Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

6 Erster Abschnitt. (8. 1.) 
Noch ein zweites Begriffsmerkmal der Selbstverwaltung ergiebt sich aus der Silbe 
„Selbst-“. Erkennt man einer Persönlichkeit das Recht der Selbst verwaltung zu, so 
liegt darin begrifflich der Gegensatz ausgesprochen, daß dieser Persönlichkeit dieses Recht 
auch genommen und sie, bezw. ihre Angelegenheiten, dann von einer andern Persönlich- 
keit verwaltet werden könnte.1 Der selbstverwaltenden Persönlichkeit ihr Recht entziehen 
und sie in Verwaltung nehmen, kann aber naturgemäß nur eine ihr übergeordnete, sie 
beherrschende Macht. Daraus folgt, daß mangels des begrifflichen Gegensatzes die Ver- 
waltung der keiner Macht untergeordneten souveränen Persönlichkeit nicht als Selbst- 
verwaltung bezeichnet werden kann, — von einer Staatsselbstverwaltung kann man im 
allgemeinen ebensowenig wie von einer Staatsselbstgesetzgebung, einer Staatsautonomie, 
sprechen.) Träger der Selbstverwaltung können also nur nichtsouveräne Rechtssubjekte 
sein, und damit ist für Selbstverwaltung folgende Definition gegeben: 
Selbstverwaltung ist die Verrichtung staatlicher Funktionen durch 
dem Staate untergeordnete, aber innerhalb ihres Wirkung kkreises selbst- 
ständige Persönlichkeiten. 
Im einzelnen bedarf diese Begriffsbestimmung noch einer näheren Betrachtung nach 
drei Richtungen hin: in Beziehung auf die Subjekte der Selbstverwaltung, in Beziehung 
auf die Objekte der Selbstverwaltung und in Beziehung auf das Verhältnis der Selbst- 
verwaltungspersönlichkeit zum Staat. - « 
1) Subjekte der Selbstverwaltung sind, wie bereits erwähnt, nur vom 
Staate verschiedene Persönlichkeiten. Diese können aber sein sowohl Einzelpersonen wie 
korporativ organisierte Gesamtpersonen des öffentlichen Rechts mit eigener Verfassung, 
eigenen Organen und eigenen Mitgliedern. Sie werden Selbstverwaltungskörper 
genannt. Es ist unrichtig, allein Gesamtpersonen als mögliche Träger der Selbstverwaltung 
zu bezeichnen. Die mit der Patrimonialgerichtsbarkeit und selbständiger Ortspolizeigewalt 
ausgestatteten Grundherren des Mittelalters übten ebenso Selbstverwaltung wie unsere 
Gemeinden, allerdings in einer Form, die den Grundsätzen des heutigen Rechtsstaates 
widerspricht und als Gebilde des Feudalstaates mit diesem beseitigt ist.3¾ Noch heute 
sind nach vielen Gemeindegesetzen die Besitzer selbständiger Güter die Träger der Selbst- 
verwaltung innerhalb ihrer Gutsbezirke.“ Abgesehen von dieser Ausnahme wird gegen- 
wärtig in Deutschland die Selbstverwaltung allerdings nur durch korporative Verbände 
ausgeübt. Sie bilden das Zwischenglied zwischen dem Staate und den einzelnen 
Individuen. Es herrscht bei uns das Prinzip der korporativen Selbstverwaltung. 
Die Ausbildung dieser Selbstverwaltung zu ihrer heute klar vor uns liegenden Ge- 
staltung erfolgte in verhältnismäßig neuerer Zeit. Im Mittelalter blühte in Deutschland 
wie nirgends die Gemeindefreiheit. Die Gemeinden, die Landschaften und die Korporationen 
im Staate waren fast souverän. Die Staatsgewalt dagegen, welche über ihnen stehen 
  
1 Laband, S. 100; Rosin, S.309; Gluth, 
S. 63 ff. Im Hinblick auf die Möglichkeit 
des Verwaltetwerdens und gleichbedeutend mit 
„Freisein von fremder Verwaltung“ wurde das 
Wort „Selbstverwaltung“ auch in der deutschen 
staatswissenschaftlichen Litteratur zuerst gebraucht. 
Wenn man in der ersten Hälfte dieses Jahr- 
hunderts in theoretischen Schriften und libe- 
ralen Parteiprogrammen für eine Reibe von 
Angelegenheiten „das Recht der Selbst- 
verwaltung“" für die Gemeinden in Anspruch 
nahm, so verlangte man damit, daß die Ge- 
meinden diese Angelegenheiten, die sie bis dahin 
nach den Anweisungen der sie bevormundenden 
Staatsgewalt besorgt hatten, fernerhin selbst- 
ständig verwalten sollten. 
u. 35, Anm. 1; Blodig, S. 14; Gluth, S. 5. 
Siebe auch den Aufsatz: „Über die Selbstver- 
waltung der Gemeinden“, in der Deutschen 
Vierteljahrsschrift, 1845, S. 131 ff. 
: Zutreffend erscheint es jedoch, wenn einige 
Löning, S. 34 
  
Schriftsteller, wie besonders Laband, Zorn und 
Rosin, von einer Selbstverwaltung und Selbst- 
gesetgebung der Einzelstaaten im Reiche sprechen. 
ie Gliedstaaten des Bundesstaates nehmen als 
nicht souveräne Gemeinwesen in diesem eine 
ähnliche Stellung ein wie die Gemeinden im 
Einzelstaate. Sie verwalten zahlreiche Ange- 
legenheiten selbständig nach den von der ihnen 
übergeordneten souveränen Centralgewalt auf- 
gestellten Normen, und sie üben die gesetz- 
gebende Gewalt innerhalb ihrer Territorien aus, 
soweit das Reich sie nicht darin beschränkt bat. 
Vgl. auch Hänel, I, S. 322; Gluth, S. 104, 
Anm. 3. 
* Laband, S. 99; Gareis, Allgem. Staats- 
recht, S. 87. 
*Blodig, S. 33: „An die korporativen Ver- 
bände reihen sich die monarchisch organisierten 
Selbstverwaltungskörper an. Dieselben kom- 
men in der Form von selbständigen Gutsbe- 
zirken vor.“
	        
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