78
Die Gesetzgebung.
G. 117.)
Gerichtshof der Monarchie 1 in vereinigten Senaten entscheidet“. Dieser Gerichtshof ist
durch die deutsche Gerichtsverfassung aufgehoben; das deutsche Reichsgericht ist für
preußische Ministeranklagen nicht als zuständig erklärt; somit fehlt auch nach dieser
Richtung dem Art. 61 der Verfassungsurkunde zurzeit die Möglichkeit der Ausführung.?
IV. Die verfassungsmäßige Verantwortlichkeit der Minister erfordert auch, daß in
dieser Beziehung die Ausübung des Begnadigungsrechtes der Krone ausgeschlossen
oder doch wesentlich eingeschränkt wird.“
Deshalb bestimmt die Verfassungsurkunde
(Art. 49), daß der König das Recht der Begnadigung und Strafmilderung zugunsten
eines wegen seiner Amtshandlungen verurteilten Ministers nur auf Antrag derjenigen
Kammer ausüben darf, von welcher die Anklage ausgegangen ist."
werden. Uber die Begriffsbestimmungen von:
„Verfassungsverletzung“, „Bestechung“ und „Ver-
rat“ vgl. die §§. 1—3 des Entw. eines Minister-
verantwortlichkeitsgesetzes und den Bericht der
Kommission der 2. Kammer darüber in den Ste-
nogr. Ber. der 2. K. 1850—51, Bd. III, S. 187 ff.,
wo insbes. der Begriff der Verfassungsverletzung
dahin definiert wird, daß eine solche von einem
Minister begangen werde durch jede der Verfas-
sung zuwiderlaufende Handlung oder Unterlas-
sung, deren Verfassungswidrigkeit dem Schuldi-
gen bekannt war oder nicht ohne sein grobes
Verschulden entgehen konnte. Vgl. hierüber auch
Zachariä, D. St. u. B. R., 3. Aufl., Bd. I,
S. 313—315, und Zöpfl, Grundsätze des gem.
D. St. N., 5. Aufl., Bd. II, S. 425 ff. Selbstver-
Verf. Urk. die Bestimmungen des R. Str. G. B.
über Hoch= und Landesverrat (8§. 80—93) und
Bestechung (§§. 331—332) in Kraft und können
jederzeit auf Minister Anwendung finden; vogl.
Schwartz, Verf. Urk., S. 193.
1 Nach §. 33 des von der Staatsregierung
vorgelegten Verfassungsentwurfs v. 20. Mai 1848
sollte das Anklagerecht nur der 2. Kammer zu-
stehen und die 1. Kammer den Staatsgerichtshof
zur Entscheidung über solche Anklagen bilden.
Der Art. 54 des Entwurfs der Verfassungskom-
mission der Nationalversammlung dagegen, wel-
cher jeder der beiden Kammern für sich das Recht
der Anklage beilegte, übertrug die Entscheidung
über solche Anklagen dem obersten Gerichtshofe
der Monarchie, indem er in den Motiven hierzu
bemerkte: „Als erkennendes Gericht mußte der
höchste Gerichtshof der Monarchie mit Ausschluß
der 1. Kammer um so mehr bezeichnet werden, da
diese letztere ebenfalls aus der Volkswahl her-
vorgeht und darum in derselben Weise, wie die
2. Kammer, das Recht der Ministeranklage aus-
zuüben befugt ist.“ Dabei hat es der Art. 59
der oktr. Verf. Urk. v. 5. Dez. 1848 belassen,
aus welchem die Bestimmung unverändert in den
Art. 61 der revid. Verf. Urk. übergegangen ist.
2 Der Art. 61 der Verf. Urk. fügt noch hin-
zu: „Solange noch zwei oberste Gerichtshöfe be-
stehen, treten dieselben zu obigem Zwecke zusam-
men.“ Diese vorübergehende Bestimmung hat
ihre Erledigung gefunden. Denn die Vorschrift
des Art. 92 der Verf. Urk., daß in Preußen nur
Ein oberster Gerichtshof bestehen soll, und die
darauf bezügliche, in Art. 116 unter den Über-
gangsbestimmungen befindliche Vorschrift, daß die
noch bestehenden beiden obersten Gerichtshöfe zu
einem einzigen vereinigt werden sollen, sind durch
das Ges. v. 17. März 1852 zur Ausführung ge-
langt, welches die Vereinigung des Obertribunals
und des Rheinischen Revisions= und Kassations-
hofes zu Einem obersten Gerichtshofe für die
ganze Monarchie, welcher die Benennung: „Ober-
tribunal“ führt, ausgesprochen hat. Nachdem in-
des durch den §. 12 des Ausführungsgesetzes v.
24. April 1878 zum Deutschen Gerichtsverfassungs-
gesetze (G. S. 1878, S. 232) das Obertribunal
(mit dem 1. Okt. 1879) aufgehoben worden ist,
fehlt es gänzlich an einer Bestimmung über die
zur Entscheidung über Ministeranklagen zustän-
dige Instanz. Vgl. auch Schwartz, Verf. Urk.,
S. 192.
8 Die Verzichtleistung des Königs auf das Be-
gunadigungsrecht in diesem Falle erfolgte in Eng-
ständlich stehen unberührt von Art. 61 der preuß.
land durch die Akte, welche das Haus Braun-
schweig auf den Thron berief (act of settlement
1701), weil die Erfahrung gezeigt hatte, daß
sonst jede Ministeranklage und Verurteilung durch
Abolition oder Begnadigung wirkungslos gemacht
werden könne. Der Prozeß Lord Danbys (1678),
der die Begnadigung des Königs eventuell im
voraus erhalten hatte, hatte die Notwendigkeit
dieser Bestimmung gezeigt (ogl. Dahlmanns
Politik, S. 107). Die meisten deutschen Verf.
Urk. enthalten gleichfalls Vorschriften, welche das
Begnadigungs= und Abolitionsrecht des Souve-
räus in dieser Beziehung ausschließen oder wesent-
lich beschränken (vgl. darüber Zöpfl, Grunds.
des gem. D. St. R., 5. Aufl., Bd. II, S. 436 ff.).
4 Die im Terxte mitgeteilten Bestimmungen
des Art. 49 der Verf. Urk. ergeben, daß dem
Könige zwar das Recht der Begnadigung und
Strafmilderung bezüglich der wegen ihrer Amts-
handlungen verurteilten Minister nicht gänzlich
entzogen, daß er indes in der Ausübung dieses
Rechtes dergestalt beschränkt ist, daß er davon
nur auf Antrag derjenigen Kammer, von welcher
die Anklage ausgegangen ist, Gebrauch machen
darf. Diese Bestimmungen des Art. 49 sprechen
indes nur von dem Recht der Begnadigung und
Strafmilderung nach rechtskräftiger Ver-
urteilung (dem eigentlichen Begnadigungs-
und Milderungsrechte), nicht aber von dem Rechte
der Niederschlagung eines strafrechtlichen Ver-
fahrens vor dem Strafurteile (abolitio). Ob-
gleich nun der dritte Satz des Art. 49 festsetzt,
daß der König bereits eingeleitete Unter-
suchungen nur auf Grund eines besonderen Ge-
setzes (also mit Zustimmung der Kammern) nie-
derschlagen darf, so besteht doch keine Vorschrift,
welche dem Könige verbietet, das Abolitions-
recht vor Einleitung einer Untersuchung