicht mehr, 
die neuen noch nicht rechtlich befugt sind.3 Die Bestimmung des Art. 44 in Verbindung mit 
dem in Art. 43 ausgesprochenen Grundsatze der Unverletzlichkeit des Königs stellt fest, 
daß lediglich die Minister die Verantwortlichkeit für die Verfassungsmäßigkeit 
der von dem Könige ausgehenden Verfügungen gegenüber der Volksvertretung zu tragen 
haben, und daß daher kein Minister jemals diese Verantwortlichkeit durch Berufung auf 
die Befehle des Königs ablehnen kann. Hauptsächlich zu diesem Zweck ist in Art. 44 
vorgeschrieben, daß die vom Könige ausgehenden Erlasse in Regierungsangelegenheiten 
(mindestens) von einem Mitgliede des Staatsministeriums gegengezeichnet werden müssen 
und daß der gegenzeichnende Minister hierdurch die persönliche Verantwortung 
für die Verfassungsmäßigkeit einer solchen Verfügung übernimmt. Die Gegenzeichnung 
der königlichen Erlasse in Regierungsangelegenheiten durch einen Minister hat den Zweck, 
ein Subjekt der Verantwortlichkeit der Volksvertretung gegenüber festzustellen; die Gegen- 
zeichnung ist als ein Formalakt zu betrachten, durch welchen diese Verantwortlichkeit, 
deren die Verfassung hier gedenkt, übernommen wird. Die Begründung dieser Ver- 
antwortlichkeit liegt demnach rechtlich nur in der Gegenzeichnung und erfolgt nur für 
denjenigen Minister, der dieselbe gegeben hat. Minister, die nicht gegengezeichnet haben, 
sind im Sinne des Art. 44 nicht verantwortlich; wo die Verfassung die Verantwortlich- 
keit aller Minister fordern will, schreibt sie ausdrücklich dies vor, so in Art. 63 der 
Verfassungsurkunde bei Notverordnungen.“ 
III. Welches ist aber diese Verantwortlichkeit des Art. 44 der Verfassungsurkunde? 
Die „Verantwortlichkeit“ der Minister kann in verschiedener Bedeutung aufgefaßt 
werden. Der allgemeine Sprachgebrauch bezeichnet mit dem Ausdrucke „moralische“ 
Verantwortlichkeit die Verantwortlichkeit vor der öffentlichen Meinung.? Als „parla- 
  
1 Vgl. zu dieser Frage oben Bd. I, S. 342, 359. 
Gegen das Erfordernis der Gegenzeichnung für 
Thronreden Schwartz, Verf. Urk., S. 126f. 
2 Schwartz, Verf. Urk., S. 127f.; Arndt, 
Verf. Urk., Anm. 2 zu Art. 44. Vgl. im übrigen 
die Werke über Reichsstaatsrecht und Kirchenrecht. 
3 Richtig Schwartz, Verf. Urk., S. 128; 
v. Gerber, Grundzüge, S. 102 2. A. A. Arndt, 
Verf. Urk., S. 182; G. Meyer-Anschütz, Lehr- 
buch, S. 249. 
4 Anderer Ansicht Rönne in den früheren 
Auflagen (4. Aufl., Bd. II, S. 352); s. auch 
Zöpfl, Grunds. des gem. D. St. R., 5. Aufll., 
Bd. II, S. 419 ff.; Samuely, Das Prinzip 
der Ministerverantwortlichkeit, S. 56 ff. Die von 
diesen Schriftstellern geforderte Solidarität des 
Ministeriums ist ein politisches, kein Rechts- 
prinzip. Die Ansicht, daß die Minister auch 
ohne Gegenzeichnung verantwortlich seien, auch 
bei Schwartz, Verf. Urk., S. 126. 
5 Vxgl. Kerkhove, a. a. O., S. 33; Mitter- 
maier in dem Ausschußberichte in den Verhandl. 
  
der verfassungsgebenden Reichsversammlung zu 
Frankfurt, herausgeg. von R. D. Häßler, Bd. II, 
S. 145. Dahlmann (Politik, S. 106) nennt 
diese Art von Verantwortlichkeit die „politische“ 
und bemerkt: „Dieselbe ist von unbeschränktem 
Umfange. Die freie Presse ruft die Handlungen 
der Minister täglich vor den Richterstuhl der 
öffentlichen Meinung; sie beschränkt sich nicht auf 
die Rüge von Gesetzwidrigkeiten, sondern nimmt 
alles auf, was getan oder unterlassen, mit der 
öffentlichen Meinung streitet. Die ständischen Ver- 
sammlungen nötigen den Ministern auf jedem 
Schritte ihrer Bahn Rechenschaft, Verantwortun- 
gen über ihr Verfahren, ihre Grundsätze und 
Ansichten ab. Bittschriften aus dem Volke, aus 
den Ständen können Beschwerdeführungen über 
die Minister an den Thron bringen. Durch das 
alles knüpft sich an das Amt der höchsten Unter- 
tanenmacht Mühsal und mannigfacher Wechsel; 
Mißtrauen im Volke, Mißfallen des Königs, 
innere Uneinigkeit können ein Ministerium stür- 
zen, ohne daß von einer peinlichen Anklage des- 
selben und seiner Verurteilung die Rede ist.“
	        
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