Die besonderen Garantien der Verfassung.
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V. Obgleich nach den vorstehenden Erörterungen die Verfassungsurkunde den Grund-
satz der Ministerverantwortlichkeit im Prinzip anerkennt und auch die verfassungsmäßigen
Grundlagen für ein Gesetz über die Ministerverantwortlichkeit feststellt, ist doch ein solches
Gesetz bis jetzt nicht zustande gekommen.
Da aber der Schlußsatz des Art. 61 der
Verfassungsurkunde ausdrücklich ausspricht, „daß die näheren Bestimmungen über die
Fälle der Verantwortlichkeit, über das Verfahren und über die Strafen einem besonderen
Gesetze vorbehalten werden“, so kann nicht in Zweifel gezogen werden, daß es eine durch
die Verfassung gestellte Aufgabe der gesetzgebenden Faktoren sein sollte, das Zustande-
kommen des vorbehaltenen Gesetzes herbeizuführen, wie andererseits nicht in Abrede ge-
stellt werden kann, daß bis zum Erlaß dieses Gesetzes tatsächlich keine Möglichkeit vor-
handen ist, die Minister im Wege einer Anklage seitens der Kammern zur Verant-
wortung zu ziehen. 1
Die Staatsregierung hat auch sowohl kurz vor Erlaß der
einseitig auszuüben.
muß mithin dahin ausgelegt werden, daß auch
in bezug auf Minister, welche eine Verfassungs-
verletzung oder eine andere strafbare Handlung
begangen haben, dem Könige zwar nach der
Verurteilung nicht einseitig das Begnadigungs-
und Strafmilderungsrecht, und nach Einlei-
tung der Untersuchung nicht einseitig das
Niederschlagungsrecht, wohl aber vor Einlei-
tung der Untersuchung (Art. 61) das Abo-
litionsrecht zusteht. Daß eine solche Aus-
legung geeignet ist, das Anklagerecht der Volks-
vertretung (Art. 61) illusorisch zu machen, leuchtet
von selbst ein; es ist mithin die gewählte Fas-
sung des Art. 49 jedenfalls mangelhaft. Dies
hat auch der Zentralaussch. der 1. K. richtig er-
kannt, indem er bei der Revision des Art. 49
beantragte, den dritten Satz desselben dahin zu
fassen: „Die Abolition von Verbrechen, die noch
nicht zur richterlichen Kognition gekommen sind,
sowie die Niederschlagung bereits eingeleiteter
Untersuchungen, kann nur auf Grund eines be-
sonderen Gesetzes erfolgen“, ein Vorschlag, der
indes vom Plenum der 1. Kammer abgelehnt
wurde (vgl. Stenogr. Ber. der 1. K. 1849—50,
S. 1217 ff. u. 1221). Vgl. auch Heimberger,
Das landesherrliche Abolitionsrecht, 1901.
1 Dieser Ansicht ist auch der Verfasser des
Aufsatzes in Aegidis Zeitschr. f. D. St. R., Bd. 1,
S. 182. Dagegen ist von anderer Seite die
Meinung ausgesprochen und zu begründen ge-
sucht worden, daß eine Ministeranklage auch ohne
das in Abs. 2 des Art. 61 der Verf. Urk. vor-
gesehene Spezialgesetz wegen der in Abs. 1 dieses
Art. ausgezeichneten drei Verbrechen durchgeführt
werden könne. Koch (Komment. zum A. L. R.,
6. Ausg., Bd. IV, S. 696, Anm. 51, zum Art. 61
der Verf. Urk.) führt nämlich aus, „daß es an
keiner wesentlichen Bestimmung für die Führung
eines solchen Anklageprozesses fehle. Die wesent-
lichen Stücke dazu seien: eine Strafbestimmung,
eine Anklage und ein geordnetes Verfahren. Die
Strafe könne nach den Bestimmungen des all-
gemeinen Strafrechts abgemessen werden; denn
die drei in Art. 61 aufgeführten Verbrechen seien
zugleich auch Amtsverbrechen bzw. Staatsver-
brechen. Amtsverbrechen seien das Verbrechen
der Verfassungsverletzung und der Bestechung,
und ein Staatsverbrechen sei der Verrat. Die
Anklage steht jedem Hause des Landtages zu,
welches durch seinen Beschluß die Minister an-
eklagen, d. h. als Anklagesenat die Minister in
Die Fassung des Art. 49.
Anklagestand versetzen, und um sich dazu durch
Herbeischaffung der erforderlichen Vorlagen in
den Stand zu setzen, in Gemäßheit des Art. 82
der Verf. Urk. die Voruntersuchung durch eine
Kommission führen lassen könne. Der gefaßte
Beschluß, wenn er auf Anklage laute, wäre mit
den Untersuchungsakten an den bereits bestimm-
ten Gerichtshof abzugeben. Der Mangel näherer
Bestimmungen über das Verfahren hindere gar
nicht, vorzugehen. Alle geschriebenen Prozeßord-
nungen seien erst entstanden, nachdem die Pro-
zeßregeln durch die Gerichtspraxis schon lange
vorher festgestellt worden und in Übung gewesen
seien; der Inhalt der von der Gesetzgebung
ausgegangenen Prozeßordnungen habe sogar im
wesentlichen aus diesen schon lange vorher in
Geltung gewesenen Regeln bestanden. Es könne
keine Schwierigkeit haben, das Verfahren vor
den Strafabteilungen der Gerichte auf das in
Rede stehende Spezialverfahren analogisch anzu-
wenden, wenn man den ernsten Willen habe,
das Verbrechen nicht ungestraft zu lassen.“ — In
ähnlicher Weise hat sich der Abgeordnete Gneist
geäußert. Er führt aus: „Das Recht der Mi-
nisteranklage und der Gerichtshof für die Mi-
nisteranklage ständen durch den Art. 61 der Verf.
Urk. fest, und ebenso auch die gesetzlichen Straf-
bestimmungen und das Strafverfahren,
weil für die Minister dieselben allgemeinen Straf-
bestimmungen über Verletzung der Amtspflicht
und dieselben Grundsätze des Kriminalverfahrens
gälten, wie für andere Beamte des Staates, so
lange, bis ein Ausnahmegesetz aus besonderen
Gründen für sie etwas Abweichendes bestimme.
Dagegen bestehe allerdings die Lücke des Man-
gels des öffentlichen Organs für die
Anklage; denn nach den jetzigen Formen des
Landesprozesses könne ein Minister nicht selbst
den Staatsanwalt bestellen, der ihn wegen Ver-
letzung seiner Amtspflicht zur Rechenschaft ziehe;
es sei jedoch die Pflicht des Landesherrn, auf
Antrag der Kammer, welche die Anklage be-
schließe, diese formelle Lücke, welche der Ver-
folgung eines anerkannten Rechts entgegenstehe,
durch Bestellung der Organe auszufüllen, und
der Weg hierzu sei die Erlassung einer Adresse
an die Krone zur Bestellung eines Staatsanwalts
behufs Verfolgung der Minister wegen Verletzung
ihrer Amtspflicht vor den vereinigten Senaten
des Obertribunals.“ (Stenogr. Ber. des A. H.
1865, Bd. III, S. 2065.) — Diesen Ausfüh-
rungen steht indes entgegen, daß der Abs. 2 des