Die besonderen Garantien der Verfassung. (8. 117.) 83
Reichsverfassung bestätigt und wahrt also auch für das Reich den allgemeinen Grund—
satz des konstitutionell-monarchischen Staatsrechtes, daß der Inhaber der Krone für alle
Regierungshandlungen persönlich unverantwortlich sei, daß aber seine Ratgeber dafür
verantwortlich sind, und überträgt diesen Grundsatz auf den Kaiser. Die hiernach reichs-
rechtlich angeordnete Verantwortlichkeit des Reichskanzlers ist indes tatsächlich nur eine
politische, indem es in Ermangelung näherer gesetzlicher Feststellung an jedem Mittel
fehlt, die rechtliche Verantwortlichkeit des Reichskanzlers geltend zu machen. Die Frage
der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers gehört überdies nicht dem preußischen Staats-
rechte an, sondern demjenigen des Deutschen Reiches. Für das preußische Staatsrecht
kommt jedoch in Betracht, ob und inwiefern eine Verantwortlichkeit der preußischen
Landesminister in Beziehung auf das Verhältnis derselben und des preußischen
Staates zum Deutschen Reiche anzunehmen ist.
Die Bevollmächtigten zum Bundesrate werden von den Mitgliedern des Bundes,
also von den Staatsoberhäuptern der Einzelstaaten ernannt und von diesen mit In-
struktionen versehen. Dies Verhältnis der Bevollmächtigten zu den Regierungen ist
zwar nicht ausdrücklich in der Reichsverfassung ausgesprochen, allein es kann nicht
zweifelhaft sein, daß nur die Regierungen im Bundesrate vertreten sind. Die Regie-
rungen der Einzelstaaten sind bei der ihnen ohne jede Mitwirkung der Landesvertretungen
zustehenden Ernennung ihrer Bevollmächtigten beim Bundesrate an keine Bedingungen
gebunden, vielmehr kann jede Regierung diejenigen Personen mit ihrer Vollmacht betrauen,
welche sie hierzu für geeignet erachtet. Ebenso steht es grundsätzlich in dem Ermessen
der Regierungen, welche Instruktionen sie ihren Bevollmächtigten zu erteilen für zweck-
mäßig erachten. Die Bevollmächtigten aber sind verpflichtet, lediglich nach den ihnen
von ihren Regierungen erteilten Instruktionen zu handeln; sie machen sich dienstlich ver-
antwortlich, wenn sie diese nicht befolgen oder überschreiten; daher können sie auch keiner
anderen Verantwortlichkeit unterliegen, als gegenüber der Regierung, von welcher sie be-
vollmächtigt sind. Die Regierung ist mithin für das von ihr vorgeschriebene Verhalten
ihrer Bevollmächtigten im Bundesrate verantwortlich, und zwar trifft nach den Grund-
sätzen des konstitutionellen Staatsrechtes diese Verantwortlichkeit nicht den Inhaber der
Regierungsgewalt persönlich, sondern die von ihm ernannten verantwortlichen Minister,
welche die Instruktion erteilt, bzw. durch ihre Gegenzeichnung die Verantwortlichkeit da-
für übernommen haben. Die Reichsverfassung selbst enthält hierüber keine Vorschrift
und konnte eine solche auch nicht aufnehmen, weil es keinem Zweifel unterliegt, daß das
Reich in seinem Verhältnisse zu den Einzelstaaten es in allen Fällen lediglich mit deren
anerkannten und gesetzlichen Regierungen zu tun hat, und daß die von diesen ordnungs-
mäßig im Bundesrate abgegebene Stimme ohne weiteres den Staat verpflichtet, welchen
die Regierung repräsentiert. Nach Reichsrecht ist also das von den Mitgliedern des
Bundesrates abgegebene Votum das allein Entscheidende, und für das Reich liegt keine
Veranlassung vor, die Frage der Zweckmäßigkeit oder der landesgesetzlichen Statthaftigkeit
der erteilten Instruktion zu seiner Kognition zu ziehen. Für das Reich bleibt jeder ver-
fassungsmäßig zustande gekommene Beschluß des Bundesrates unbedingt rechtsgültig, wenn-
gleich die den Bevollmächtigten beim Bundesrate erteilte Instruktion überschritten sein
oder ihre Zweckmäßigkeit oder landesgesetzliche Zulässigkeit angefochten werden sollte. Die
Verfassungen der Einzelstaaten aber konnten die Frage gleichfalls nicht vorsehen, weil zur
Zeit ihres Zustandekommens das Deutsche Reich noch nicht bestand. Dessenungeachtet
kann aber prinzipiell nicht in Abrede gestellt werden, daß eine Verantwortlichkeit der
Minister der Einzelstaaten gegenüber der Volksvertretung ihres Staates für die von
ihnen den Bevollmächtigten ihres Staates beim Bundesrate erteilten Instruktionen besteht.
Der Bundesrat bildet einerseits einen gesetzgebenden Faktor des Reiches, andererseits hat
er mitzuwirken bei der Ausführung der Reichsgesetze, wie er denn überhaupt formal-
juristisch das oberste Regierungsorgan des Reiches ist. In allen diesen Beziehungen ist
der Bundesrat völlig unabhängig von der Mitwirkung irgendeiner Landesvertretung;
er ist lediglich ein von den Regierungen der Einzelstaaten bestelltes Organ. Sowenig
der Reichstag bei der Ausübung seiner legislatorischen Befugnisse an die Beschlüsse irgend-
einer Landesvertretung gebunden sein kann, ebensowenig kann hiervon die Rede sein bei
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