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Die Gesetzgebung.
G. 117.)
indes zwei Abstimmungen darüber stattfinden müssen, zwischen welchen ein Zeit-
raum von wenigstens einundzwanzig Tagen liegen muß.
Die Verfassungs-
urkunde bestimmt hierbei zwar nicht ausdrücklich, daß der in Art. 107 vorgeschriebenen
zweiten Abstimmung über Verfassungsänderungen eine nochmalige Diskussion voran-
gehen könne; allein da die Verfassungsurkunde eine solche wiederholte Erörterung nicht
1 Der von der Staatsregierung vorgelegte Ver-
fassungsentwurf v. 20. Mai 1848, §. 76 verlangte
zu Verfassungsabänderungen in jeder Kammer eine
Stimmenmehrheit von wenigstens zwei Dritteilen
und daß an der Beschlußnahme wenigstens die
Hälfte der Mitglieder der Kammer teilgenommen
habe. Damit war auch die Verf. Komm. der
Nat. Vers. (Entw. Art. 104) einverstanden. Da-
gegen bestimmte die oktroy. Verf. Urk. v. 5. Dez.
1848, Art. 106, daß die Verfassung auf dem
ordentlichen Wege der Gesetzgebung abgeändert
werden könne, wobei in jeder Kammer die ge-
wöhnliche absolute Stimmenmehrheit genügen
sollte. Diese Bestimmung stand in Verbindung
mit der des Art. 112, welcher vorschrieb, daß die
oktroy. Verfassung sofort nach dem ersten Zu-
sammentritte der Kammern einer Revision auf
dem Wege der Gesetzgebung unterworfen werden
solle. Bei der Revision war demnächst die Rev.
Komm. der 2. K. der Ansicht, daß für künftige
Anderungen erschwerende Formen vorgeschrieben
werden müßten. Unter mehrfachen Vorschlägen,
welche in dieser Beziehung gemacht waren, er-
klärte sich die Rev. Komm. dafür, daß wenigstens
zwei Dritteile der anwesenden Mitglieder in jeder
Kammer die Anderung beschließen und wenigstens
zwei Dritteile der Mitglieder jeder Kammer an
dem Beschlusse teilnehmen müßten, und daß,
wenn eine solche Stimmenmehrheit nicht erreicht
werden sollte, beide Kammern aufzulösen, dann
aber in den neu einzuberufenden Kammern die
gewöhnliche absolute Stimmenmehrheit genügen
solle, um die Verfassung auf dem ordentlichen
Wege der Gesetzgebung ändern zu können. Denn
wenn desfalls ein besonderer Appell an das Land
ergangen sei, müsse einfache Stimmenmehrheit
genügen, weil dann kein Grund zu der Besorgnis
vorliege, die Verfassung könne übereilt geändert
werden; wogegen für alle anderen Fälle durch das
Verlangen einer erhöhten Majorität ein Schutz
gegen das allzu häufige Rütteln an der Verfassung
gegeben werden müsse. Das Plenum trat dem
mit der Modifikation bei, daß nur eine Stimmen-
mehrheit von zwei Dritteilen der anwesenden
Mitglieder, welche zugleich mehr als die Hälfte
der gesetzlichen Gesamtzahl der Mitglieder aus-
macht, erforderlich sein solle, um die Verfassung
auf dem Wege der Gesetzgebung zu ändern, in-
dem zugleich der weitere, für den Fall, daß eine
solche Stimmenmehrheit nicht erreicht werden
sollte, von der Rev. Komm. gemachte Vorschlag
genehmigt wurde. Die 1. K. beschloß indes die
gegenwärtige Fassung des Art. 107, weil, wie
der Bericht des Zentralausschusses ausführt, die
Verfassung zwar vor übereilter Abänderung sicher
zu stellen, gleichzeitig aber, aus Rücksicht auf die
bestehenden Zustände und weil das konstitutionelle
System noch der weiteren Ausbildung auf Grund
der Erfahrung entgegensehe, bildungsfähig hin-
zustellen sei.
