Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Dritter Band. Erste Abteilung. (3_1)

84 Die Gesetzgebung. (§. 117.) 
dem Bundesrate als dem anderen Faktor der Reichsgesetzgebung. Die gesetzgebende Ge- 
walt des Reiches ist innerhalb der Zuständigkeit des Reiches selbständig; die legislato- 
rischen Befugnisse der Einzellandtage sind insoweit auf den Reichstag, diejenigen der 
Regierungen auf den Bundesrat übertragen worden (Art. 2 und 5 der Reichsverf.). 
Was speziell die Tätigkeit des Bundesrates bezüglich der Regierungsmaßregeln in Reichs- 
angelegenheiten betrifft, so ist der Bundesrat als solcher hierfür ebenso selbständig und 
in keiner Weise den Regierungen der Einzelstaaten oder den Einzellandtagen verant- 
wortlich. Die Einzellandtage stehen in gar keiner Beziehung zum Bundesrat, die 
Reichsverfassung hat ihnen nicht die Kompetenz beigelegt, darüber zu entscheiden, ob einer 
der Träger der Reichsgewalt, insbesondere also der Bundesrat, die Reichsverfassung oder 
die Reichsgesetze beobachtet oder verletzt hat. 
Wenn aber auch hiernach — insbesondere im preußischen Staate — von einer 
Verantwortlichkeit der einzelnen Mitglieder des Bundesrates gegenüber ihren Landtagen nicht 
die Rede sein kann, so liegt doch die Frage anders bezüglich der den Bevollmäch- 
tigten zum Bundesrat erteilten Instruktionen. Diese Instruktionen sind Regierungs- 
handlungen. Insoweit eine Verantwortlichkeit für Regierungshandlungen nach dem Ver- 
fassungsrecht der Einzelstaaten besteht, besteht sie auch hier. Für die den preußi- 
schen Bevollmächtigten zum Bundesrat erteilten Instruktionen gilt somit 
die nach obiger Darlegung verfassungsmäßig in Preußen bestehende Mi- 
nisterverantwortlichkeit in vollem Umfange und es widerspricht mit nichten 
den Grundlagen des Reichsstaatsrechtes, daß Minister der Einzelstaaten 
für die von ihnen gegengezeichneten Instruktionen vor und von ihren Einzel- 
landtagen zur Verantwortung gezogen werden. 
heiten in den Einzellandtagen verhandelt werden, 
und da die Bevollmächtigten zum Bundesrat reichs- 
Reiches als eines Bundesstaates!, 
Daß insoweit Reichsangelegen- 
entspricht lediglich dem Charakter des. 
  
1 Der Reichskanzler Fürst Bismarck bemerkte 
im konstit. Reichstage in der Sitz. v. 27. März 
1867, „daß die Verantwortlichkeit der preuß. Mi- 
nisterien genau dieselbe bleibe, wie vorher“ und 
„daß es nicht denkbar sei, daß in wichtigen An- 
gelegenheiten, z. B. bei neuen Gesetzen, die Stimme 
im Bundesrate abgegeben werde, ohne die übrigen 
in Preußen verantwortlichen Ressortchefs zu fra- 
gen“ (Stenogr. Ber. des konstit. Reichstages 1867, 
Bd. 1I, S. 393); er erklärte ferner: „Es liegt 
zweifellos auf der Hand, daß in dem verfassungs- 
mäßigen Maße von Ministerverantwortlichkeit, 
dessen sich die gesamten Bundesstaaten erfreuen, 
nichts geändert wird, indem jede Regierung eines 
Einzelstaates verantwortlich bleibt für die Art, 
wie ihre Stimme im Bundesrate abgegeben wird“ 
(a. a. O., S. 397). — In der Sitz. des ersten 
gesetzgebenden Nordd. Reichstages vom 28. Sept. 
1867 hatte der Reichstagsabgeordn. Lasker aus- 
geführt, „daß für die Abstimmungen der Bundes- 
ratsbevollmächtigten die Minister der Einzel- 
staaten, welche die Instruktionen erteilt haben, 
nerantworh seien“ (Stenogr. Ber. 1867, V. Ses- 
sion, Bd. I, S. 134); hierauf erklärte der Reichs- 
kanzler: „Die Verantwortlichkeit in Bundessachen 
hat einen Januskopf, aber mir scheint es sehr 
wohl denkbar, daß ebenso, wie z. B. die Verant- 
wortung in rein preußischen Sachen eine acht- 
fache (der acht Minister) ist, für Bundessachen 
eine zweifache sein kann, einmal dem Reichstage 
gegenüber die vom Bundeskanzler getragene, und 
zweitens dem preuß. Landtage, bzw. dem sächs., 
gegenüber die von dem betr. Ressortminister ge- 
tragene“ (a. a. O., S. 137). Eine ähnliche Er- 
klärung hat der Reichskanzler auch im preuß. 
  
A. H. in der Sitz. v. 15. Jan. 1872 (Stenogr. 
Ber. 1872, Bd. I, S. 368) dahin abgegeben: 
„Ich bin weit entfernt, der Theorie anzuhängen, 
daß in irgendeinem Falle die Abstimmung eines 
Mitgliedes des Bundesrates, um juristische Gül- 
tigkeit für die Reichsgesetzggebung zu haben, der 
Zustimmung eines Partikularlandtages bedürfen 
könnte; aber das ist außer Zweifel, daß jede 
Regierung sehr wohl tut, sich in der Lage zu 
halten, daß sie ihrer eigenen Landesvertretung 
mit Erfolg Rechenschaft ablegen kann über die 
Politik, die sie am Reiche befolgt.“ — Die An- 
sicht, daß eine Verantwortlichkeit der preuß. Mi- 
nister gegenüber dem preuß. Landtage für das- 
jenige, was sie auf Grund der Reichsverfassung 
und innerhalb des Reiches tun, auf Grund der 
preuß. Verfassung bestehen bleibe, hat auch der 
Abgeordn. Twesten (als Berichterstatter über die 
Nordd. Bundesverf.) in der Sitz. des preuß. A. H. 
v. 6. Mai 1867 (Stenogr. Ber. 1867, S. 29), 
und zwar unter Bezugnahme auf die vorerwähn- 
ten, in der Sitz. des Reichstages v. 27. März 
1867 abgegebenen Erklärungen des Reichskanzlers, 
ausgeführt. — Vgl. über die Frage: R. v. Mohl, 
D. R. St. R., S. 277, Note 1, welcher gleich- 
dien eine Verantwortlichkeit der Landesminister 
gegenüber ihrer Landesvertretung für die ihren 
Bundesratsbevollmächtigten erteilten Instruktio- 
nen, und zwar eine rechtliche annimmt; ferner 
Grotefend, D. St. R. der Gegenwart, welcher 
gleichfalls die Minister der Einzelstaaten für den 
Inhalt der Instruktion der Bundesratsbevollmäch-- 
tigten, und zwar nach Maßgabe der verfassungs- 
gesetzlichen Grundsätze ihres Staates, ihrer Lan- 
desvertretung gegenüber für verantwortlich er-
	        
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