Selbstverwaltung und Selbstverwaltungskörper. (§. 1.) 7
und sie zu einem einheitlichen Ganzen zusammenfassen sollte, war gänzlich unentwickelt
und machtlos. Hier war kein Platz für eine durch gesetzliche Normen beschränkte Selbst-
verwaltung einzelner Gemeinwesen, weil diese Gemeinwesen sich eben selbst zu souveränen
Staaten entwickelt hatten. Platz war für eine solche Selbstverwaltung aber auch später
nicht, als mit der sich in den einzelnen Territorien des alten deutschen Reiches ent-
wickelnden Landeshoheit der Gedanke an eine Staatsgewalt erwachte, die alles, was in
ihrem Bereiche existiert, beherrscht oder wenigstens ihrem Willen unterordnen kann. Die
extreme Durchführung dieser Idee zeitigte den absoluten Polizeistaat des vorigen Jahr-
hunderts. War früher das einzelne Gemeinwesen alles, der Staat dagegen nichts
gewesen, so sollte jetzt die Staatsgewalt alle Adern des öffentlichen Lebens durchdringen
und allein alle Einzelheiten desselben regeln. Die Selbständigkeit der Gemeinwesen
wurde daher vernichtet, ihr Wirkungskreis eingeengt und ihre ganze Thätigkeit unter
die Vormundschaft des Staates gestellt.
Erst im Anfange dieses Jahrhunderts trat eine Reaktion gegen diese centralisierenden
Bestrebungen des Polizeistaates ein. Der echt germanische Gedanke, daß eine gedeihliche
öffentliche Verwaltung nicht ausschließlich durch unmittelbare staatliche Organe geleitet
werden dürfe, daß vielmehr auch die Unterthanen, und zwar vornehmlich in ihrer Ver-
einigung zu örtlichen Verbänden, ein Stück derselben in Händen haben müßten, kam
wieder mehr und mehr zum Durchbruch. Man verwarf den bisher befolgten Grund-
satz, daß der Staat alle öffentlichen Angelegenheiten, auch die, welche nur eine lokale
oder auf gewisse Interessentenverbände beschränkte Bedeutung haben, selbst besorgen müsse.
Man nahm an, daß diese ebenso gut und vielleicht noch besser durch diejenigen ver-
waltet werden können, deren Lebenssphäre sie in erster Linie betreffen. Der Staat über-
ließ daher Teile der von ihm bisher geübten Verwaltung, bezüglich welcher dies mit
seiner eigenen Existenz und seinen eigenen Zwecken vereinbar war, den bereits vor-
gefundenen, historisch entstandenen oder auch zu diesem Ende neu geschaffenen Gemein-
wesen. Diese erhielten trotz ihrer Unterordnung unter die Staatsgewalt völlige Selbst-
ständigkeit für ihren Wirkungskreis und wurden somit zu Selbstverwaltungskörpern in
oben dargelegtem Sinne.
Die innere Organisation dieser Gemeinwesen ist für den Begriff der Selbst-
verwaltung bedeutungslos, besonders ist es gleichgültig, ob die Beamten derselben im
Ehrenamte oder im besoldeten Berufsamte angestellt sind; die von einem besoldeten, auf
Lebenszeit angestellten Bürgermeister geführte Verwaltung ist ebenso Selbstverwaltung
wie die von einem unbesoldeten, auf sechs Jahre gewählten Stadtrat geübte. Den Gegen-
satz zu dieser Selbstverwaltung bildet nicht die Verwaltung durch besoldete Berufs-
beamte, sondern e durch staatliche Behörden.
2) Objekte der Selbstverwaltung sind lediglich Staatsgeschäfte, Angelegen-
heiten, die der Staat besorgen müßte, wenn er sie nicht den Selbstverwaltungskörpern
zur selbständigen Erledigung überwiesen hätte. Beruht unsere ganze Selbstverwaltung
darauf, daß der Staat sich selbst in seiner Thätigkeit beschränkt, daß er bei gewissen
Verwaltungszweigen davon Abstand nimmt, den ihm zur Erfüllung der Staatsaufgaben
zu Gebote stehenden, von ihm völlig abhängigen Regierungsapparat in Bewegung zu
setzen, und nur die allgemeinen Normen der Verwaltung aufstellt, deren freie Hand-
habung aber ihm untergeordneten korporativen Verbänden überläßt, so folgt schon hieraus,
daß die Funktionen dieser Verbände einen rein staatlichen Charakter haben. Die Thätig-
keit der Selbstverwaltungskörper „ersetzt“ eben innerhalb des Wirkungskreises der
letzteren die Thätigkeit des Staates. Es handelt sich hier ebenso wie bei der Selbst-
verwaltung im Sinne Gneists stets um Verwaltung im Interesse des Staates. Diese
1 Gareis, a. a. O.; Laband, S. 98; Zorn,
Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1 (2. Aufl.,
Berlin 1895), S. 109 ff.; E. Meier, Ver-
waltungsrecht, in Holtzendorffs Encyklopädie,
S. 1163. Auch Gluth, S.69, 89: „Es kommt
wesentlich darauf an, daß das engere Gemein-
wesen dasjenige thue, was sonst der Staat thun
müßte, daß es durch seine Thätigkeit ebensoviel
an Staatsthätigkeit ersetze.“
* Keine Selbstverwaltung ist daher die Thä-
tigkeit der auf privatrechtliche Verhältnisse be-
schränkten juristischen Personen, der Stiftungen
oder der rein wirtschaftlichen Verbände der
Staatsbürger, keine Selbstverwaltung die Thä-
tigkeit der Kirchen= und Neligbonsgesellschaften.
Es fehlt hier überall die für jede Selbstver-
waltung unerläßliche Wesensgleichheit ihrer
Zwecke mit den Zwecken des Staates. Früher,