In dieser Beziehung sei aber das!
von der 2. K. aufgestellte System zu kompliziert
und es stehe zu besorgen, daß danach durch die
Parteistellung in den Kammern ein Mittel ge-
wonnen werden könnte, jede Verfassungsänderung
durch eine Minorität aufs äußerste zu erschweren,
ja unter Umständen unmöglich zu machen. Die
2. K. trat dann diesem Beschlusse bei (vgl. v. Rönne,
Verf. Urk., Art. 107, S. 208—210).
In der Sitz. Per. v. 1855—56 sind in beiden
Häusern der Volksvertretung Anträge auf Ab-
änderung der in Art. 107 der Verf. Urk. vorge-
schriebenen Frist von 21 Tagen, welche zwischen
den beiden Abstimmungen liegen muß, gestellt
worden, nämlich im H. H. von den Mitgliedern
v. Daniels u. v. Buddenbrock (Drucks. Nr. 20)
und im Hause der Abg. von dem Abg. v. Gräve-
nitz (Drucks. Nr. 39) auf Feststellung einer Frist
von 7 Tagen. Die Komm. des Haufes der Abg.
empfahl in ihrem Ber. v. 28. Jan. 1856 (Drucks.
Nr. 27) die Annahme dieses Antrages; die Komm.
des H. H. beantragte in ihrem Ber. v. 28. Jan.
1856 (Drucks. Nr. 40), die Frist auf 10 Tage
festzusetzen. Diesem letzteren Antrage ist das H. H.
(in den Sitz. v. 1. u. 23. Febr. 1856) beigetreten.
(Stenogr. Ber. des H. H. 1855—56, Bd. I, S. 48
—56 u. S. 95—96); dagegen hat das Haus der
Abg. (in der Sitz. v. 4. Febr. 1856) den Antrag
auf Abänderung des Art. 107 abgelehnt (Stenogr.
Ber. des A. H. 1855—56, Bd. I, S. 291—300).
Schließlich hat dann im Hause der Abg. (in der
Sitz. v. 14. April 1856) aus Veranlassung des
Beschlusses des H. H. v. 1. u. 23. Febr. 1856 auf
Festsetzung von 10 Tagen eine nochmalige Be-
ratung des Gegenstandes stattgefunden. Die
Komm. des A. H. hatte in ihrem Ber. v. 8. März
1856 (Drucks. Nr. 68) beantragt, jenem Beschlusse
des H. H. beizutreten; allein das Plenum des
A. H. beschloß den Übergang zur Tagesordnung
(Stenogr. Ber. des A. H. 1855—56, Bd. III,
S. 1048—52), so daß also der Art. 107 aufrecht-
erhalten blieb. Vgl. die Komm. Ber. über den
Gegenstand in den Stenogr. Ber. des H. H. 1855
—56, Bd. II, S. 23—24, und in den Stenogr.
Ber. des A. H. 1855—56, Bd. IV, S. 53—54,
u. Bd. V, S. 378. In der Sitz. Per. v. 1856
—57 brachte die Staatsregierung den Antrag
ein, den Art. 107 der Verf. Urk. dahin abzu-
ändern, die Frist, welche zwischen den beiden
Abstimmungen über eine Verfassungsänderung
liegen muß, auf 10 Tage herabzusetzen. Dieser
Antrag wurde indes von dem A. H. abermals
abgelehnt (uvgl. den Gesetzentwurf nebst Motiven
in den Drucks. des A. H. 1856—57, Bd. I, Nr. 42,
und in den Stenogr. Ber. dess. 1856—57, Bd. III,
Anl. Nr. 34, S. 101, den Komm. Ber. v. 11. Febr.
1857 in den Drucks. des A. H. 1856—57, Bd. II,
Nr. 87, und in den Stenogr. Ber. dess. Bd. III,
Anl. Nr. 35, S. 104—105, und die Verhandl.
in der Plenarsitz. v. 18. Febr. 1857, in dem
Stenogr. Ber. a. a. O., Bd. I, S. 233—240).