Ortsgemeinden; das geltende Recht. (8. 21.) 93
e) aus wissenschaftlicher oder künstlerischer Betriebsamkeit oder aus anderen oben
nicht genannten Quellen ein Jahreseinkommen von wenigstens 600 Mark beziehen.
Diese Personen sind mit Ausnahme gewisser Beamtenkategorieen sogar zum Er-
werbe des Ortsbürgerrechts verpflichtet, Gewerbetreibende natürlich unbeschadet der Vor-
schrift des §. 13 der Reichsgewerbeordnung. An Nichtgemeindeangehörige werden für
den Erwerb des Ortsbürgerrechts noch weitere Anforderungen gestellt. Von ihnen wird
außer der Erfüllung der oben bezeichneten Voraussetzungen noch verlangt: Unbescholten-
heit, der Nachweis eines den Unterhalt einer Familie sichernden Nahrungszweiges und
der Nachweis des Besitzes eines schuldenfreien für die einzelnen Gemeinden verschieden
hoch festgesetzten Vermögens."“ Auch das in Städten für den Erwerb des Ortsbürger-
rechts zu entrichtende Bürgergeld soll für aufzunehmende Auswärtige höher bemessen
werden als für Gemeindeangehörige.
Der Inhalt des Ortsbürgerrechts besteht in dem Rechte zur Teilnahme an den
Gemeindenutzungen und in der aktiven und passiven Wahlberechtigung. Diese ruht aber
bei denjenigen Ortsbürgern, bei welchen die allgemeinen Voraussetzungen für den Erwerb
des Ortsbürgerrechts weggefallen sind, und bei denjenigen, welche in Lohn und Kost eines
anderen stehen, oder als Gesellen und Tagelöhner“" sich ernähren, oder von Unterstützungen
leben — solange dieses Verhältnis dauert. Besonders weitgehende politische Rechte
kommen unter den Ortsbürgern den „Hochbesteuerten“ zu. Dieses sind in Ge-
meinden von nicht mehr als 100 Ortsbürgern die 25 im letzten Jahre mit direkten
Staatssteuern am höchsten besteuerten Ortsbürger; in Gemeinden mit mehr als 100 Orts-
bürgern treten für je 50 Ortsbürger mehr zu den 25 je weitere 5 Hochbesteuerte hinzu.
Dem Wahl= und Stimmrechte der Ortsbürger entspricht die Verpflichtung derselben,
die Wahl in den Gemeindeausschuß oder in den Gemeinderat anzunehmen und die be-
treffenden Amter die Wahlperiode hindurch zu verwalten. Die Ablehnung der Wahl,
wie die vorzeitige Niederlegung des Amtes darf nur wegen fortdauernder Krankheit oder
längerer Abwesenheit vom Orte erfolgen; die Wahl zum Gemeinderatsmitgliede kann
außerdem noch dann abgelehnt werden, wenn der Gewählte diese Stelle oder eine ihr
an Mühewaltung gleichkommende in Kassel innerhalb der letzten 18, in Hanau, Fulda
und Marburg innerhalb der letzten 9, und in den übrigen Städten innerhalb der letzten
3 Jahre mindestens zwei Jahre hindurch bekleidet hat, oder anzunehmen ist, daß er ohne
erhebliche Beeinträchtigung seines Wohlstandes oder seines für die Allgemeinheit wichtigen
Berufes als Lehrer, Arzt, Apotheker u. s. w. die Pflichten eines Gemeinderatsmitgliedes
nicht werde erfüllen können. Mit einer besonderen Strafe ist die hiernach ungerecht-
fertigte Ablehnung einer Wahl nicht belegt.“
Das Ortsbürgerrecht geht verloren durch Aufnahme in einer anderen Gemeinde;
der Ortsbürger kann es jedoch mit Genehmigung des Gemeinderats als „Ausbürger“
in dem alten Gemeindeverbande beibehalten, wenn er ein jährliches höchstens auf 3 Mark
festzusetzendes Bürgerrekognitionsgeld entrichtet. Die Nichtzahlung dieser Abgabe während
dreier Jahre gilt als Verzicht auf dieses Ausbürgerrecht.7
Das Beisitzerrecht, welches nach der Gemeindeordnung alle Gemeindeangehörigen,
männlichen wie weiblichen Geschlechts, erwerben müssen, die selbständig ein Geschäft
1 G. O., §§. 26 u. 27. Nicht verpflichtet
zum Erwerbe des Ortsbürgerrechtes sind die
im aktiven Dienste stehenden Militärpersonen
an allen Orten, die sonstigen besoldeten Staats-
diener einschließlich der Geistlichen in den Ge-
meinden mit weniger als 3000 Einwohner.
:2 G. O., §. 28, vgl. dazu das kurh. Ges.
v. 6. Aug. 1840 betr. die authentische Inter-
pretation des §. 28 der G. O., welches beson-
ders hervorhebt, daß auch bei Vorhandensein
der weiteren Voraussetzungen des §. 28 Nicht-
gemeindeangehörige kein Recht auf die Auf-
nahme zum Ortsbürger haben. Althaus,
S. 277.
2 G. O., 8. 31.
Übber den Begriff „Tagelöhner“ vgl. O. V.
G., XIX, S. 151.
* Auf 500 Ortsbürger kommen z. B. 65 Hoch-
besteuerte. G. O., §. 322.
* G. O., §s. 47. Zur Übernahme anderer
Stellen in der Gemeindeverwaltung, als der eines
Gemeindeausschuß= oder Gemeinderatsmitgliedes,
verpflichtet die G. O. kurh. im Gegensatz zu den
im vorigen §. besprochenen St. Ordugn. die
Bürger überhaupt nicht. Für die kurh. Land-
gemeinden ist die Verpflichtung zur Ubernahme
von Gemeindeämtern und die Bestrafung un-
begründeter Ablehnung derselben jetzt durch die
Kr. O. bes nass. 88. 36 u. 38, abweichend geregelt.
7 G. O., §. 30.