Full text: Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Ergänzungsband. Das Recht der Kommunalverbände in Preußen. (4)

Selbstverwaltung und Selbstverwaltungskörper. (§. 1.) 7 
und sie zu einem einheitlichen Ganzen zusammenfassen sollte, war gänzlich unentwickelt 
und machtlos. Hier war kein Platz für eine durch gesetzliche Normen beschränkte Selbst- 
verwaltung einzelner Gemeinwesen, weil diese Gemeinwesen sich eben selbst zu souveränen 
Staaten entwickelt hatten. Platz war für eine solche Selbstverwaltung aber auch später 
nicht, als mit der sich in den einzelnen Territorien des alten deutschen Reiches ent- 
wickelnden Landeshoheit der Gedanke an eine Staatsgewalt erwachte, die alles, was in 
ihrem Bereiche existiert, beherrscht oder wenigstens ihrem Willen unterordnen kann. Die 
extreme Durchführung dieser Idee zeitigte den absoluten Polizeistaat des vorigen Jahr- 
hunderts. War früher das einzelne Gemeinwesen alles, der Staat dagegen nichts 
gewesen, so sollte jetzt die Staatsgewalt alle Adern des öffentlichen Lebens durchdringen 
und allein alle Einzelheiten desselben regeln. Die Selbständigkeit der Gemeinwesen 
wurde daher vernichtet, ihr Wirkungskreis eingeengt und ihre ganze Thätigkeit unter 
die Vormundschaft des Staates gestellt. 
Erst im Anfange dieses Jahrhunderts trat eine Reaktion gegen diese centralisierenden 
Bestrebungen des Polizeistaates ein. Der echt germanische Gedanke, daß eine gedeihliche 
öffentliche Verwaltung nicht ausschließlich durch unmittelbare staatliche Organe geleitet 
werden dürfe, daß vielmehr auch die Unterthanen, und zwar vornehmlich in ihrer Ver- 
einigung zu örtlichen Verbänden, ein Stück derselben in Händen haben müßten, kam 
wieder mehr und mehr zum Durchbruch. Man verwarf den bisher befolgten Grund- 
satz, daß der Staat alle öffentlichen Angelegenheiten, auch die, welche nur eine lokale 
oder auf gewisse Interessentenverbände beschränkte Bedeutung haben, selbst besorgen müsse. 
Man nahm an, daß diese ebenso gut und vielleicht noch besser durch diejenigen ver- 
waltet werden können, deren Lebenssphäre sie in erster Linie betreffen. Der Staat über- 
ließ daher Teile der von ihm bisher geübten Verwaltung, bezüglich welcher dies mit 
seiner eigenen Existenz und seinen eigenen Zwecken vereinbar war, den bereits vor- 
gefundenen, historisch entstandenen oder auch zu diesem Ende neu geschaffenen Gemein- 
wesen. Diese erhielten trotz ihrer Unterordnung unter die Staatsgewalt völlige Selbst- 
ständigkeit für ihren Wirkungskreis und wurden somit zu Selbstverwaltungskörpern in 
oben dargelegtem Sinne. 
Die innere Organisation dieser Gemeinwesen ist für den Begriff der Selbst- 
verwaltung bedeutungslos, besonders ist es gleichgültig, ob die Beamten derselben im 
Ehrenamte oder im besoldeten Berufsamte angestellt sind; die von einem besoldeten, auf 
Lebenszeit angestellten Bürgermeister geführte Verwaltung ist ebenso Selbstverwaltung 
wie die von einem unbesoldeten, auf sechs Jahre gewählten Stadtrat geübte. Den Gegen- 
satz zu dieser Selbstverwaltung bildet nicht die Verwaltung durch besoldete Berufs- 
beamte, sondern e durch staatliche Behörden. 
2) Objekte der Selbstverwaltung sind lediglich Staatsgeschäfte, Angelegen- 
heiten, die der Staat besorgen müßte, wenn er sie nicht den Selbstverwaltungskörpern 
zur selbständigen Erledigung überwiesen hätte. Beruht unsere ganze Selbstverwaltung 
darauf, daß der Staat sich selbst in seiner Thätigkeit beschränkt, daß er bei gewissen 
Verwaltungszweigen davon Abstand nimmt, den ihm zur Erfüllung der Staatsaufgaben 
zu Gebote stehenden, von ihm völlig abhängigen Regierungsapparat in Bewegung zu 
setzen, und nur die allgemeinen Normen der Verwaltung aufstellt, deren freie Hand- 
habung aber ihm untergeordneten korporativen Verbänden überläßt, so folgt schon hieraus, 
daß die Funktionen dieser Verbände einen rein staatlichen Charakter haben. Die Thätig- 
keit der Selbstverwaltungskörper „ersetzt“ eben innerhalb des Wirkungskreises der 
letzteren die Thätigkeit des Staates. Es handelt sich hier ebenso wie bei der Selbst- 
verwaltung im Sinne Gneists stets um Verwaltung im Interesse des Staates. Diese 
  
1 Gareis, a. a. O.; Laband, S. 98; Zorn, 
Staatsrecht des Deutschen Reiches, 1 (2. Aufl., 
Berlin 1895), S. 109 ff.; E. Meier, Ver- 
waltungsrecht, in Holtzendorffs Encyklopädie, 
S. 1163. Auch Gluth, S.69, 89: „Es kommt 
wesentlich darauf an, daß das engere Gemein- 
wesen dasjenige thue, was sonst der Staat thun 
müßte, daß es durch seine Thätigkeit ebensoviel 
an Staatsthätigkeit ersetze.“ 
  
* Keine Selbstverwaltung ist daher die Thä- 
tigkeit der auf privatrechtliche Verhältnisse be- 
schränkten juristischen Personen, der Stiftungen 
oder der rein wirtschaftlichen Verbände der 
Staatsbürger, keine Selbstverwaltung die Thä- 
tigkeit der Kirchen= und Neligbonsgesellschaften. 
Es fehlt hier überall die für jede Selbstver- 
waltung unerläßliche Wesensgleichheit ihrer 
Zwecke mit den Zwecken des Staates. Früher,
	        
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