Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

76 Die Gesetzgebung. (8. 117.) 
mentarische“ Verantwortlichkeit wird die den Ministern obliegende Pflicht, in den 
Sitzungen der Volksvertretung zu erscheinen und derselben die nötigen Auskünfte und 
Aufschlüsse zu erteilen 1, bezeichnet 2, während darunter andererseits die Verantwortlichkeit 
der Minister für Regierungsakte, welche keine Verfassungsverletzung enthalten, verstanden 
wird.3 In ganz verschiedenem Sinne wird die Bezeichnung „politische“ Verantwort- 
lichkeit gebraucht, indem darunter entweder die Verantwortlichkeit für politische Fehler 
der Minister verstanden wird 3, oder der Ausdruck in dem bereits oben erwähnten Sinne von 
„parlamentarischer“ Verantwortlichkeit genommen?, oder darunter die Verantwortlichkeit 
der Minister gegenüber dem Herrscher 5 oder gar überhaupt die allgemeine Pflicht der- 
selben, vom Amte zurückzutreten, sobald sich ein unlösbarer Gegensatz zwischen ihren An- 
schauungen und denjenigen der Volksvertretung ergibt, verstanden wird." Dagegen wird 
die Bezeichnung „rechtliche" Verantwortlichkeit immer auf diejenigen Fälle angewandt, 
wo eine Anklage der Minister seitens der Volksvertretung statthaft ist; es werden aber diese 
Fälle selbst sehr verschieden bestimmt, indem man darunter bald Verfassungs= und Ge- 
setzesverletzungen 38, bald Pflichtverletzungen überhaupt? begreift. Gleichbedeutend mit 
„juristischer“ Verantwortlichkeit werden bisweilen auch die Ausdrücke „konstitutionelle“ 10 
sowie „besondere"“ 11 oder „staatsrechtliche“ 12 Verantwortlichkeit gebraucht. 13 Die 
„moralische“ Verantwortlichkeit vor der öffentlichen Meinung, deren Wirksamkeit haupt- 
sächlich durch den Grad der politischen Freiheit und den politischen Sinn eines Volkes 
bedingt ist, steht aber an sich nicht in Beziehung zu der ministeriellen Stellung, sondern 
das Urteil dieses Gerichtshofes trifft und erreicht jeden im Staate. Dagegen ist die 
„parlamentarische“ Verantwortlichkeit, nämlich die Pflicht der Minister, der Volks- 
vertretung zu jeder Zeit Rede zu stehen, ihre Maßregeln und Handlungen 
vor derselben zu vertreten, schon an sich von hoher Bedeutung für das Staatsleben, 
weil im Verfassungsstaate Regierung und Volksvertretung ihre Staatsaufgaben nur ge- 
meinschaftlich durch ununterbrochene organische Wechselwirkung erfüllen können. Dieselbe 
erhält jedoch ihre Bedeutung und damit ihren eigentlichen Wert erst als „echtliche“ 
Verantwortlichkeit.!“ Die rechtliche Verantwortlichkeit aber, um die es sich hier handelt, 
ist nicht diejenige des Zivil= oder Strafrechtes, sondern nur diejenige des Staatsrechtes. 
Wenn die Minister dem Staate oder einzelnen Bürgern desselben durch Amtshandlungen 
oder Unterlassungen, welche zivilrechtlich widerrechtlich sind, Schaden zugefügt haben, 
so versteht sich von selbst, daß an und für sich nichts entgegensteht, sie deshalb gleich 
anderen Beamten mit privatrechtlichen Klagen vor Gericht zu belangen 15;#ebensowenig kann 
darüber ein Zweifel obwalten, daß sie wegen gemeiner Verbrechen oder Vergehen, sowie 
wegen besonderer Amtsverbrechen denselben allgemeinen strafrechtlichen Vorschriften unter- 
  
1 Art. 60, Abs. 2 der Verf. Urk. Vgl. Waitz, Grundzüge der Politik, S. 52. 
2 Vgl. Kerkhove, a. a. O., S. 33; v. Mohl, 10 Vgl. John in v. Holtzendorffs Allgem. D. 
Die Ministerverantwortlichkeit, S. 6. Strafrechtsztg. 1863, S. 553. 
* Vgl. Campe, Die Lehre von den Lande 1 Vgl. Buddeus, Die Verantwortlichkeit der 
ä— 3 stem des Verfassungsrechts, Minister, S. 22. 
Vgl. He System des Verfassungsre 12 S 3. 
Bd. I, S. 315 ff.; Waitz, Grundzüge der Politik, Bd. Wt= Jacharich, D. St. u. B. N. 3. Aufl. 
S. 52; Bluntschli, Allgem. St. R., Bd. II, 13 Ral 9“- „: : ,«-- 
S. 160; Bischof, Ministerverantwortlichkeit, in Vgl. über die Unbestimmtheit der Termino- 
  
. »« - logie in den theoretischen Darstellungen der Lehre 
kindee krch. S U# e S 106; v. Ger— von der Minifterverantwortlichkeit und über die 
ten Grundzüge, S. 193 ff.; Za chariä, St. hieraus hervorgehenden nachteiligen Einflüsse auf 
die Entwicklung des Instituts die lichtvolle Er- 
örterung von Samuely in der Schrift: „Das 
tutionelle Verfassungsrecht, S. 103. grinza der itisterpe antwortlichteit Kap. 1 
* Vgl. v. Stein, Verwaltungslehre, Tl. 1, elr il), 
S. 96. 4 Vgl. Samuely, a. a. O., S. 5; G. Meyer- 
* Vgl. Bluntschl i, Allgem. St. N., Bd. II, Anschütz, §. 184, über die urrschiedenen Theorien 
S. 160; v. Kaltenborn, Einl. in das konsti= vom Begriff der Ministerverantwortlichkeit, bef. 
tutionelle Verfassungsrecht, S. 103; Bischof, Note 15, 19 u. 20. 
Ministerverantwortlichkeit (in Lindes Arch. f. d. 15 Vgl. über die Bedingungen, unter welchen 
öfftl. R. des D. B., Bd. III, S. 15); v. Steins eine solche Verfolgung zulässig ist, Bd. I, § 46: 
Verwaltungslehre, Bd. I, S. 93. Von der Verantwortlichkeit der Staatsbeamten. 
B. R., 3. Aufl., Bd. I, S. 311. 
6 Vgl. v. Kaltenborn, Einl. in das konsti- 
 
	        
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